zurück zum
INHALTSVERZEICHNIS...























 

 

 
 
 
 
 

Wer nicht rauchen will, muß fühlen - und zwar, wie man sich als Szenemensch vorkommt, der nur dem exquisitesten Tabakgenuß frönt. In seinem neuesten ungewöhnlichen Berufsporträt trifft Benny Denes auf einen Mann, der die Sache mit der oralen Ersatzbefriedigung total durchschaut hat.
 
 

Der Rauchentwickler
 

Daß man sich als "Normalo" in angesagten Lounges oft äußerst unwohl fühlt, liegt in aller Regel daran, daß um einen herum andere Normalos sitzen, die sich abnormal aufgemacht haben, um auf ihresgleichen herunterschauen zu können. Oder finden Sie ein silbernes Hemd aus glänzendem Polyestergewebe mit zwei Reißverschlüssen für einen Mittvierziger etwa angemessen? Von dem Hornbrillenwahn ganz zu schweigen, der aus harmlosen Soziologiestudenten lächerliche Woody-Allen-Verschnitte macht. Am schlimmsten sind aber die Einzelgänger, die - ein Politmagazin lesend - trotz der entspannten Pianomusik, die stets im Hintergrund läuft, zum Rhythmus wippen müssen, der ihnen durch die überdesignten Knopfhörer ihrer Discmans vorgegeben wird.

Vor solchen Kreaturen bleibt man in normalen Eckkneipen für normale Menschen zwar verschont - doch was tut man nicht alles, um ungewöhnliche Berufe zu erforschen?! Manche Professionen brauchen diese Atmosphäre des "schönen" Scheins eben als Schaffensumwelt. Auf meinen Gesprächspartner trifft diese Einschätzung ebenfalls zu; er sieht mit Sicherheit nicht aus wie ein Normalo.
 
 

EVOLVER: Seit wir hier sitzen, taxieren Sie die anderen Gäste.
Roger: Das ist eine Berufskrankheit von mir. Aber man geht doch auch aus, um Leute anzuschauen.

EVOLVER: Es geht nicht ums Schauen, sie sezieren die Anwesenden ja förmlich!
Roger: Ich sagte doch schon, eine Berufskrankheit.

EVOLVER: Könnte man auch "Arroganz" dazu sagen?
Roger:Das nicht, aber ich bin trotzdem ein arroganter Mensch. Sie werden das feststellen können, auch wenn ich hier und heute nicht im Dienst bin.

EVOLVER: Was Sie heute tragen, ist demnach auch nicht Ihre Berufskleidung?
Roger: Na ja, das kann man so nicht sagen. Den Anzug trage ich bei bestimmten Einsätzen, aber ansonsten liegt mir mehr der Clubstyle. Letztendlich kommt es bei meiner Tätigkeit nur auf die Besonderheit und Eleganz an und die hat man - oder eben nicht.

EVOLVER: Sehr schön! Was macht Sie so besonders?
Roger: Zuallererst habe ich Manieren. Old school, ich bin ein Gentleman. Das verdanke ich meiner Mutter. Die hat mich gut erzogen. Wie ich aussehe, sehen Sie ja selbst, und unterhalten kann ich mich über alle Themen.

EVOLVER: Wie sieht es denn mit den Chancen des HSV auf die Meisterschaft aus?
Roger: Pagelsdorf ist ein guter Trainer, aber die haben doch schon letztes Jahr über ihre Verhältnisse gespielt. Die schaffen gerade so den UEFA-Cup-Platz.

EVOLVER: Und woran sind die Camp-David-Verhandlungen gescheitert?
Roger: Die sind in meinen Augen gar nicht gescheitert. Das war eine Show für die Presse und hatte mehr mit dem amerikanischen Wahlkampf zu tun als mit handfester Nahostpolitik. Oder dachten Sie vielleicht, man einigt sich mal eben so über die Zukunft von Jerusalem? Arafat und Barak wußten beide schon vorher, was bei der Geschichte passieren würde. Nämlich gar nichts.

EVOLVER: Welche Bedeutung messen Sie dem Human Genome Project bei?
Roger: Natürlich eine große - aber vor allem im wissenschaftlichen Kontext. Ich finde, daß sich zu viele Moralisten einschalten, die kaum Ahnung von den Ergebnissen und Folgen der Forschung haben. Die Evolution überholt die renitenten Geisteswissenschaftler, das ist bezeichnend. Ich habe jedenfalls schon in Biotech-Aktien investiert.

EVOLVER: Ihr Beruf kann demnach nur "perfekter Schwiegersohn" sein. Ich bin beeindruckt!
Roger: Ach, das Wissen haben Sie doch auch. Viele Menschen haben es. Und viele sehen dabei noch ganz passabel aus. Davon kann man nicht leben.

