Editorial_Kolumne: Autoren, die die Welt nicht braucht #47

15 Typen schreibender Menschen, die Sie nicht kennen müssen

Sinnvoller als Bücherverbrennungen sind eigentlich nur Manuskriptverbrennungen. Noch besser wäre freilich, das Schreibpapier schon abzufackeln, bevor sich Poesie und Prosa darauf niederlassen können. Die Wurzel allen Übels aber sind die Schreibenden.    01.07.2019

Manche öffnen ihren Webbrowser ja nur mehr in der Hoffnung, irgend jemand könnte endlich mal das blöde Internet abgeschaltet haben, denn dort landet inzwischen ja zwangsläufig alles, was geschrieben wurde.

Beginnen wir bei der Wurzel allen Übels: dem Schreiben an sich. Schreibende tun es, soviel ist sicher und manchem wahrscheinlich schon bekannt. Aber warum? Unsere umfassende und evidemenzbasierte Forschungsarbeit gibt Auskunft und stellt vor: 15 Schreiber-Typen (w/m/d), die Sie lieber nicht kennen wollen (im nachhinein [!] abwechselnd gegendert, nur so zum Spaß, und wahrscheinlich die weltweit erste Kolumne, die kühn derlei wagt).

 

1. Der therapeutische Schreiber

Einige hatten eine traumatische Kindheit, leiden an der Welt und der Absurdität des Lebens. Jetzt beflecken sie Papier mit Tinte oder Toner, um sich etwas von der Seele zu schreiben. Sie können nicht anders, denn sie sind die therapeutischen Schreiber.

Leider fehlen heute pflichtbewußte Anti-Psychologen, die Autoren wie diese darauf hinweisen, daß finstre Depressionen besser in der Seele bleiben sollten. Jedenfalls sollte man sie nicht bedenkenlos in die unschuldige Restwelt hineinpublizieren, wo sie die heiteren Gemüter der Sitcom-Seher betrüben könnten.

Merke:

  • Seelen sind der natürliche Aufbewahrungsort von Sondermüll wie Gram, Melancholie und Weltschmerz.
  • Bücher sind der natürliche Aufbewahrungsort von Schätzen wie Wörtern und Sätzen, gelegentlich Geschichten.

(Übrigens: Suizid ist viel wirksamer als Lyrik, wir empfehlen ihn natürlich trotzdem nicht.)

 

2. Die missionierende Autorin

Bücher sind, je nachdem, wen man fragt, auch der natürliche Aufbewahrungsort von Visionen und Messages. Schuld daran sind die missionierenden Autorinnen.

Rettet die Hellblaukuschelbärin!

Stoppt das Massaker des Wurzelnässetapirs an der ödschnarchianischen Wurzelnässepilzin!

Die Prosa, oft auch Lyrik dieser tastaturklappernden Botschafterinnen ist voll von aussterbenden Tierarten und von Naturschutzgebieten, denen schurkische Kapitalistinnen ans unschuldige Holz wollen. Meist formulieren sie ihren #Aufschrei in der Toskana oder der Route d´Azur oder an ähnlich authentischen Orten, natürlich in Moleskine-Büchlein (Sondereditionen), dabei am Spritz Aperol oder Rosé de Provence nippend. (Ich weiß, wovon ich spreche.)

Wird die missionierende Autorin nicht freiwillig verlegt, verlegt sie sich selbst. Das ist nicht das Schlechteste: Immerhin hat diese Autorin uns etwas Wichtiges zu sagen. (Es interessiert bloß niemanden.)

 

3. Der verhinderte Autor

Einige Autoren verbringen Jahre damit, nicht verlegt zu werden, aber dennoch ständig angestrengt über ihre (meist ungeschriebenen & unverlegten) Werke zu palavern. Jeder von uns kennt so einen, leider, jedenfalls alle, die mich kennen.

