Video_Harry Brown

Harry außer sich

Michael Caine ist eine Legende. Seit über einem halben Jahrhundert agiert der Brite sowohl auf der Leinwand als auch im Theater - und zählt zu Recht zu den am öftesten ausgezeichneten Darstellern. Nun hat Regiedebütant Daniel Barber eine klassische Rachefeldzugs-Rolle mit dem 77jährigen besetzt.    25.10.2010

Die Welt des Rentners Harry Brown (Michael Caine) wird erschüttert, als seine geliebte Frau nach schwerer Krankheit stirbt. Freund Leonard (David Bradley) verbleibt als letzte Stütze, und Sids Bar (Sid: Liam Cunningham) als Zufluchtsstätte vor den chaotischen Zuständen, die die Nachbarschaft beherrschen.

Denn Harry und sein alter Kumpan leben in einem Problemviertel Londons, wo jugendliche Gangs Anarchie säen und regen Drogenhandel betreiben. Leonard - von den unberechenbaren Burschen terrorisiert, um sein Leben fürchtend und selbst bereit, Gewalt mit Gewalt zu begegnen - wendet sich hilfesuchend an den trauernden Harry. Doch der dekorierte Ex-Marine scheut den Konflikt und verweist seinen Freund an die Polizei. Wenig später wird Leonard von Jugendlichen angegriffen und ermordet. Harry ist nun endgültig allein - und bereit, zu handeln.

 

Der von Regisseur Daniel Barber beschriebene soziale Brennpunkt inmitten Englands Hauptstadt mutet fast schon apokalyptisch an. Hier ziehen Polizeikräfte gegen Junkies und Kleinkriminelle der untersten Gesellschaftsebene in einen Krieg, der auf den düsteren Straßen Londons tobt, wo verwahrloste Jugendliche gegen jeden und alles aufbegehren.

Es sind Bilder wie aus einem Horrorfilm: Als häßliche Fratze menschlicher Zivilisation ziehen die - zumeist jugendlichen - Antagonisten mordend und brandschatzend durch die dunkelsten Gassen Londons ... bis sie auf einen unerwarteten Gegner treffen.

Denn der ältliche Harry Brown verfügt nicht nur über Distinguiertheit und einen moralischen Kompaß, sondern bringt vor allem auch Bürgerkriegserfahrung mit. Als ihm Frau und Freund genommen werden und die polizeilichen Institutionen versagen, hat er nichts mehr zu verlieren.

 

Harry repräsentiert den radikalsten von insgesamt drei Lösungsansätzen, die Barber grob skizziert: Während eine Einsatztruppe unter der Leitung des selbstgefälligen Superintendent Childs (Iain Glen) auf offener Straße in eine Material- und Menschenschlacht zieht, versucht die idealistisch-naive Detective Inspector Alice Frampton (Emily Mortimer) der Bedrohung durch die asoziale jugendliche Gefahr mit Dialogbereitschaft und sanftem Druck entgegenzutreten.

Der Weg des Selbstjustiz übenden Pensionisten wirkt freilich am sympathischsten und unterhaltsamsten. Was einerseits an der famosen Leistung Michael Caines liegt - aber ebenso an der Eindimensionalität der porträtierten Jungkriminellen, die tollwütigen Bestien gleichen und nicht das geringste Identifikationspotential zulassen.

 

Von allen männlichen Lebend-Legenden Hollywoods kann Michael Caine die mit Abstand höchste Dichte an erlesenen Altersrollen aufweisen. Er glänzte in den letzten Jahren unter anderem in großkalibrigen Produktionen wie "Gottes Werk und Teufels Beitrag", "Der stille Amerikaner", "Batman Begins", "Children Of Men", "Prestige" oder "The Dark Knight".

"Harry" in eine Reihe mit genannten Filmen zu stellen wäre nicht wirklich angemessen. Aber es ist ein grundsolides Werk, dessen Niveau durch Caines nuancierte Performance nochmals deutlich angehoben wird.

Dietmar Wohlfart

Harry Brown

ØØØ 1/2

Leserbewertung: (bewerten)

Ascot Elite (GB 2009)

 

DVD Region 2
97 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF

Features: Trailer & Trailershow, Deleted Scenes, Interviews, Beim Dreh

Regie: Daniel Barber

Darsteller: Michael Caine, Emily Mortimer, Charlie Creed-Miles u. a.
Links:

Kommentare_

martin compart - 28.10.2010 : 18.38
Ich habe mir selbstverständlich HARRY BROWN sofort zugelegt und gesehen. Ich kann der Rezension nur zustimmen. Ein verdammt langer Weg des Vigilanten-Films von Bronsons Rot sehen zu Caines Gerontenjustiz.Das Caine-Interview in den Extras ist ebenfalls sehenswert. Der alte Michael liefert von allen die politischsten Statements ab.
Alexander - 14.11.2010 : 10.30
Ich habe mir den Film vorhin angeschaut und fand ihn richtig gut. Michael Caine zeigt auf seine alten Tage mal wieder, wie gut er ist. Aber auch die anderen Schauspieler waren gut. Besonders hat mir Emily Mortimer gefallen. Der Teil von London, in dem der Film spielt, war wirklich übel. Die Specials, auf die Hr. Compart hingewiesen hat, werde ich mir auch noch anschauen.

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