Games_Brütal Legend

For those about to rock

Hin und wieder kommt ein Spiel auf den Markt, dem eine Rezension - ob positiv oder negativ - einfach nicht gerecht werden kann. Wir versuchen´s trotzdem: Tim Schafer, Schöpfer von Game-Legenden wie „Monkey Island", "Grim Fandango" und "Psychonauts", präsentiert ein neues Gesamtkunstwerk, das man nur lieben oder hassen kann. Wie Heavy Metal eben.    25.11.2009

Von der ersten Sekunde an polarisiert "Brütal Legend" die Spielergemeinde. Während dem einen ein empörtes "Was zur Hölle?!" durch den humorlosen Kopf schießt, macht sich der andere genüßlich ein Bier auf, reißt die Faust in die Luft, daß die Nietenarmbänder nur so klimpern - und weiß wieder einmal, warum es ohne laute Gitarren nicht geht.

Und dann: Jack Black. Der Hollywood-Komiker und Tenacious-D-Superduperstar übernimmt die ehrenvolle Aufgabe, den Spieler (also die Hälfte der Gemeinde, die nicht gleich abgeschaltet hat) in die wundervolle Welt des Metal einzuführen. Und so wird selbst dem Begriffsstutzigsten bald klar, daß die zu erwartende "Brütalität" nicht etwa auf ein Stück Unterhaltungs-Software türkischer Provenienz, sondern auf eine Hommage an das Goldene Zeitalter hindeutet, in der Männer noch Männer waren, Musik von Hand geschnitzt wurde und die nordischen Gottheiten auf Erden wandelten.

"Brütal Legend" hält sich in jeder Einzelheit an das Genre, das hier zelebriert wird. Zum Beispiel mit dem coolsten Startbildschirm aller Zeiten: Statt der normalen Aufforderung, doch bitte den "Start"-Knopf zu drücken, sieht man ein klassisches Gatefold-Cover und Mr. Blacks Würschtelfinger, die auf das entsprechende Icon deuten. Das Album-Inlay gestattet die Auswahl, ob man Single- oder Multiplayer spielen will; A- und B-Seite der altehrwürdigen Vinylscheibe führen Menschen mit notorischem Aufmerksamkeitsdefizit zu Artworks und bereits freigeschalteten Extras.

 

Aber warum sind denn da keine Extras? Ach ja - das liegt wohl daran, daß Sie noch nicht gespielt haben. Also los, let´s rawk! Gib ihm! Do the powerchord! Nein, zuerst das Intro. Und das ist noch witziger als das Cover von vorher.

Man sieht den Protagonisten Eddie Riggs, von Beruf bester Roadie der Welt, wie er liebevoll seiner Tätigkeit für eine Gruppe junger Nullen nachgeht. Daß er mit der Welt im allgemeinen und der musikalischen Entwicklung "seiner" Band im speziellen höchst unzufrieden ist, erschließt sich spätestens aus einem Gespräch mit einem Roadie-Kollegen, das ebenfalls den schrägen Humor offenbart, der dem Spiel wie Biergeruch aus jeder digitalen Pore dringt. Eddie betrachtet die Performance der "Metal Poser" und meint dazu nur, daß früher die Musik um Ecken besser war. "In den Siebzigern?" fragt der Kollege. "Nein, noch früher … die frühen Siebziger."

So recht er damit auch hat - die Arbeit ruft. Als Eddie merkt, daß einer seiner unbeholfenen Schützlinge von der Bühne zu fallen droht, eilt er dem Pseudogitarristen todesmutig zu Hilfe und geht zum Dank für seine gute Tat selber drauf. Im normalen Leben müßte er sich jetzt zwischen Himmel und Hölle, Fegefeuer und schlichtem Verrotten entscheiden; in "Brütal Legend" wird der uralte Dämon Ormagöden (hehe) dank eines unabsichtlichen Blutopfers auf ihn aufmerksam und verfrachtet den guten Eddie Riggs in eine andere Welt. Dort ragen riesige Ruinen und Artefakte in die tiefhängenden Wolken, stählerne Bestien ziehen durchs Land, Headbanger bauen mit ihren Köpfen Erz ab, und Frauen in enganliegendem Leder sorgen mit großen Kanonen dafür, daß die ehernen Gesetze des Metal eingehalten werden. Es ist eine surreale, seltsame und saukomische Welt, die das uralte Wissen der Roadies braucht, weil sonst das Universum unweigerlich und total ausgelöscht wird. Und das können ja nun wirklich nur Black-Metaller wollen ...