Jedem gutmütigen und wehrlosen Zuhörer in Schallreichweite läßt der verhinderte Autor eine larmoyante C120-Kassette ins wehrlose Tape-Deck schnappen. (Btw: Ich kann Ihr Alter schätzen, ohne Sie zu kennen! Wenn Sie die Begriffe "C120-Kassette" und "Tape-Deck" nicht verstanden haben, sind Sie jünger als 50 und verweigern sich dennoch der aktuellen analogen Gegenkultur.)

Die leiernde Litanei begründet, warum er noch nicht angefangen hat, und verkündet, daß es aber bald losgehen werde. Dann, so sagt er, dann hört er auf zu planen, ja-ha!, dann packt er es an, dann steigt er ein, dann zieht er in den "Federkrieg", peitscht "es" durch, knallhart.

 

Bald.
Ab morgen.
Nächstes Wochenende.
Im Urlaub dann.
Wenn die Kinder aus dem Haus sind.
Sobald er halt mal Zeit findet.
Sobald die Ablenkungen weniger werden.

Sobald die Regierung wechselt.

Wenn er in Pension geht, dann bestimmt.
Oder wenn er einen anderen Job hat.
Oder mentale Ruhe.

Oder im Lotto gewonnen.
Ganz bestimmt: Nach dem nächsten Urknall geht´s los.

 

Man könnte auch sagen: Der verhinderte Autor ist der einzige Mensch, der schon vor der ersten Zeile an Burnout plus Schreibblockade leidet. Und das meist jahrelang.

Schließlich stirbt er irgendwann, der verhinderte Autor. Gut so. So bleibt der Welt die schriftliche Hinterlassenschaft dieser Pfeife erspart.

 

4. Die Heimlichtuerin

Nicht jede Autorin stirbt früh genug, um uns ihre Werke zu ersparen. Aber es gibt gottlob andere Wege. Die geht die verheimlichende Autorin.

Die schreibt tatsächlich etwas.

Leider nichts Lesenswertes.

Am Ende ihrer fruchtbaren Phase plätschert in das verkalkte Urinal ihrer Phantasie ein Werk, das in etwa so klingt:

 

Er: "Hallo, Schatz."

Sie: "Hallo. Wie geht es dir?"

Er: "Mir geht es gut. Und wie geht es dir?"

Sie: "Mir geht es auch gut."

Er: "Das ist schön."

Sie: "Finde ich auch. Ich habe dir ein Schnitzel gemacht."

Er: "Ein Schnitzel! Toll! Oh, wie ich es liebe!"

Sie: "Und ich liebe dich ..."

 

Die verheimlichende Autorin hegt, nicht ganz zu Unrecht, den vagen Verdacht, daß dieser mittelmäßige Mist es niemals durch ein Lektorat schaffen wird, selbst wenn dieses vorher durch Koks und Callboys milde gestimmt wurde. Daher verheimlicht diese Autorin ihr Werk einfach.

Fragt man sie, warum sie ihr Werk noch nicht veröffentlicht hat, antwortet sie ganz bescheiden, ihr Werk sei noch nicht reif für die Welt, oder umgekehrt sei die Welt noch nicht reif für ihr Werk, oder vielleicht sei beides nicht reif füreinander, oder die Bananen im Kühlschrank wären noch nicht reif oder was weiß ich. Jedenfalls müsse man den getippten Schinken nochmal an den Haken hängen, vulgo den Text in die Schublade legen.

Das Geheimnis der verheimlichenden Autorinnen bleibt, durch welche Magie ihre Texte in den untersten Schubladen von selbst reifen - "Überarbeitung" kann es nicht sein.

 

5. Der Schnitzeljäger

Der notizensammelnde Autor produziert am laufenden Band. Er liest Lichtenberg und Sudelhefte. Er beschreibt Notizbücher, Schreibblocks, Zettelkästen und Filofaxe. Er hatte alles: Notebooks, Subnotebooks, Netbooks, Palms, Psions und PocketPCs, neuerdings Tablets und iPads, natürlich alle mit Extra-Tastatur, sowie Retro-Notizbücher aus Papier.

