Platten_Björk - Medúlla

Hyper-Ballads

Vergib uns, Kathi Witt! Wirst du doch deines Titels beraubt, damit wir der wahren Eisprinzessin und ihrem siebenten Studioalbum auch nur annähernd gerecht werden können.    10.09.2004

Als Björk Gudmundsdóttir vor 39 Jahren schreiend das Licht des eisigen Island erblickte, ahnte wohl noch niemand der Beteiligten, daß dieses Stimmchen noch mächtig von sich hören lassen würde. Wie ein schimmerndes Fettauge schwamm Björks Organ bei der Live-Umsetzung ihres letzten Albums "Vespertine" obenauf - unter ihr eine dicke orchestrale Suppe.

Als sie dann ihre neue Platte "Medúlla" aufzunehmen begann, kam sie gehörig ins Schleudern: zu opulent, zu überladen, zu dicht, um genügend Raum für den weiteren Weg zu bieten. Also begann sie mit der Dekonstruktion aller verzichtbaren Überbauten, um den Blick aufs Wesentliche wieder frei zu bekommen. Und übrig blieb die Stimme.

Beinahe nur auf der baut "Medúlla" auf. Zusätzlich darf Razhel von den Roots - das Mitglied einer Band, für die auch Björk große Achtung hegt - seine Human-Beatbox-Fähigkeiten unter Beweis stellen. Zwei Chöre, die Obertonsängerin Tanya Tagaq, der japanische Vokalist Dakoa sowie Robert Wyatt sorgen für bunte Sprenkel. Weitere musikalische Ideen steuerte Mike Patton (Faith No More) bei.

Alle, die naiv oder konservativ genug waren, Björks musikalische Marschrichtung gewittert geglaubt zu haben, werden an ihrem siebenten Album wenig Gefallen finden. Björk hat den roten Faden wieder einmal zerschnitten, die Erwartungen der Schönwetter-Fans nicht erfüllt und mit "Medúlla" ein grandioses Album abgeliefert.

Auch wenn Björk-Fans keine Anleitungen brauchen, seien hier einige der Songs kurz erwähnt.

Brutal und packend zeigt "Where Is the Line" den Mut und die visionäre Kraft einer Sängerin, die bereit ist, bewährte Konzepte hinter sich zu lassen. "Your sweat is salty" singt Björk in dem wunderbaren "Oceania", erstaunlicherweise ein offizielles Lied der Olympischen Spiele in Athen - jedoch schwieriger mitzusingen als Nelly Furtados EM-Beitrag. Die wunderbarste Fusion von Anspruch und Ohrwurm gelingt der Künstlerin auf dem vor Freude vibrierenden "Who Is It", einem Track, für den man Björk sofort die Schuhe putzen würde - auf Lebenszeit. Das Schlußlied "Triumph of A Heart" klingt wie Björk meets Bauchklang, ist tanzbar und äußerst eingängig. Leise Frage an die Plattenfirma: Single-Auskopplung?

"Medúlla" fordert meist die ungeteilte Aufmerksamkeit des Hörers, lockt in unbekannte und nicht immer komfortable Grenzregionen von Pop-Musik und entzieht sich auf diese Weise geschickt einem großflächigen kommerziellen Ausverkauf.

David Meixner

Björk - Medúlla

ØØØØ


Polydor/Universal

(Island/30. 8. 2004)

 

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