Editorial_16. 8. 2005
Gender-Bender
Frauen an die Macht? Davon wurde die Welt bisher auch nicht besser, wie Christian Haderer weiß. 16.08.2005
Liebwerte EVOLVER-Leser und -innen!
Dieser Tage bewirbt die Wiener Vizebürgermeisterin Grete Laska mit der Prosa einer Postwurfsendung ein Programm namens "Wien ist ... Frauen & Power". Keine Frage, wir sind nicht die Schweiz, und es ist gut, daß sich Frauen ihre Getränke und Männer meistens selbst aussuchen können (wenigstens vor dem vierten Wodka). Trotzdem sei in diesem ersten EVOLVER-Newsletter nach einer mittelprächtiglangen Sommerpause, die wir zur Depressionspflege genützt haben, ketzerisch gefragt: Frauen an die Macht - was hat´s uns gebracht?
Damit wir uns vom Anfang an falsch verstehen: Es gibt eine Reihe von netten Frauen in der Politik, die das "nett" jetzt bitte nicht gutmeuchlerisch falsch verstehen sollen, wie etwa MR (Name der Redaktion bekannt), mit der zu reden immer wieder Spaß macht und interessant ist, und noch eine Reihe andere auch. Wie wir aus der TV-Hexenserie "Charmed" wissen, kann ein Pendel aber in viele Richtungen schwingen. Und genau dort, wo der politisch lautstärkste Ausschlag stattfindet, parken jene Damen, die obige Frage geradezu provozieren.
Nehmen wir beispielsweise Frau Partik-Pablé, der von der Menschenrechtsvereinigung amnesty international, um es einmal nicht klagsfähig auszudrücken, ein doch zumindest diskussionswürdiger Umgang mit Dingen wie Zwangsernährung von hungerstreikenden Asylbewerbern nachgesagt wird. Wie gesagt, ein Pendel schwingt in beide Richtungen - aber wer will schon der Handvoll Ärzte und Sanitäter angehören, die dann in Wien vor der Wahl stehen, diese Maßnahmen durchzuführen oder die Herrschaften einfach verhungern zu lassen?
Merkwürdig im langfristigen Sinn ist auch Frau Elisabeth Gehrer. Sie wurde im Rahmen der "Big Brother Awards" bereits mit einem Preis für ihr unvergeßliches Lebenswerk ausgezeichnetl. Ihr verdanken wir die "Bildungsevidenz", die in ziellos herumeilendem Gehorsam und Mißverständnis des Gefragten den EU-Auftrag einer Bildungsstatistik als gigantisches Spitzelwerk realisiert hat. Verknüpft über die Sozialversicherungsnummer, sollen sensible Daten von jedem Österreicher über 64 Jahre in einem umfassenden "Data-Warehouse" (in Wahrheit: whorehouse) gespeichert werden - und zwar vom religiösen Bekenntnis über Betragensnoten bis hin zum Zeugnis. Die EU fordert keine Personalisierung; die ist Frau Gehrers Beitrag zum Thema "Österreich ist frei".
Einen sehr wertvollen Beitrag zur "Woman Power"-Diskussion lieferte auch Liese Prokop: In der ORF-Sendung "Bei mir zu Gast" bekannte sie freimütig, sich mit E-Mails nicht auszukennen, mit SMS auch nicht, und ein Handy hat sie nur, weil sie muß. Das ist zwar lobenswert und reduziert das Krebsrisiko, ist aber nicht gerade eine Fürsprache für jemanden, der im Europarat darüber mitreden darf, was mit den E-Mail- und Mobilfunkverbindungsdaten aller Österreicher im Rahmen des "Data-retention"-Plans passieren soll. Wie geht das? Da möchte man doch gar nicht wissen, wie das Anforderungsprofil für den Job ausgesehen hat (so es überhaupt eines gab).
Über die Nichtrauchergeschichte von Frau Rauch-Kallat (Sie haben in dieser Sache doch keinen Spott wegen Ihres Namens, oder? - frei zitiert nach der "Wochenshow") sollten wir eigentlich ein Baströckchen des Schweigens breiten. Der ehemalige Lieblingstisch im ehemaligen Stammcafé des Verfassers dieser Zeilen ist jetzt ein Nichtrauchertisch und steht seit Monaten den ganzen Abend leer. Echt gute Idee - und genauso glaubwürdig wie das Gerede der ÖBB, die Schnellbahnen wären vor 15 Jahren durch die Abschaffung der Raucherabteile sauberer geworden.
Das Interessante an den obengenannten Frauen ist, daß sie ihre Pläne ohne uns Männer realisiert haben. Genaugenommen wurde überhaupt niemand gefragt außer den ParteigenossenInnen (von denen dann doch einige MännerInnen sein dürften). Man sollte also mit "Frauen-Power"-Sprüchen genauso sparsam und vorsichtig umgehen wie umgekehrt; ab einer gewissen Managementebene gibt es offenbar keine moralischen und geschlechtsspezifischen Unterschiede mehr. Und daß jetzt bloß niemand mit der Meldung daherkommt, Frauen würden keine Kriege führen!
Aber egal, welchem "gender" (wie man heute sagt) Sie sich zugehörig fühlen - selbst im sommerberuhigten EVOLVER mit seinen exklusiven Stories und Reviews zum Thema Popkultur finden Sie garantiert etwas Lesenswertes. Und rauchen dürfen Sie bei der Lektüre auch.
In diesem Sinne: Viel Spaß beim Lesen wünscht
Chris Haderer
(EVOLVER-Redakteur und -Zwangsernährer)
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