Er notiert unablässig den Text, den er produziert (meist, während er zusätzliche Textmengen verbal und gestisch ausscheidet), auf Servietten, Bierdeckeln und auch auf Klopapier, deren Schnipsel er sorgsam in Scrap-Books sammelt.

Selten kommt ein druckreifer Roman dabei heraus. Aber zwischen den zweihundertsechzehn Ideen für Romane, den sechshundertachtunddreißig Kurzgeschichtenskizzen und all den protokollierten Reality-Bits finden sich genug Fragmente, um zig Romane zu füllen.

Bald, demnächst (siehe "Der verhinderte Autor").

 

6. Die Überarbeitungs-Maniacs

Das völlige Gegenteil ist die überarbeitende Autorin. Diese hat schon mal was geschrieben, sagen wir: eine nicht zu kurz geratene, hellsichtige Kolumne über Schreiberlinge.

Diese überarbeitet sie seit Jahren.

Sie benutzt dazu eine Schreibmaschine oder einen Bleistift 5H („Hart muß er sein, so wie das Leben!“) und schreibt diesen Text mindestens 876mal ab. Die Qual des Abschreibens, so die Argumentation, zwänge sie, sich bei jedem Satz zu überlegen: „Lohnt sich das Abschreiben? Ist dieser Satz nötig, jenes Wort dort? Soll ich es wagen, diesen Satz dort so zu sagen? Ließe er sich auch vermeiden? Könnt´ ich ihn auch besser schreiben? Sähe das Fragezeichen hier nicht besser aus als dort?“

Immerhin: Anders als die verhinderte Autorin produziert die überarbeitende Autorin tatsächlich Texte.

Allerdings nur wenige.

Und die sind noch nicht fertig.

Die müssen noch reifen.

Noch ein paar Mal überarbeitet werden. Perfektioniert.

Das dauert noch.

Aber nicht mehr lange.

Dieses Mal ist es ja das letzte Überarbeiten.

Behutsam einige Buchstaben ändern, hier ein cleveres Anagramm einfügen, dort ein ganzes Kapitel postmodern aufhübschen, etwas Subtext einrühren, noch eine Anspielung unterheben, kurz vor Schluß noch ein idiotisch verqueeres Gendering einführen. Dann ist es fertig.

Fast.

Bloß noch ein letztes Mal drüberlesen ...

 

7. Der Feedback-Junkie

Deutlich lästiger als alle bisherigen Zeilenschinder ist der Lies-das-mal-Autor. Er schreibt tatsächlich Texte, was ja schon mal ganz ehrenhaft ist. Und diese Texte müssen nicht mal schlecht sein - aber ach, der Feedbacksüchtige gibt seine Traktate ständig seinen Mitmenschen zum Lesen, mit der Bitte um "Feedback", natürlich "kritisches".

WARNUNG: Wehe, Sie geben Feedback, erst recht kritisches!

Alles außer "Hat mich tief bewegt", "Sehe die Welt jetzt mit anderen Augen", "Bis gestern wußte ich nicht, was Lesen wirklich bedeuten kann" etc. deutet der Resonanzabhängige als vernichtende Kritik.

Eine Steigerung ist der beifallheischende Autor. Ihm genügt es nicht, nur publiziert zu haben oder Feedback von Freunden zu kriegen. Ihm geht es um öffentliche Reviews und Kritiken, um Tweets und Shares, um Backlinks und Berichterstattung. Er aktiviert Hinz und Kunz, um ein massives Aufgebot an Amazon-Kritiken zu erzielen, und scheut auch vor Ich-rezensiere-dch-und-du-dafür-mich-Netzgruppen nicht zurück.

