Editorial_28. 4. 2003

Die Milliarden-Semmel

Mittlerweile gibt es kein Geschäft mehr, das nicht mit Kundenkarten und Sammelaufklebern um Kundentreue wirbt. Auf sowas fallen wir natürlich prompt herein.    28.04.2003

Liebe EVOLVER-Leser und -innen!

 

Wenn etwas Tradition hat auf diesem Planeten, dann nicht Wahlbetrug und Seitensprung, sondern das Rabattmarkenkleben. Rabattmarken gibt es, seit ich denken kann (vermutlich sogar, seit der Gott der Hebräer die Wasser oberhalb und unterhalb des Gewölbes trennte und damit den Regen erfand). Früher, als es noch diese gewerkschaftliche Mächtigkeitsballung des Einzelhandels - genannt "Konsum" - gab, war das alljährliche Zusammenzählen der Einkaufsrechnungen ein nicht nur im ländlichen Raum verbreitetes Ritual, das gesellschaftlich höher bewertet wurde als Weihnachten oder der erste Samenerguß. Es war schier unglaublich, wieviel Geld man sich als Konsum-Genosse wieder zurückholen konnte (und noch um einiges unglaublicher, wieviel Geld man in der Zeit, die man mit dem Suchen und Sortieren der Kassabons beschäftigt war, mit ehrlicher Arbeit hätte verdienen können). Leider ging die unendliche Konsumgeschichte dann aber doch vorzeitig bankrott, weil der damalige Generaldirektor nicht gut im Kopfrechnen war und das genossenschaftliche Computersystem nur rote Zahlen kannte.

Bis heute gab es eine Reihe von Versuchen, das Rabattmarkenwesen auf die eine oder andere Art wieder salonfähig zu machen - wirklich überzeugend ist aber nur die Vorteilskarte, mit der die Bäckerei "Der Mann" ihre Kunden bindet. 30 Marken passen auf eine vollgeklebte Karte, dafür gibt es eine "Köstlichkeit aus unserer Bäckerei" und man darf auch am monatlichen Gewinnspiel teilnehmen. Das System, nach dem die Rabattmarken verteilt werden, ist bestechend logisch: Für einen Einkauf ab 0,7 Euro gibt es einen Punkt, ab sieben Euro erhält man zwei Punkte. Konsequent weitergedacht heißt das: Für einen Einkauf um 7000 Euro sind fünf Punkte fällig; für zehn Punkte muß man Kaisersemmeln im Wert von 700.000.000 Euro einlagern. Wer nicht 30 Tage und Einkäufe auf seine "Köstlichkeit" aus dem Backofen warten will, braucht sein Konto nur um 70.000.000.000.000.000.000.000.000.000 Euro zu erleichtern, und schon hat er was zum Naschen. Weil das "Mann"-Bonussystem nicht nur unruhige Geister langfristig beschäftigt, sondern obendrein auch noch die Wirtschaft ankurbelt, haben wir uns dazu entschlossen, auch EVOLVER-Lesern Rabatt zu gewähren. Wenn Sie uns formlos 70 Cent überweisen, kriegen Sie wegen der hohen Bankspesen gar nichts; aber schon bei sieben Euro erhalten Sie prompt zwei handsignierte Ausgaben des EVOLVER-Newsletter in Ihre Mailbox geliefert. Legen Sie noch ein paar Fantastilliarden drauf, und Sie erhalten obendrein ein Abendessen mit unserem Chefredakteur, als Superbonus in der praktischen EVOLVER-Sammelmappe. Das verstehen wir unter echter Kundenbindung.

 

Kostenlos erhalten Sie jedoch sofort unsere neue Kollektion von Reviews und Stories, bei deren Lektüre wir Ihnen viel Spaß wünschen!

 

In diesem Sinne: Fleißig sammeln!

 

Chris Haderer

(EVOLVER-Redakteur und Vernichter der Zimtschnecke)

 

Chris Haderer

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