Video_Looking for Eric

Hail to the King

In seiner sympathisch-lakonischen Außenseiterballade stellt Ken Loach einem lebensmüden Alleinerzieher niemand geringeren als Fußballegende Eric Cantona zur Seite.    10.12.2010

Eric Bishop (Steve Evets) steht am Abgrund. Der Postangestellte ist den bitteren Herausforderungen, die das Leben ihm stellt, nicht mehr gewachsen. Mit der Erziehung seiner beiden Stiefsöhne alleingelassen und damit deutlich überfordert, versinkt der mehr schlecht als recht geführte Haushalt im Chaos.

Seinen Postbotenjob verrichtet der Fußballfan und einstige Hobbytänzer unmotiviert, von den Arbeitskollegen und Freunden isoliert er sich zusehends.

Er steckt in einer Lebenskrise, deren Ursprung weit zurückliegt: Ein Vierteljahrhundert zuvor verließ er seine junge Frau Lily (Stephanie Bishop) samt gemeinsamen Baby. Bis heute quält ihn die damalige Entscheidung und fördert seinen seelischen Niedergang. Der suizidgefährdete Eric staunt daher nicht schlecht, als plötzlich sein Idol, der ehemalige Manchester United-Stürmer Eric Cantona ("King" Eric höchstpersönlich) vor ihm steht. Cantona bietet Eric, der nicht weiß wie ihm geschieht, seine Hilfe an ...

 

Ken Loach, seit Jahrzehnten Anwalt der britischen Arbeiterschaft, operiert erneut auf seinem angestammten narrativen Spielfeld - der Welt des kleinen Mannes. Schmucklos sieht es dort aus, und turbulent geht es zu, in den kleinen Reihenhäusern und Sozialbauten, die Loachs Lieblingssubjekte beherbergen. Dort tobt der Klassenkampf - von Loach immer schon genau verfolgt und eindeutig parteiisch kommentiert. Doch von dieser sozialpolitischen Dauerschlacht hält der Regisseur in "Looking For Eric" eher Abstand. Sein Hauptprotagonist hat vielmehr einen inneren Konflikt mit einer früheren, jüngeren Version seiner selbst auszufechten, die damals noch nicht bereit war für den Schritt in die Vaterschaft.

Diesem Verzweifelten sendet Ken Loach einen ganz und gar unwahrscheinlichen Ratgeber in Fragen der Lebensbewältigung: Eric Cantona. Die Fußballikone erscheint ihrem Fan Bishop - und nur ihm - in der Regel immer dann, wenn er sich einen Joint genehmigt. Der alternierend in englischer und französischer Sprache orakelnde Cantona stärkt schließlich Erics Selbstvertrauen und treibt dessen Annäherungsversuche in Richtung seiner Ex-Frau Lily voran.

 

Es ist denn auch der "Cantona-Faktor", der das stille Sozialdrama mit viel Charme und wohldosierten humorvollen Momenten sublimiert. Die Auftritte des Ex-Stürmerstars werden von Loach aber keineswegs überstrapaziert; Eric Bishop und seine Bemühungen um eine zweite Chance verbleiben als Schwerpunkt und Zentrum der Inszenierung.

Aus dem Zusammenspiel zwischen Evets und Cantona - ihre gemeinsamen Szenen stellen freilich kleine Highlights da - geht der kontroversielle Fußballer übrigens gestärkt und nachhaltig mystifiziert hervor; was zweifellos beabsichtigt gewesen sein dürfte, fungiert Eric Cantona doch gewissermaßen als Ideengeber des Films.

Doch darüber mag der Betrachter gerne hinwegsehen, wird er doch von Loach wiederum reichlich beschenkt. Denn im Gegensatz zu dem allzu plakativ geratenen Bürgerkriegsdrama "The Wind That Shakes The Barley" (2006), verdienen sich hier die tragikkomischen Bemühungen eines typischen Loach-Underdogs Aufmerksamkeit und Beifall.

Dietmar Wohlfart

Looking For Eric

ØØØØ

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Delphi Filmverleih (GB 2009)

 

DVD Region 2
112 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF

Features: Dokumentation, Making of, Interviews

 

Regie: Ken Loach

Darsteller: Steve Evets, Eric Cantona, Stephanie Bishop u. a.
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