Zur Not leistet er sich Dutzende von Sockenpuppen-Doppelidentitäten, um in zahlreichen Amazon-Kritiken den Facettenreichtum seines Werkes zu besingen. (Er schreibt sogar seine eigenen Verrisse, damit er das Gefühl bekommt, authentisch-kritisches Feedback zu erhalten.) (Betrachten Sie bitte auch die üblen Verrisse meiner Bücher mit dieser Information im Hinterkopf.)

 

8. Die geltungsbedürftige Autorin

Die geltungssüchtige Autorin hat eigentlich überhaupt kein Interesse am Schreiben. Die Schreibarbeit ist ihr eine lästige Pflicht, die sie möglichst schnell hinter sich bringen möchte. Man sollte daher auch das Gute an geltungsbedürftigen Autorinnen sehen: sie sind pflegeleicht. Die Lektorin darf einfach alles ändern, Hauptsache, der Mist erscheint irgendwann irgendwo.

Wichtig ist dieser Autorin nämlich nur, veröffentlicht zu haben. Trifft man sie auf Partys, gesteht sie nicht etwa, irgendwo am Fließband Axialkolbenmotoren zu montieren oder Versicherungsmathematikerin zu sein. Nein, sie sagt: "Ich bin Schriftstellerin."

Was bedeutet: Sie hat ein Buch geschrieben.

Eines.

Und damit es möglichst wenig Mühe macht: ein kurzes. Und auch das kam vielleicht von einer Ghostwriterin (siehe dort), weshalb es überraschend gut sein kann.

(Nur am Rande erwähnt sei die Sonderform der Abschreiberin, die sich von Vorlagen mehr "inspirieren" läßt, als für eine "Hommage" gesund ist ...)

 

9. Der Ghostwriter

Apropos Ghostwriter: Der schreibt, weil er von irgendwas leben muß. Dieser unbekannte Arbeiter im Schatten ist der einzige Autor, vor dem Sie Achtung haben sollten.

Ähnlich wie Kunstfälscher beherrscht er seine Kunst und sein Handwerk besser als alle anderen. Ob PR oder Hochzeitsgedicht, ob Website oder Werbebroschüre, ob Biographie oder Sachbuch-eines-Promis: Als Ghostwriter geht es ihm nie um Ruhm & Eitelkeit, denn als Söldner des Wortes schreibt er alles, über alles und jeden, in jeder gewünschten Form und mit jeder bestellten Meinung oder Haltung.

Aber mal was Eigenes schreiben?

"Warum sollte ich sowas tun?" fragt der Ghoster dann und: "Das läßt die Auftragslage nicht zu." (Außerdem, glauben Sie mir: Wer hauptberuflich schreibt, möchte irgendwann nur noch wandern, musizieren oder töpfern.)

 

10. Die professionelle Autorin

Die Bestseller-Autorin bzw. die professionelle Autorin schreibt, um Erfolg zu haben, und zwar kommerziellen. Schreiben ist harte Arbeit, das weiß sie (und bei Gott: Was Sie hier lesen, war es auch!), und dabei soll wenigstens ordentlich Asche rüberwachsen. Daher schreibt die Bestseller-Autorin vor allem das, was "der Markt" haben will.

Was ist denn derzeit angesagt? Fantasy? Kann sie.

Fantasy - was ist das überhaupt? Ach ja, irgendwas mit Drachen, Schwertern, Zaubersprüchen. Baut sie ein, check. Wer liest das, vor allem Frauen? Also muß es eine Heldin sein, und natürlich muß eine Lovestory auch vorkommen, check. Männliche Leser könnten das auch mal lesen wollen, die wollen bestimmt 90-60-90 und Heilige & Hure in einem. Ab und zu romantische Sexszenen im lila Schein des Zaubermondes Fenrandil, check.

Normale Fantasy ist abgelutscht? Dann wird das eben eine Ex-Prostituierte und Ex-Auftragskillerin mit Schwert, die aber ein Herz aus Gold hat. Check. Das Schwert kann was Magisches, check, außerdem Background-Story erweitern um "irgendwas mit einem alten Artefakt eines versunkenen Volkes", check.

