zurück zum
INHALTSVERZEICHNIS...










"?W"
Significance 

GB 2001

Label/Vertrieb:
Polygram/Universal

Wertung:
øøøøø

 

 

 
 
 
 
 

Viele Musiker haben bereits versucht, die Geräusche des Alltags und der Welt, die uns umgibt, auf Tonträger zu bannen. Einer britischen Band, die mit ihrer ersten Single einen Überraschungserfolg verzeichnete, dürfte es endlich gelungen sein. Benny Denes entdeckt "RealityCore".
 
 
 

"?W"
The Sound of Silence
 

Konstruktivistische Kulturtheorien erfreuen sich in den Zeiten von "Big Brother" wieder größter Beliebtheit. Daß jetzt allerdings auch auf der Senderseite des Kommunikationsprozesses so gedacht wird, wußte ich bis vor ein paar Tagen nicht. Dann jedoch fuhr ich nach Hamburg, um eine neue - von der Plattenfirma als "next big thing" bezeichnete - Band zu treffen.

In den großzügigen Räumlichkeiten von Universal Records haben sich fast 100 Journalisten eingefunden, um das neueste Signing der Plattenfirma kennenzulernen. "?W" ist der ungewöhnliche Name einer Band aus London, deren Musik man beim besten Willen nicht beschreiben kann. Seit dem Herbst 2000 trudeln in allen Redaktionen Lyrics der Gruppe und Promotiontexte über die fünf Musiker ein, in denen der Sound von "?W" mit Oasis, Prodigy und Limp Bizkit verglichen wird. Die Jungs haben bisher erst eine Single veröffentlicht, die aber inzwischen restlos ausverkauft ist und die keiner der an diesem Tag anwesenden Interviewer gehört hat.

"Above Reality" verkaufte sich allein in England 250.000mal - und das gleich in der ersten Woche. Dadurch standen "?W" auf Platz eins der UK-Singlecharts, ohne daß ihr Song im Radio Airplay erhalten hätte. Im britischen Programm von MTV lief zwar das Video zum Song, allerdings stets ohne die dazugehörige Tonspur. Sehr merkwürdig, das Ganze - und so hoffte ich auf ein paar Klangschnipsel, als ich mein Interview mit Bassist Gabriel endlich beginnen durfte.

"Tut mir leid!" sagte der 27jährige schulterzuckend auf meine Frage nach einem Promotape. Offensichtlich hatte man nicht vor, das Geheimnis um den Sound zu lüften. Das war schon eine ziemlich ungewöhnliche Situation, also mußte ich versuchen, dem Musiker die Würmer aus der Nase zu ziehen. Welche Instrumente sind denn bei euch vertreten? "Gitarre, Baß, Schlagzeug", antwortete Gabriel. Er sieht wie einer dieser Soap-Darsteller aus, aber bestimmt nicht wie einer von Prodigy oder Motörhead, die von "?W"s Label ebenfalls als wichtiger Einfluß angegeben wurden.

"Keyboard, Oboe und Sampler benutzen wir übrigens auch", fügt Gabriel hinzu. "Eigentlich verwenden wir jedes Instrument, das du gern magst." Er spricht weiter, und langsam wird deutlich, was hinter "?W" steckt. "Unser Sound ist der, der hier gerade in der Atmosphäre ist. Hörst du nicht die Melodien, den Rhythmus?" Bei seinen Worten wird mir klar, was er meint. "Unsere neue Single wird '1st Sex' heißen, das ist der Klang vom ersten Mal. Wird garantiert ein Verkaufsschlager!" Das Debütalbum von "?W" wird - so Gabriel - als CD-Rom und DVD erhältlich sein und eine völlig neue Form audiovisuellen Entertainments darstellen. Zum Schluß wollte ich von Gabriel wissen, wo man im Plattenladen nach den Scheiben von "?W" suchen muß. Er lachte: "Jedenfalls nicht unter 'New Age'; am besten siehst du unter 'Rock/Pop' nach. Vielleicht schaffen wir aber auch neue Jobs: 'Abteilungsleiter für RealityCore gesucht' - das wäre echt cool!"

ALBUM-REVIEW

Mit besonderen Erlebnissen im Leben verbindet jeder Mensch eine Erinnerung. Diese Erinnerung wird durch alle Sinne realisiert. Für visuelle Eindrücke gibt es Photos, für die Nase ein Parfum, und für die Ohren haben "?W" die richtigen Reize parat. Auf dem Debütalbum der Musiker aus Leeds befinden sich knapp 70 Minuten Stille mit subtilen Klangcollagen, die mehr aus der Vorstellungskraft des individuellen Hörers resultieren als aus konkreter Tonerzeugung. Das Bildmaterial, das sich mit auf dem Datenträger befindet, hilft dem Rezipienten bei der Erinnerung an bestimmte Augenblicke. Dieses Album ist etwas wirklich Neues - es bleibt aber abzuwarten, was "?W" als nächstes folgen lassen. Vielleicht "Musik für Taube"?
  

Benny Denes