Games_Bioshock

Wir kriegen dich!

Steht einem Menschen nicht das zu, was er sich im Schweiße seines Angesichts erarbeitet? Nein, sagt der Mann in Washington - es gehört den Unternehmern und Investoren. Nein, sagt der Mann im Vatikan - es gehört Gott dem Allmächtigen. Nein, sagt der Mann in Moskau - es gehört dem Volk. Im neuen Game-Hit "Bioshock" wird der Reichtum ganz anders aufgeteilt. Und trotzdem geht alles schief.    02.10.2007

Auch der schwerreiche Industriemagnat Andrew Ryan sagt "Nein". Und da mit einer einfachen Willenskundgebung niemandem geholfen ist, läßt er seiner Ablehnung der bestehenden Verhältnisse auch Taten folgen. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg stampft er die Stadt Rapture aus dem Boden. Sie soll eine utopische Metropole werden, in der die Wissenschaft nicht durch fadenscheinige Moral, der Künstler nicht durch Zensur und das Genie nicht durch den kleinen Geist gebremst wird. Erwartungsgemäß ist in der internationalen Staatengemeinschaft für so ein Projekt kein geeigneter Platz zu finden - und so bleibt Ryan nur ein Baugrund für seine ideale Stadt übrig: der Grund des Atlantiks.

Kaum ist Rapture fertiggestellt, treffen auch schon die ersten Einwohner ein. Unter ihnen finden sich viele herausragende Wissenschaftler und Künstler, die - angelockt vom Ideal grenzenloser Freiheit - ihre Forschungen und Projekte in der Unterwasserenklave vorantreiben möchten. Angesichts dieser beachtlichen Konzentration großer Geister ist es wenig verwunderlich, daß der technische Entwicklungsstand in Rapture schon nach kurzer Zeit einen erheblichen Vorsprung zum Rest der Welt aufweist. Die beeindruckendste Erfindung gelingt der deutschen Wissenschaftlerin Dr. Tenenbaum. Sie entwickelt ein Serum namens ADAM, mit dem es möglich wird, die genetische Struktur des Menschen zu verändern und ihn mit allerlei nützlichen Dingen (zum Beispiel Telekinese oder die Fähigkeit, Feuerbälle aus den Fingerspitzen zu schleudern) auszustatten. Wenige Jahre nach der Erfindung von ADAM ist in Rapture ein wahres Wettrennen ausgebrochen. Immer neuere, bessere, stärke Modifikationen sind erhältlich, und die Einwohner von Rapture wechseln ihren genetischen Code wie andere Leute die Unterwäsche.

Doch was nützt die größte Ansammlung von Forschern, wenn niemand da ist, der ihren Müll wegräumt, ihr Essen zubereitet und ihnen allerlei Vergnügen und Luxusgüter zur Verfügung stellt? Das muß auch Andrew Ryan feststellen - und so sieht er sich gezwungen, die Tore von Rapture auch einer nicht unbeträchtlichen Anzahl weniger genialer oder zumindest weniger begüterter Menschen zur Verfügung zu stellen, um sein Utopia aufrechterhalten zu können. Schon bald stellt sich allerdings heraus, daß die kleinen Lichter, die in den Millionenmetropolen an der Oberfläche brav kuschen mußten, in einem abgegrenztem Raum wie Rapture wesentlich weniger leicht zu handhaben und mit ihrer Rolle in der dort herrschenden Klassenstruktur ganz und gar nicht zufrieden sind. Die Situation wird nach der Erfindung von ADAM besonders prekär, da das Mittel teuer und exklusiv ist. Die besonders wirkungsvollen Modifikationen sind fest in der Hand der Elite, während sich der Großteil der Bevölkerung mit weitaus weniger zufrieden geben muß. In der Arbeiterklasse macht sich zunehmender Unmut breit.

 

1960, irgendwo über dem Atlantischen Ozean: Mitten in der Nacht gerät ein Flugzeug in Turbulenzen und stürzt ab. Jack, einer der Passagiere, überlebt den Crash und findet sich im eiskalten Wasser wieder, umgeben von brennenden Wrackteilen. Plötzlich erblickt er eine kleine Insel, auf der ein seltsamer Turm in die Höhe ragt. Mit letzter Kraft erreicht er die Felsen am Ufer und schleppt sich an Land. Im Turm führt eine Treppe nach unten, zu einer Kammer mit einer vor sich hinrostenden, aber noch funktionsfähigen Tauchkuppel. Nachdem andere Alternativen Mangelware sind, beschließt er, die Tauchglocke zu benützen, und findet sich kurz darauf in einer weiteren Kammer wieder. Wasser tropft von der Decke, im Halbdunkel ist über dem Ausgang ein Schild zu erkennen: "Willkommen in Rapture!"