Ach, Fantasy geht nicht? Dann Krimi.

Sollte in einer interessanten Gegend spielen, Los Angeles, Venedig, irgendwas mit total authentischen Leuten, check. Regionalkrimis sind hip, also doch eher irgendwo am Arsch der Welt, Cornwall, St. Pölten, Villeneuve-Vielleville, check. Und irgendwas mit Essen, am besten kocht die Ermittlerin täglich was, und ein Blog gibt dazu Rezepte raus, check, kann man extra verkaufen, check.

Irgendwie zu harmlos, ein Krimi-Thriller wäre besser, also Serienmorde, check, an Frauen, check, möglichst brutale und irre Morde, doppelcheck: DER BRUSTIMPLANTAT-SCHLITZER VON MARIAHILF, DER DURCH DAS FENSTER VERSCHWAND, check. Dazu ein geiles Pseudonym wie Karin Butcher, check.

Perfekt positionierte Ware!

Ach, wenn es nur ein Programm gäbe, das die zähe Arbeit des Schreibens übernehmen würde ... gab es da nicht diese Ghostwriterin?

 

11. Der Literat

Irrtümlicherweise glauben einige Nicht-Literaten, daß die Texte, die sie lesen, für sie, also "das Publikum" geschrieben wurden. Das liegt daran, daß die meisten Autoren, die man "kennt", zum obengenannten und zu Recht populären Typ des Bestseller-Autors gehören.

Doch nur beim Profi ist das wirklich so, nur er schreibt für den Leser.

Der Literat tut das nicht. Den literarischen Autor kennt deswegen auch keine Sau. Dafür schreibt der aber, glaubt er, die besseren Texte - denn er schreibt er sie eben nicht für das (literarisch ohnehin ahnungslose) "breite" (das sagt ja schon alles!) Publikum.

Eine wie auch immer geartete Leserschaft könnte sein Zeug eh nicht ertragen, weil seine Werke (teils absichtlich, teils wegen Unfähigkeit, zuweilen wegen beidem) meist unlesbar sind. Und weil sie daher unverkäuflich sind, möchte sie auch niemand verlegen.

Aber gerade das spricht ja (wirklich!) für die Werke des literarischen Autors: dieser totale Verzicht auf jedwede kommerzielle Verwertbarkeit, diese Revolte gegen jene banale Verzweckung, welche hehre literarische Objekte auf jene Sau namens "Content" reduzieren würde, die gerade durch alle Vermarktungsdörfer der Welt gepeitscht wird. (Die Wahrheit ist, dass der Ghostwriter das eh besser kann.)

Selten, ganz selten, wird dieser Autor ein "Kult-Autor". Das bedeutet, daß durch irgendeinen Zufall plötzlich alle der Meinung sind, diese Texte lesen zu müssen (ach, wäre es nur bei mir endlich soweit!). Daher wird er plötzlich doch im Mainstream verlegt, alle loben die "kultige" Perle und versichern einander, wie toll das ist und wie schäbig doch Verlage, Lektoren und all die anderen waren, die keine Ahnung hatten und deswegen dieses Zeug nicht schon früher verlegt hatten (ihr blöden Banausen!). Ganz abgesehen von der ursprünglichen Übersetzung, puh, was für eine Schlamperei ...

Normale Menschen lesen das dann irgendwann - und fragen sich, warum der fade Scheiß plötzlich so gehypet wurde, posten aber in sozialen Medien sicherheitshalber, wie toll es war.

 

12. Die Journalistin

Die journalistische Autorin schreibt nur für Geld und ist ansonsten inhaltlich frei von jeder Vorbelastung, die Fakten und Know-how mit sich brächten. Bis die Seite voll ist, formuliert die "5-Euro-Nutte" frei von der (mit Grund geschwollenen) Leber weg, was ihr zu Weltfinanzen, Weltpolitik, Sport und Kunst einfällt. Hier hat die Zeilenschinderin viel mit Stammtischpolitikerinnen und Fußballfans gemein, die ja auch immer alles besser wissen als Fußballerinnen und Politikerinnen.

