Editorial_21. 7. 2003

Drei Engel für Jürgen

Ein Film kann gar nicht so hirn- und handlungslos sein, daß er nicht doch einen findet, dem er gefällt. Und in vielen Fällen ist dieser eine noch dazu EVOLVER-Redakteur.    21.07.2003

Verehrte EVOLVER-Gemeinde!

 

Wann haben Sie zum letzten Mal bei einem Kinobesuch genau das bekommen, was Sie erwartet haben? Um es gleich klarzustellen: Wir reden hier nicht etwa von anständigen Filmen (also solchen, die aus Spanien, Japan oder Korea kommen) und auch nicht von anspruchsvollen (die in Wien meist im Votivkino oder Filmcasino laufen, wo man wegen der Cineastenplage viel zu selten hingeht). Gemeint ist vielmehr das klassische, fettige Blockbuster-Popcorn-Kino aus Hollywood, das in den letzten Jahren mit deutlichen Qualitätsmängeln zu kämpfen hatte. Scheinbar reicht heute eine riesige Werbemaschinerie aus, um den Kunden mit hanebüchenem Unsinn wie "XxX", "Tomb Raider" oder "Matrix Reloaded" dermaßen zu begeistern, daß er seinen Verstand (sofern vorhanden) bei der Garderobe abgibt. Zugegeben, derartige Produktion waren auch früher nicht übermäßig durchdacht - aber seien wir ehrlich: Filme wie "Jurassic Park" oder "Armageddon" erzählen wenigstens solide Eskapismus-Stories; die neueren Zelluloid-Ergüsse hingegen bringen nicht einmal mehr das fertig.

Vorgestern, am Samstag, erlebte der Autor dank boshafter Überredung durch sogenannte Freunde die Ausnahme von der Regel, als er einen einen der Multiplex-Höllenschlünde Wiens besuchte. Nach magenverderbenden Nachos mit Käsesauce und einem Zweiliterbecher eiswürfelverwässerten Colas blickt man ungläubig auf die mehr als sieben Euro teuren Kinokarten mit der kindgerechten Aufschrift: "3 ENGEL FÜR CHARLIE: VOLLE POWER". Genau: Wenn schon Schwachsinn, dann aber richtig und saudumm synchronisiert.

Verantwortlich für das Werk zeichnet derselbe Regisseur wie beim nicht gesehenen Teil 1 (McG, wer nennt sich schon wie ein potentieller Hamburger?), zu sehen sind dieselben Mädels. Bis zu einer saudummen Motocross-Szene kommt aber keine Langeweile auf, und der erste Blick auf die Uhr findet tatsächlich erst eine halbe Stunde vor Schluß statt. Ansonsten kommt man aus dem Staunen nicht heraus. Dieser Film hält tatsächlich, was er versprochen hat: keinerlei Handlung (aber das konsequent), eine plumpe Aneinanderreihung von Szenen mit den drei hinternwackelnden und exotisch kostümierten Grazien plus Demi Moore, John Cleese UND den großartigen Crispin Glover in einer Willardschen Nebenrolle.

Beim Verlassen des Saals hat man trotzdem keinen schalen Geschmack im Mund - oder das Gefühl, sein Geld zum Fenster hinausgeworfen zu haben. Man hat ja genau das bekommen, wofür man bezahlt hat: eineinhalb Stunden hübschen Blödsinn ohne Sinn und Verstand. Muß man nicht gesehen haben, tut aber auch nicht weh.

Und die Moral von der Geschicht? Gibt es keine. Außer, daß Hollywood uns diesmal nicht belogen hat. Der EVOLVER hingegen belügt sie ohnehin nie - außer wenn´s unbedingt notwendig ist.

 

In diesem Sinne:

 

Viel Spaß beim Lesen,

 

Jürgen Fichtinger

(EVOLVER-Redakteur & wortreicher Entschuldiger jeder eigenen Fehlleistung)

 

Jürgen Fichtinger

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