Swastika
Produktion: Visual Programme Systems (UK 1973)
Videovertrieb: absolut Medien GmbH (D 2010)
DVD alle Regionen
OmU, tw. nachsynchronisiert + Bonusmaterial
Regie: Philippe Mora
Drehbuch: Lutz Becker und Philippe Mora
Eklat in Cannes, 1973: Die Uraufführung der aus Nazi-Material montierten Kompilation mußte nach wütenden Zuschauerprotesten abgebrochen werden. Nun ist der Film erstmals auf DVD erhältlich. Was aus zeitlichem Abstand bei derlei Skandalen eher selten passiert: Man kann die Aufregung selbst heute noch irgendwie verstehen. 27.12.2010
Über ihre Absichten lassen die Produzenten niemanden im Unklaren: Wenn man, so ein einleitendes Schriftinsert, Hitler nur als Teufel darstelle, erkenne man einen künftigen Hitler nicht, weil er als Mensch auftrete.
Die "menschlichen" Seiten des Diktators zu zeigen - wenn’s nur das wäre! Derlei regt nach Bernd Eichingers "Untergang" nun wirklich niemanden mehr auf. Das eigentliche Skandalon von Philippe Moras und Lutz Beckers Found-footage-Produktion "Swastika" liegt anderswo: In der beinahe nachvollziehbaren Rekonstruktion nationalsozialistischen "Lebensgefühls" mit den Mitteln des Films.
Nach einem sozusagen "kosmischen" Einstieg, in dem das titelgebende Hakenkreuz wie Kubricks "2001"-Quader durch das Weltall kreist, zoomt die Kamera auf die Erde zu und landet punktgenau im Berlin der 30er-Jahre. Zunächst glaubt man sich im legendären "Menschen am Sonntag"- Debüt Billy Wilders: Eine Großstadt erwacht, Zeitungen werden ausgetragen, der morgendliche Bahnverkehr setzt ein.
Dann die erste Irritation: Eine Gruppe uniform gekleideter junger Frauen durchwandert singend im Gleichschritt ein sonniges Waldstück; Reiter gesellen sich dazu, bis ein Schnitt zum Obersalzberg die letzten Zweifel beseitigt: Wir sind in Nazi-Deutschland.
Und dort bleiben wir die nächsten anderthalb Stunden und können es uns, wenn wir wollen, bei Reichsparteitagen und Erntedankfesten, bei Hitlerjugend und Arbeitsdienst so richtig gemütlich machen. Schrift-Inserts machen uns mit den Nazi-Größen von Himmler bis Speer bekannt, Furtwängler dirigiert die 9. von Beethoven, schwelgende Wagner-Klänge begleiten Hakenkreuz-Aufmärsche und Schiffstaufen, und ein amerikanischer Reporter schwärmt live von der "neuen Lebenskraft", die Hitler, "die beste Regierung der Welt", den Deutschen beschert habe.
Dazu die eigentliche "Attraktion": Private Farbaufnahmen von Hitlers Refugium auf dem Obersalzberg, damals gerade neu entdeckt und für diesen Film quasi nachsynchronisiert: Taubstumme Lippenleser rekonstruierten, was in den Aufnahmen gesprochen wurde; die Resultate wurden den Akteuren, in seltsam entrückter Fern-Akustik, dann wieder in den Mund gelegt. Und so darf Goebbels fragen: "Kommen Sie zur Olympiade?", während sich Hitler abfällig über Görings Jagdleidenschaft äußert: "Es wäre schon etwas anderes, wenn es ein Kampf zwischen Mensch und Tier wäre!".
Was soll das alles, was wollen uns die Regisseure sagen? Das (vorbildliche und ausführliche) Bonusmaterial der DVD löst das Rätsel nicht wirklich. Man habe, so Film-Mitarbeiter Lutz Becker in einem Interview von 1973, das "simple and stupid face" dieser "Banalität des Bösen" zeigen wollen; in einem zweiten, aktuellen Interview räumt derselbe Becker freilich ein, beim Thema Nazi-Deutschland habe "die Mythologie die Wirklichkeit überlagert".
Der von ihm und dem Australier Philippe Mora gestaltete Film tut freilich nichts, diesen Mißstand zu beheben. Im Gegenteil: Indem er sich fast ausschließlich auf NS-Material stützt (und dieses durch den klassischen Soundtrack in seiner Suggestivität oft noch verstärkt), huldigt "Swastika" unreflektiert jener Macht der Bilder, die die Nazis für ihre Zwecke so raffiniert einzusetzen wußten.
Nur ganz selten versucht die Montage, eigene, kritische Akzente zu setzen: Etwa, wenn in die Idylle am Obersalzberg abrupt Schwarzweiß-Bilder vom Warschauer Ghetto eingeschnitten werden. Kriegsgreuel und KZs sind in den letzten Abschnitt verbannt; Aufnahmen vom zerbombten Berlin beschließen den Film, können die Wirkung des zuvor Gezeigten aber nur marginal abschwächen.
Die ganze Ambivalenz dieser Methode sollte vier Jahre nach "Swastika" (der im deutschen Sprachraum nie ins Kino kam) noch einmal aufbrechen und dann breit diskutiert werden: Bei Joachim Fests umstrittenem Film "Hitler - Eine Karriere" von 1977.
Auch er versuchte, die "Macht der Bilder" zu unterlaufen (nämlich mit einem von ihm selbst nach seiner Hitler-Biographie verfaßten Kommentar), auch er drohte, in den Augen vieler Kritiker, damit zu scheitern. "Chance und Pflicht wäre es gewesen, dieses Material zu verfremden, zum Beispiel mit ausländischen Wochenschauen, den 'anderen' Hitler-Bildern" schrieb damals die "Stuttgarter Zeitung" zu Fests Hitler-Film; das gilt Wort für Wort auch für "Swastika".
Im Bonusmaterial zur DVD erklären Experten einhellig, daß bis heute niemand die letztlichen Ursachen und Gründe für Hitlers Aufstieg herausgefunden habe. Schade, daß der Film, den sie da beratend begleiten, vor dieser Aufgabe selbst so verstörend scheitert.
Swastika
Produktion: Visual Programme Systems (UK 1973)
Videovertrieb: absolut Medien GmbH (D 2010)
DVD alle Regionen
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Regie: Philippe Mora
Drehbuch: Lutz Becker und Philippe Mora
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Eklat in Cannes, 1973: Die Uraufführung der aus Nazi-Material montierten Kompilation mußte nach wütenden Zuschauerprotesten abgebrochen werden. Nun ist der Film erstmals auf DVD erhältlich. Was aus zeitlichem Abstand bei derlei Skandalen eher selten passiert: Man kann die Aufregung selbst heute noch irgendwie verstehen.
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