In ihrer Sonderform Rezensentin verreißt sie alles, von dem sie glaubt, sie hätte es selber besser schreiben können. (Ergo alles.) Sie ignoriert hingegen alles wirklich Gute, weil sie glaubt, den dummen Leserinnen solch schwierige Sachen nicht zumuten zu können, teils auch, damit ihr armseliges Geschreibsel im Vergleich nicht als solches auffällt.

Manifestiert sich die Journalistin als Redakteurin, hält sie ein magisches Feld an ihrem Schreibtischstuhl gefangen und blockiert ihr Telefon - sie hofft dann einfach, daß freie Autorinnen sie in allen Arbeitsschritten einschließlich Briefing, Recherche und Qualitätssicherung umgehen und direkt ans Layout liefern. Greift die Redakteurin ausnahmsweise in einen Text ein, so stets entstellend: Den Text einer freien Autorin in sein schlecht geschriebenes Gegenteil zu drehen, begreift die Redakteurin als Nachweis der Notwendigkeit ihrer Existenz.

 

13. Der Blogger

Eine vorübergehend beliebte Sonderform des Journalisten ist der Blogger, der Aspekte des Selbstverlegers und des Missionars in sich vereint. Vor allem der analfixierte Blogger haßt Journalisten, weil die dasselbe machen wie er, dafür allerdings bezahlt werden ("fürstlich", wie er glaubt; hahaha!). Daher verbringt er unentgeltlich Wochen damit, Artikel, die in ohrenbetäubende Großraumbüros eingepferchte Journalisten für wenig Geld in Stunden runtergerissen haben, im stillen Kämmerlein sorgfältig nachzurecherchieren und akribisch all die Fehler zu dokumentieren, in deren gedruckte Form schon letzte Woche der Fisch eingewickelt worden war.

Dem Blogger ist einfach nicht klar, daß journalistische Texte flüchtige Wegwerfwerke von eher unterhaltender Natur sind und die Mühe (s)einer Analyse gar nicht lohnen. Man vergleiche: Um sie zu trocknen, würde doch niemand nasse Schuhe mit Pornoheftpapier oder den Gedichten von H. C. Artmann ausstopfen! Sowas macht man eben nur mit Zeitungen, und was sagt dir das, du Narr?!? 

Aber der Blogger ist eben zornig, meist zu recht, weil Journalisten ständig bei ihm abschreiben oder ihm seine Ideen klauen, was halb so schlimm wäre, wenn sie damit nicht ein viel größeres Publikum erreichen würden und "fürstlich" bezahlt würden (wieher!).

Die meiste Zeit verbringt der Blogger damit, andere Blogger zu lesen, vor allem solche, die zu den Themen Bloggen und Social Media bloggen und die zum Versagen der Medien (gemeint sind: alle Medien außer Blogs und Social Media) die gleiche Meinung haben wie er selbst. Ihnen gibt er in Kommentaren (auf diesen Autor kommen wir noch) lauthals recht, meist in der Hoffnung, Backlinks würden auf seinen Pagerank einzahlen. Weil ihm deswegen die Zeit für eine echte Zeitung fehlt, kauft er keine - die deswegen sinkenden Auflagen besingt er regelmäßig in Blog-Artikeln, die das Ende des Journalismus verkünden und denen dann andere Blogger recht geben (natürlich nur, um ihrerseits Backlinks zu kriegen). Dabei wird er leider immer blöder, weil er nur noch den dünnen Auswurf liest, den die Umsonst-Medien ins Web würgen, und auch den nur durch die Filterblase seiner Content-Curation-Startups.