EVOLVER: Sie sitzen in Clubs, Discos und Lounges herum und schauen Leute an. Dabei fallen Sie durch Ihre Kleidung und Ihr Gehabe auf und wirken arrogant.
Roger: Sie immer mit Ihrer "Arroganz"!

EVOLVER: Bitteschön, dann wirken Sie eben interessant. Und irgendwann treten Sie in Kontakt mit den Leuten, die Sie so auffällig taxiert haben.
Roger: Richtig, aber nie mehr als drei, vier Personen. Ich betreibe keine Massenabfertigung.

EVOLVER: Worüber reden Sie mit Ihrer Zielgruppe?
Roger: Die Damen und Herren, die sich eine halbe oder Dreiviertelstunde mit mir unterhalten haben, gehen mit dem Gefühl in den Rest des Abends, einen tollen Menschen kennengelernt und ein gutes Gespräch geführt zu haben.

EVOLVER: Da muß doch noch mehr dahinter sein!
Roger: Im Idealfall läßt das Gespräch sie verändert zurück.

EVOLVER: Spannend! Beschaffen Sie sich auch die Telefonnummern Ihrer weiblichen Gesprächspartner?
Roger (lacht): Nein, wo denken Sie hin? Ich bin verlobt. Meine Gesprächspartner sind immer Nichtraucher, darauf kommt es an!

EVOLVER: Und diesen Zustand ändern Sie?
Roger: Ich sage ja, im Idealfall werden sie Raucher. "Excent"-Raucher.

EVOLVER: Kenne ich nicht, die Marke! Gibt es die im Tabakladen?
Roger: Nein, die soll man auch gar nicht kennen. Die gibt´s auch nicht im Automaten.

EVOLVER: Wo kriegt man diese Zigaretten denn dann?
Roger: Bei mir. Und beim Barkeeper.

EVOLVER: Das scheint mir sehr unorthodox. Sind Sie etwa so eine Art Dealer?
Roger: Häßliches Wort. Ich bin Verführer, wie die Schlange im Paradies. Meine Kunden sind nicht süchtig. Höchstens danach, etwas Besonderes zu sein.

EVOLVER: So wie Sie?
Roger: So wie ich, ganz genau.

EVOLVER: Darf ich auch einmal so eine "Excent" probieren?
Roger: Gerne. Danach werden Sie Ihre Marke nicht mehr mögen. (Er reicht eine silber-goldene Schachtel rüber und gibt mit einem Streichholz erst sich und dann dem "Probanden" Feuer.)

EVOLVER: Ist das etwa höflich?
Roger: Das ist der Streichholz-Knigge. Erst sich selbst Feuer geben, damit der Schwefelgeschmack wegzieht.

EVOLVER: Danke. Sie schmeckt mir, aber ich bin Kettenraucher.
Roger: Verstehe, da kann sich das Aroma nicht individuell entfalten. Deswegen spreche ich ja auch nur Nichtraucher an.

EVOLVER: Wieviel kostet denn eine Schachtel?
Roger: Acht Mark für zweiundzwanzig Zigaretten.

EVOLVER: Jetzt verstehe ich auch, warum es die Dinger nicht im Laden gibt.
Roger: Nun, ich denke, das verstehen Sie noch nicht. Uns geht es um Individualraucher; Menschen, die besondere Zigaretten nur an einem besonderen Ort zu besonderen Anlässen rauchen. Dadurch werden sie selbst zu etwas Besonderem.

EVOLVER: Die Kosten für Vertrieb und Vermarktung beschränken sich dann wohl auf die Aufwendungen für Ihr Gehalt?
Roger: Den Rest können wir in die Qualität des Produkts investieren.

EVOLVER: Darf ich noch eine haben?
Roger: Gerne! (reicht eine weitere)

EVOLVER: Sie sprechen immer im Plural - wie viele Mitarbeiter hat denn "Excent"?
Roger: Die "Hanse Tabak Exquisit Produktions GmbH & Cie." ist ein, sagen wir, sehr überschaubares Unternehmen.

EVOLVER: Operieren Sie immer in Hamburg? Mir scheint es, als hätte ich Sie dchon einmal in Berlin gesehen...
Roger: Nun, ich bin in den Clubs und Discos der ganzen Republik zu Hause.

EVOLVER: Wohnen Sie nicht auch in Berlin-Schöneberg?
Roger (erfreut): Ja, in der Akazienstraße. Sie kennen die alte Heimat?

EVOLVER: Natürlich, da hatte ich einmal eine Kemenate.
Roger: Tja, inzwischen lebe ich in Hamburg. Ich habe hier eine Penthouse-Wohnung.

EVOLVER: Jetzt weiß ich auch, warum Sie mir so bekannt vorkommen!
Roger: ???

EVOLVER: Sie haben beim Zeitungskiosk in der Belziger Straße immer unglaubliche Mengen an Tabak und Papers...
Roger: Ich möchte an dieser Stelle nicht mehr weitermachen. Ich habe noch was Dringendes zu erledigen!