Die Stadt hat offensichtlich schon bessere Zeiten gesehen. An vielen Stellen dringt Wasser durch Schweißnähte ein, auch Beleuchtung und Belüftung sind nur mehr bedingt funktionsfähig. Müll und Schrott liegen in den Gängen, große Teile der Einrichtung sind zerstört, offenbar gewaltsam in Schutt und Asche gelegt. Nach einigem Herumirren durch verlassene Gänge nimmt Jack plötzlich den ersten Hinweis auf Lebewesen wahr - wenngleich auch keinen wirklich beruhigenden: Ein seltsames, abgehetztes Keuchen ist aus der Dunkelheit zu hören ...

 

"Bioshock" ist das Spiel des Jahres für die Xbox 360, daran gibt es nichts zu rütteln - es sei denn, "Halo 3" kann noch entscheidend punkten. Der legitime Nachfolger der "System Shock"-Reihe wird zwar als Mischung aus Horror-Adventure und Ego-Shooter angepriesen, doch diese Klassifizierung wird dem Spiel in Wahrheit nicht gerecht. Gespielt wird zwar in bester Shooter-Manier, doch "Bioshock" zeichnet sich vor allem durch die beklemmende, bedrückende und hochgradig morbide Atmosphäre von Verzweiflung, Angst, Klaustrophobie sowie die geniale Handlung aus, die im Lauf des Spiels die Geschichte des Zusammenbruchs von Rapture enthüllt.

Natürlich spielt auch Action in "Bioshock" eine wichtige Rolle. Man kann mit Fug und Recht behaupten, daß "Bioshock" zumindest auf der Xbox 360, wenn nicht sogar im Computer- und Videospielbereich allgemein der neue Referenztitel ist, an dem sich die Konkurrenz in den kommenden Jahren messen muß. Dabei sind es weniger die Standardwaffen wie Pistolen, Gewehre und Granatwerfer, sondern vielmehr die schier unendlichen Kombinationsmöglichkeiten aus Waffen, Genfunktionen und die Interaktion mit der Umgebung, die den Reiz des Kampfes ausmachen. Gegner können eingefroren und zerschmettert, Heilautomaten manipuliert, Ölflächen in Brand und Wasserlacken unter Strom gesetzt werden. Die genetisch aufgerüsteten Überlebenden von Rapture trachten Jack mit einer Entschlossenheit und Brutalität nach dem Leben, die ihresgleichen sucht. Vor allem die Kämpfe gegen die "Big Daddies" - die bis an die Schmerzgrenze genetisch manipulierten Übersoldaten, über die man in jedem Level stolpert - werden mit einer Brutalität und Erbarmungslosigkeit geführt, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt.

Graphisch, akustisch und spieltechnisch gesehen ist "Bioshock" verdammt nahe an der Perfektion. Wenn man überhaupt einen Mangel feststellen kann, so ist es die Unausgewogenheit bei den Schwierigkeitsgraden. Auf den niedrigen Stufen ist das Spiel zu leicht, wodurch die Atmosphäre der Angst und der Verzweiflung doch etwas leidet. Auf der höchsten Schwierigkeitsstufe blüht das Spiel zu voller Pracht auf; allerdings muß man Spielern mit geringem Frustpegel den Erwerb eines Ersatz-Pads empfehlen, da auf dieser Stufe der Tod blitzartig und sehr regelmäßig kommt. Selbst die Tatsache, daß man in "Bioshock" nach dem Ableben an einer "Vita Chamber" wiederbelebt wird, senkt den Schwierigkeitsgrad nicht wirklich.

Man sollte sich aber dennoch die Zeit, Geduld und die notwendigen Beruhigungspillen gönnen und den höchsten Schwierigkeitsgrad in Angriff nehmen. Belohnt wird man dafür mit dem bei weitem besten Spiel für Microsofts Edelkonsole. Was diese Auszeichnung wert ist, wird bei einem Blick auf die grandiosen Konkurrenzprodukte wie "Gears of War", "Ghost Recon Advanced Warfighter 2" und "F.E.A.R" erst so richtig klar. Selbst wenn es diese Spiele nicht gäbe, würde "Bioshock" allein die Anschaffung einer Xbox 360 rechtfertigen.

Benjamin Mann

Kommentare_

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