Eine Sonderform ist der faule Blogger, kurz: Microblogger, der nur noch gekürzte Links re-tweetet und gegrunzte Comic-Laute wie #ungh, #BLAM und #ZAP für die Zukunft der zwischenmenschlichen Kommunikation hält. Andere Microblogger, die meist Bilder von Rollfeldern und Rolltreppen publizieren, aber einmal im Jahr zufällig frisch vom Blutbad ein Handy-Foto twittern, hält er für anständige Bürgerjournalisten und die Zukunft des transmedialen Echtzeitregionaldatenjournalismus. Journalisten, die das gleiche tun, nur eben in Zeitung und TV, hält er für zynische, kaltschnäuzige "Draufhalter".

Der neue König dieser Zunft ist derzeit der "Influenzer": Er produziert in einer Tour Selfie-Bilder und Videos, in denen er sich Zeug ins Gesicht schmiert, das andere sich kaufen sollen, oder Turnschuhe spazieren trägt, die andere sich kaufen sollen, oder sonstwas ins Internet hält, das andere sich kaufen. Man könnte meinen, tiefer könne man nicht sinken, aber es gibt ja noch:    

 

14. Die Feuilletonistin

Den untersten Bodensatz aller Schmierulantinnen bildet die feuilletonistische Autorin, die oft als Kolumnistin in Erscheinung tritt, die die Welt nicht braucht.

Wie der Journalistin ist ihr die Wirklichkeit egal. Wie die eitle Influenzerin will sie vor allem den Leserinnen gefallen. Wie der Ghostwriterin ist ihr das Thema wurst. In der Schublade vergammeln ihre Notizzettel für ungeschriebene Werke, denn der Veröffentlichungsdruck einer Kolumne alle paar Wochen hindert sie - genau wie die verhinderte Autorin - daran, diese endlich in Romanform niederzuschreiben. Weil sie ewig ihre dürftigen Kolumnen überarbeitet, erscheinen diese nie pünktlich – dafür aber ausschweifend lang (um die 21.000 Zeichen, das sind mehr als 15 Buchseiten!).

Inhaltlich dreht es sich um nichts, der Text dient eigentlich nur der Therapie ihrer erbärmlichen Psychosen, für deren zielführende Analyse ihr allerdings Verstand und Bildung fehlen. Immerhin bedient sie sich beim Verfassen ihrer Elaborate der effektheischenden Tricks und Kniffe der kreativen Schreiberinnen, um Leserinnen bei der Stange zu halten. Zum Beispiel liest sich der oben bereits vorgestellte, dort höchst öde Dialog bei ihr wie folgt:

 

Sie: "Na? Auch schon da?"

Er: "Einer muß ja die Kohle ranschaffen, die du für Fairtrade-Bio-Scheiß rauswirfst."

Sie: "Wer hat mir denn den Job verboten, bloß damit er vor seinen Saufkumpels damit angeben kann, seine Frau müsse nicht arbeiten?!"

Er: "Was du so arbeiten nennst! Karriere in 'Was mit Medien' machen oder 'Influenzerin werden'. Da lach´ ich mich doch scheckig, als ob dich Flitscherl einer haben wollte. Du willst doch bloß anschaffen gehen! Und die Dumm-Glotze soll dann unsere Kinder erziehen, was?"

Sie: "Geborene Überflüssige-Versicherung-Untersachbearbeiter wie du verpfuschen sie auch nicht besser. Ich bezweifle übrigens, daß es deine sind, ich kann mich nicht erinnern, unter deiner hängenden Wampe je das Minimum gesehen zu haben, das nötig wäre, um den Begriff Penetration zu rechtfertigen."

Er: "Wirst du auch nie sehen, solange du auf Kriegsverdunkelung im Schlafzimmer bestehst - und der Autostrich ist nicht nur billiger und williger, sondern auch hygienischer als du. Apropos übel: Ist wenigstens mein Abendessen fertig, das verdammte, weil vegane Schnitzel?"

Sie: "Ist das alles, was dich interessiert? Dein blödes Stück Fleisch?"

Er: "Ein Stück Trost! Immerhin ist mir heute mein Hoden amputiert worden!"