 

So, aber jetzt. Kill, kill, kill! Do the dance of death! Zähl die Leichen deiner Feinde, bis zur number of the beast!

Mooooment. Bevor man als jenseitiger Eddie mit einer überdimensionierten Axt horrible Gegner köpfen oder ihnen mit der Gitarre Clementine gleich die Gesichter wegschmelzen darf, gilt es noch zwei Entscheidungen zu treffen, die das ganze Spiel beeinflussen. Zum einen wird der Spieler gefragt, ob er lieber den Originalton - mit den in besserer Gesellschaft üblichen Ausdrücken wie "Wichser", "Arsch" usw. - hören will oder doch lieber das aus amerikanischen Talkshows bekannte Auspiepsen. Zum anderen wird die Gewissensfrage nach dem Blutfaktor gestellt - wobei das Spiel deutlich zu verstehen gibt, daß es für die Handlung zwar nicht notwendig ist, abgehackten Köpfen beim Wegrollen zuzusehen, aber viel cooler wäre es natürlich schon.

So, nun darf der Spieler endlich die grenzenlose Welt des Metal frei erkunden. Recht bald trifft er dann auch zwei Prominente, die zum Flair von "Brütal Legend" beitragen. Ozzy Osbourne übernimmt die Rolle des ewig faselnden Upgrade-Verkäufers, während Lemmy Kilmister von Motörhead den "Killmaster" mimt, der ganz im Gegensatz zu seinem Namen fürs Heilen zuständig ist. Dieser Berufung kommt er naturgemäß mit Klängen aus seiner Baßgitarre nach, während er und seine Band ihrer Vorliebe für "Jack & Coke" fröhnen. Und so geht es in einer Tour weiter. "Brütal Legend" sprüht nur so vor Humor und popkulturellen Seitenhieben - und wenn man einmal Pause vom "Facemelting" machen will, kann man sich auch mit Kopfwackeln und Luftgitarre an Dutzenden einschlägigen Songs erfreuen. In den Soundtrack haben es Klassiker wie "Through the Fire and Flames" von Dragonforce, "Back at the Funny Farm" von Motörhead, "Dawn of Battle" von Manowar oder auch "The Metal" von Tenacious D geschafft.

 

"Brütal Legend" ist vom Gameplay her ein Genremix aus Hack´n´Slay und Echtzeit-Strategie. Stimmt, diese Spielegattungen wurden bereits kombiniert, und das auch besser als hier, aber wer ewig stänkert, macht sich in der Metal-Szene bekanntlich unbeliebt. Immerhin werden die Kämpfe hier vor allem durch ihr Setting einzigartig. Anstatt Basen zu bauen, muß der Spieler eine Bühne und Merchandising-Stände (auf Geysiren) errichten, da schließlich jeder gute Musiker seine Energie von zufriedenen Fans erhält - und die brauchen eben Nachschub, um glücklich zu sein. Headbanger, knapp bekleidete Frauen mit Fernkampfwaffen und rauchende Rocker auf heißen Öfen bilden die Einheiten, die von der Bühne wegrekrutiert werden können, vorausgesetzt natürlich, daß man genug zufriedene Fans hat.

Die verfügbaren Sidequests, von denen es mehrere Dutzend gibt, sind weder anspruchsvoll noch abwechslungsreich, und sogar die angezeigte Minimap erledigt ihre Aufgabe mehr als suboptimal. Selbst die Graphik kann einen nicht wirklich begeistern, da die verwendete Engine zwar solide ist, aber mit aktuellen Titeln nicht mithalten kann.

Spielerisch und graphisch ist "Brütal Legend" also bestenfalls guter Durchschnitt - aber insgesamt eines der besten Spiele, die seit langem für eine Konsole erschienen sind. Es sind der Humor, das einzigartige Setting, die Musik und vor allem Jack Black in seiner Sprechrolle als Eddie Riggs, die "Brütal Legend" zu einem Kultspiel machen. Und wen interessiert schon der eine oder andere technische Mangel, wenn man auf einem Hotrod sitzen und zu den Klängen von "Diary of a Madman" klingenbewehrte, feuerspeiende, stählerne Ungetüme durch die Landschaft jagen darf? Genau: nur die Spießer.

In diesem Sinne: You can´t kill The Metal/The Metal will live on.

("The Metal", Tenacious D)

Dragan Andjelkovic

Brütal Legend

ØØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

(Double Fine/EA)

 

erhältlich für: Xbox 360, PS3

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