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In einer durchschnittlichen Großstadt sperren Tag für Tag so viele In-Lokale auf, daß sich ein normaler Mensch gar nicht durchfressen kann. Benny Denes interviewte für sein aktuelles ungewöhnliches Berufsporträt den Besitzer eines Restaurants, das mit einem neuen Gimmick die Gourmet-Szene auf den Kopf stellt.
 
 

Geschmack verkehrt
 

Da die letzten Interviews dieser Rubrik stets in gastronomischen Einrichtungen geführt wurden, hielt ich es für angebracht, in dieser Folge ein höchst seltsames Lokal vorzustellen - auch wenn dies ein wenig aus der Reihe ungewöhnlicher Berufsporträts herausfällt. Legitim ist es trotzdem, weil hinter dem Aachener Restaurant, das Sie im Folgenden ein wenig näher kennenlernen werden, die Idee eines Mannes steht, der schon seit Jahren ein Faible für unkonventionelle Existenzgründungen zu haben scheint.
Ramon Schulte erwartet mich an diesem Tag in seinem Lokal "Invers" und trägt eines dieser neumodischen "Innen-nach-außen"-Hemden, bei denen die Nähte auf der Oberfläche des Stoffes liegen (wir berichteten im Rahmen von "Faction/Sample"). Er ist ein großer, hagerer Mann mit einer auffälligen, blaugerahmten Brille, und hat einen starren Blick, ungefähr so wie Christoph Daum oder Vera 
Russwurm. Na ja, die Russwurm ist in diesem Zusammenhang vielleicht doch etwas unpassend, weil sein Blick nicht ganz so glubschäugig ist - aber Schultes Augen drücken ungefähr soviel Wärme aus wie die der Showmasterin. Nachdem ich das "Invers" betreten habe, bittet er mich, auf einem Stuhl Platz zu nehmen, bei dem die Lehne nicht den Rücken, sondern den Bauch stützt.
 
 

EVOLVER: Hier ist einiges anders als in den Restaurants, die ich bisher aufgesucht habe.
Schulte: Si Senor! Das liegen Sie mal verdammt richtig.

EVOLVER: Ihr Lokal heißt "Invers" - vielleicht, weil hier alles umgekehrt ist?
Schulte: Yo! Wie Ihr Stuhl!

EVOLVER: Lassen Sie mich das einmal kurz durchspielen. Man kommt also hierher, um zu essenÖ
Schulte: Ja, aber zuerst einmal muß man zahlen.

EVOLVER: Ist das nicht sehr unhöflich? Kassieren, bevor man etwas geleistet hat?
Schulte: Nope! Das ist das Konzept. Außerdem fühlen sich die Gäste wohl, wenn sie wissen, wieviel sie der Genuß kostet. Und die Ober wissen gleich, wie gut das Trinkgeld war.

EVOLVER: Ach, Trinkgeld muß man auch geben?
Schulte: Muß, muß? Man muß nicht, aber es gehört sich doch.

EVOLVER: Und woher weiß der Gast, wie hoch seine Rechnung sein wird?
Schulte: Meistens geben die Gäste bestimmte Pauschalbeträge. Zum Beispiel 80 Mark (knapp öS 600,-; Anm. d Red.) für zwei Personen. Davor noch etwas Trinkgeld. Und dann schauen die Leute, wie weit sie damit kommen.

EVOLVER: Verstehe. Und wenn die Gäste nun sehr knausrig sind?
Schulte: Dann kriegen sie einen Gang weniger oder kleinere Portionen!

EVOLVER: Was passiert denn dann nach dem Bezahlen?
Schulte: Aber, Senor - denken Sie doch einfach mit!

EVOLVER: Zuerst kommt wahrscheinlich das Dessert auf den Tisch.
Schulte: Gar nicht schlecht. Es ist aber noch ein wenig mehr. Die Gäste werden von den Kellnern gefragt, ob es geschmeckt haben wird. Und da können unsere Kunden durch bestimmte Sätze beeinflussen, was sie bekommen. Dann lassen die Ober ihnen Zeit, um eine Zigarette zu rauchen.

EVOLVER: Das ist ja perfekt umgedreht. Erzählen Sie weiter!
Schulte: Tja, Gäste, die ein gutes Trinkgeld gegeben haben, kriegen dann erst einmal einen Digestiv oder einen Espresso "aufs Haus". Und dann kommt, wie Sie eben schon sagten, die Nachspeise.

EVOLVER: Da fängt dann so ein Mahl bei Ihnen mit Sorbet oder Mousse an?
Schulte: So ist es. Und natürlich mit den Getränken. Die sind ja genau wie bei einem normalen Restaurant.

EVOLVER: Bis auf die Gläser anscheinend, wie ich hier sehe.
Schulte (lacht): Naja, das mit dem Bierglas für den Wein ist ein neuer Versuch. Ich finde das zwar ein wenig affig, aber komischerweise sind die Gäste davon begeistert.

EVOLVER: Bleiben wir noch kurz beim Ablauf. Nach dem Nachtisch kommt was...?
Schulte: Die Hauptspeise natürlich. Erst die zusätzlichen Beilagen und dann das eigentliche Hauptgericht. Dann folgt meist der Salat und, wenn die Gäste vorher genug bezahlt haben, noch eine Suppe oder ein Nudelgericht.

EVOLVER: Pfui! Ihren Kunden muß sich da doch der Magen umdrehen. Kommt da irgend jemand wieder?
Schulte: Wir sind jeden Abend ausgebucht. Täglich ist die Hütte voll, sogar unter der Woche. Und das "Invers" hat viele Stammkunden.

EVOLVER: Wissen Sie, ich frage auch deswegen, weil ich schon länger vorhatte, Sie einmal näher vorzustellen. Das "Invers" ist ja nicht Ihr erster merkwürdiger Neuanfang, Herr Schulte.
Schulte: Ich weiß, worauf Sie anspielen. Aber das hat nichts mit meinem Lokal zu tun!

EVOLVER: Erzählen Sie doch mal von Ihrem Friseursalon!
Schulte: Das war eine tolle Sache für die Gäste. Das "Studio Diametral". Die Kunden kamen unzufrieden vom Friseur, und wir haben etwas aus ihnen gemacht.

EVOLVER: Vor allen Dingen Geld!
Schulte: Das ist jetzt aber doch sehr polemisch. Ich habe spießigen Leuten zu einer tollen Frisur verholfen. Daß ich dafür Geld genommen habe, ist doch nicht verwerflich. Ich bin schließlich nicht die Caritas.

EVOLVER: Sie haben den Leuten zu einer Tolle verholfen, muß es eher heißen. Damals zerzausten Sie den Kunden doch ohne Sinn, Verstand und Ausbildung die Haare.
Schulte: Was soll´s? Man hat das "Studio Diametral" ja ohnehin geschlossen.

EVOLVER: Ich kann mich aber noch an ein Kreditinstitut namens "Antipoden" erinnern, mit dem Sie Ihre umgedrehten Geschäftspraktiken auch schon ausprobierten.
Schulte: Ich möchte das Gespräch jetzt lieber beenden.

EVOLVER: Tja, dann danke ich Ihnen und wünsche noch viel Erfolg mit diesem Restaurant.
Struck: Danke und herzlich willkommen im "Invers"!