Video_Facing Ali
Zehn gegen den Größten
In einer grandiosen Dokumentation schildern zehn ehemalige Ringopponenten ihre Erfahrungen mit der lebenden Legende Muhammad Ali.
11.02.2011
Die älteren Herren, die sich in Pete McCormacks famoser Verfilmung von Stephen Brunts Buch zu Wort melden, haben wahrlich etwas zu sagen. Von ihrer Profession mehr oder weniger gezeichnet, blühen die Ex-Schwergewichtler noch einmal auf, als sie ihre Gedanken auf längst vergangene Zeiten lenken, in denen sich ihre Wege mit dem Überboxer Muhammad Ali kreuzten.
Der Brite Henry Cooper eröffnet die chronologisch geordnete Interviewserie mit einer Rekapitulation seines Fights mit Ali im Jahr 1963. Cooper taucht regelrecht wieder in den Kampf ein, schwingt dabei seine Fäuste, geht verbal und physisch mit. Und jene seiner Kollegen, die noch dazu imstande sind, tun es ihm gleich.
Doch auch Demut und Stolz fördert "Facing Ali" zu Tage: Ex-Sträfling Ron Lyle, nunmehr abgeklärt und mit sich selbst im reinen, spricht sympathisch und würdevoll über seine erstaunliche Lebensgeschichte und das Abenteuer, dem Größten im Ring gegenübergestanden zu sein. Ken Norton - seit einem Autounfall körperlich gezeichnet, aber geistig rege - focht gar drei Kämpfe mit Ali aus. Ebenso Intimfeind Joe Frazier, der die erlittenen Demütigungen durch seine ewige Nemesis bis heute nicht verarbeitet hat.
Die Verbeugungen vor dem überlebensgroßen Boxakrobaten fallen durchwegs glaubhaft aus und werden mit Anekdoten der Antagonisten von einst ergänzt. Diese sehr persönlichen Einschübe sind weit mehr als lediglich biographische Ergänzungen für jene Unkundigen, die mit den gefurchten Gesichtern womöglich nicht viel anzufangen wissen.
Denn hier werden nicht nur subjektive Rückblicke der Beteiligten von anno dazumal auf ihre Ringbegegnungen mit dem dreimaligen Weltmeister vereint - McCormack präsentiert auch Kurzporträts der Interviewten selbst mit bemerkenswerter emotionaler Wirkung. Die teils aberwitzigen, teils bewegenden Geschichten lassen die alten Faustkämpfer noch einmal glanzvoll aus dem Nebel der Vergangenheit treten.
Aber das narrative Zentrum bildet das Denkmal selbst. Von seinen Kritikern zunächst als unverschämtes Großmaul verspottet, erfaßte die Welt schon bald den beträchtlichen Wahrheitsgehalt Alis unbescheidener Selbstbetitelung "Greatest of all time". Denn was Cassius Clay - wie er ursprünglich hieß - in den zwei Jahrzehnten seiner Profikarriere gegen die stärkste Gegnerschaft, die das Schwergewichtsboxen je hervorgebracht hat, leistete, und vor allem auf welche Art und Weise er seinen Ausnahmestatus zementierte, bleibt bis heute unübertroffen.
Ali war seinen Gegnern an Faust- und Beinschnelligkeit, schlagtechnischem Variantenreichtum sowie taktischer Finesse überlegen und konnte sich auf jeden Kämpfertypus einstellen. Er bestand Duelle gegen gefürchtete Brachialpuncher wie Sonny Liston, George Foreman und Earnie Shavers ebenso wie Auseinandersetzungen mit flinken In-fightern (Patterson, Frazier) und zähen Arbeitern (Chuvalo, Norton).
Auf der Höhe seines Könnens wurde er von der Regierung aufgrund seiner Weigerung, in den Vietnamkrieg zu ziehen, für drei Jahre aus dem Verkehr gezogen. Doch in den 70ern kehrte er - eine Spur langsamer, dafür um so widerstandsfähiger - zurück und nahm an den außergewöhnlichsten Ringkriegen der Boxneuzeit teil. Längst ist klar, daß Ali schließlich in zu viele Schlachten zog, daß er seinen Körper regelrecht opferte, als er - selbst nach Ausbruch seiner Parkinsonserkrankung - in einem Akt der Selbstüberschätzung noch bis 1981 antrat.
Zugleich ist Muhammad Alis heute tragischer Gesundheitszustand auch der letzte große Baustein seines eigenen Mythos und der sportlichen Unsterblichkeit des einstigen Musterathleten.
"Facing Ali" versprüht Kurzweil und Nostalgie in bedachtsam ausbalancierter Dosierung. Als ein Juwel unter den Sportdokumentationen wird der Film gewiß noch Generationen von Boxfans in seinen Bann ziehen.
Dietmar Wohlfart
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