Video_Sherlock
Welcome to the Future
Daß Meisterdetekiv Sherlock Holmes auch nach mehr als 100 Jahren noch fit und agil erscheint, dafür zeichnet die BBC mit einer rundum gelungenen TV-Serie verantwortlich.
21.09.2011
Seit der britische Autor Sir Arthur Conan Doyle 1886 seinen "consulting detective" Sherlock Holmes erschuf, haben dessen Abenteuer bis heute ungezählte Kino- und TV-Adaptionen erfahren. Die dennoch über eines nicht hinwegtäuschen können: Heutzutage wirkt die viktorianische Spürnase trotz ihres unbeschwerten Umgangs mit Kokain und Morphium etwas angestaubt. Fragt sich also, was eine neuerliche Verfilmung dem Mythos noch hinzufügen kann ...
Eine Menge, das hat bereits Guy Ritchies Holmes-Interpretation vor zwei Jahren bewiesen, in der Robert Downey Jr. und Jude Law in die Rollen des Londoner Privatermittlers und seines getreuen Sidekicks Dr. John Watson schlüpften: Ungezwungen prügelten sich die beiden durch die verbrecherische Unterwelt des Empires. Auf diese Weise hoben sie sich zwar wohltuend von den alten Streifen mit Basil Rathbone oder Peter Cushing ab (die gelegentlich noch durch die Spätprogramme der TV-Sender schnüffeln), doch dabei blieb das, was Holmes zum Unikat machte, phasenweise auf der Strecke. Ritchies Film-Holmes glänzte mehr durch moderne CGI-Effekte denn durch genialen Spürsinn.
Kein Wunder, daß ein Grummeln durch die Fangemeinde ging, als die BBC jüngst die Fernsehserie "Sherlock" ankündigte, mit der sie die Ereignisse rund um die Baker Street 221B in die Gegenwart verlegen wollte. Die Zweifel waren berechtigt, denn was sollte ein Detektiv wie Holmes angesichts der kriminaltechnischen Errungenschaften des 21. Jahrhunderts noch ausrichten können?
Jede Menge, wie Mark Gatiss und Steven Moffa, die Doyles Geschichten für "Sherlock" in die Gegenwart transferierten, beweisen.
Natürlich verfügt die Polizei dank Spheron-Kameras, Faseranalyse und DNA-Abgleich heuzutage über weitaus mehr Ressourcen bei der kriminaltechnischen Strafverfolgung. Diese verbesserte Technik liefert allerdings auch ein ungeahntes Mehr an Spuren. Diese wiederum in einen richtigen Zusammenhang zu setzen, gelingt keinem Computer, sondern - erraten! - nur einem Superhirn wie Sherlock Holmes.
Überhaupt ist es unterhaltsam anzusehen, wie geschickt die Drehbuchautoren die Errungenschaften der Neuzeit in die Fernsehserie einbetten. Eintreffende SMS oder Internetrecherche werden nicht mittels Blick auf ein Display gezeigt, und Gedanken der Protagonisten nicht lang und breit erläutert, sondern als Quasi-Gedankenblase in die laufenden Bilder eingeblendet. Das hat Charme, das hat Witz, das hat vor allem aber eines: Tempo.
Benedict Cumberbatch, bekannt aus "Hawking - Die Suche nach dem Anfang der Zeit" und "Abbitte", ist als Sherlock Holmes (der seine Süchte jetzt mit Nikotinpflastern bekämpft) kein behäbig deduzierender Ermittler im fortgeschrittenen Alter, sondern ein agiler junger Mann, der die Ereignisse selbst vorantreibt. Als etwa in der ersten Episode - "Ein Fall in Pink" - ein Serienkiller in London sein Unwesen treibt, eilt Holmes voller Begeisterung aus dem Haus: "Ein Serienmörder? Sehr schön, da hat man was, worauf man sich freuen kann."
Martin Freeman, der es in Großbritannien als Ungustel in "The Office" zu Berühmtheit gebracht hat, steht ihm als Dr. Watson in Sachen Schlagfertigkeit zu keiner Zeit nach; was er im zweiten Teil - "Der blinde Banker" - beweist, im zuge dessen er nicht nur auf Freiersfüßen wandelt, sondern auch in die Fänge chinesischer Triaden gerät. Der Adlatus, gerade erst traumatisiert aus dem Afghanistan-Einsatz zurückgekehrt, schreibt übrigens kein Buch mehr über seine Erlebnisse mit Holmes, sondern ganz zeitgemäß einen Blog. Zu dessen Lesern auch Dr. Moriarty zählt, der Erzfeind von Holmes ...
In der dritten und letzten Folge fordert Selbiger den Superdetektiv zu einem aberwitzigen Erpressungsspiel heraus - mit offenem Ende. Denn die zweite Staffel ist dank des großen Erfolges bereits in Arbeit.
Was den besonderen Reiz aller drei Episoden dieser ersten "Sherlock"-Staffel ausmacht: Die Macher haben sich nicht nur darauf beschränkt, die titelgebende Hauptfigur ins Hier und Jetzt zu transferieren, auch viele andere Details entstammen dem Holmes-Kosmos, wie ihn Arthur Conan Doyle vor hundert Jahren entwickelte. Auf diese Weise wirken die Geschichten tatsächlich erfreulich frisch und unterhaltsam.
Nur einige Beispiele: "Das große Spiel" hat die Erzählung "Die Bruce-Partington-Pläne" zum Vorbild. Die Schußübungen von Holmes sind denen aus "Das Musgrave-Ritual" nachempfunden. Und daß in allen drei Filmen auch Inspektor Lestrade von Scotland Yard den Meisterdetektiv um Hilfe bittet, während der Oberbösewicht Moriarty ihm wiederholt das Leben schwermacht, versteht sich von selbst.
Über diese und noch viel mehr Parallelen zu Büchern und Filmen informiert ein beiliegendes Booklet; außerdem über Hintergründe zur Entstehung der Serie, Darstellerbiographien, Informationen über die Erfinder sowie die Dreharbeiten.
Marcel Feige
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