Sie: "Kein Verlust für den Genpool ..."

 

Und so weiter. Das kann die kreative Kolumnistin, weil sie zig So-werte-ich-Dialoge-auf-Bücher gelesen hat, viele Schreiben-lernen-Bücher las und inzwischen Kreativ-Schreiben-Kurse gibt (gerne auch für Sie!), für all die anderen gescheiterten Schmierfinkinnen. Sie kennt daher alle Tricks und Finessen. Doch anders als die verhinderte und die verheimlichende Autorin schafft es die Kolumnistin, ihre Texte irgendwann irgendwo zu veröffentlichen. (Und auch das tun Netzzeitschriften wie der EVOLVER nur, damit sie endlich Ruhe gibt.)

 

15. Das Kommentierende

Ein Rädchen im Getriebe fehlt noch*: die kommentierenden Schreibenden. Stets sind sie anderer Meinung. Alles wissen sie besser. Nie lesen sie zwischen den Zeilen, für Grau- und Zwischentöne sind sie blind, und eine liebevolle Würdigung menschlicher Unzulänglichkeiten können sie nicht von einem gemeinen Pamphlet unterscheiden.

Immer fühlen Lesende sich persönlich beleidigt, nie sparen Kommentierende aber an eigenen persönlichen Beleidigungen, Unterstellungen oder "mutigen Theorien" aus dem Reich der Leichtmetallkopfbedeckungstragenden.

Also nur zu: Schreiben Sie schon Ihren Kommentar! (Als ob mich der interessieren würde ... oder doch?)

 

* Ach, es fehlen noch so viele: die Lektoren, die Noch-einen-Krimi-obwohl-schon-der-letzte-so-fade-war-Zwangsschreiberinnen, die Fanfictionverfasser etc. pp.; sehen Sie es mir nach, dass ich ausgerechnet Sie vergessen habe.

 

--

Das Bilderrätsel:

Wer behauptet das?

Andreas Winterer

Kommentare_

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #55

Aussterben, Toxoplasma gondii & Coronuminatus!

Das Ende war verführerisch nah, aber leider geht die Welt schon wieder nicht unter. Irgendwie mindestens teilbedauerlich. Eine Bestandsaufnahme mit tagebuchartigen Einsprengseln und völlig unbegründeten Hawaii-Erwähnungen.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #54

Ulysses versus Bonanza

Einsames Aufräumen ist das gemeinschaftliche Feiern unserer Zeit. Entsprechend miste auch ich ununterbrochen aus - Medien zum Beispiel, weil die sowieso verzichtbar sind. Vor allem Bücher werden völlig überschätzt.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #53

Sie müssen heute mal ohne diese Kolumne auskommen

Einige wenige Wohlgesonnene, es werden wöchentlich weniger, warten seit gefühlten Äonen auf diese neue Kolumne - und dabei wird es auch bleiben, und ich rate sowieso ab.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #52

Entfolgen: einer der wenigen Vorteile des Alters

Immer wieder ist von junger Literatur die Rede, und wenn davon die Rede ist, dann nicht von uns. Und das ist nur einer der vielen Vorteile des Alters, über die unser gealterter Star-Kolumnist Sie heute informieren wird.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #51

Kolumnist schreibt erstmals was zu K2-18b auf unnötigen Kanälen

Wenn Sie nicht wissen, was "Social Media" oder "K2-18b" sind, dann können Sie eigentlich gleich aufhören zu lesen. Aber auch sonst raten wir wie immer von der Lektüre dieser irrelevanten Kolumne ab, in der es zwar heute mal um was geht, aber um nichts Wichtiges.  

Kolumnen
Kolumnen, die die Welt nicht braucht #50

Das Leben ist ja doch ein Ponyhof!

Immer wieder fallen uns Sprachzombies mit halbverrotteten Phrasen an. Zumindest dieser einen sollten wir einen Headshot verpassen.