Video_Source Code
Der 8-Minuten-Mann
Nach "Moon" präsentiert Duncan Jones nun seine zweite Regiearbeit. Der Bowie-Sohn schickt in dem futuristischen Déjà-vu-Thriller Jake Gyllenhaal als körperloses Versuchskaninchen in eine mörderische Zeitschleife.
27.10.2011
Der Mann fährt ruckartig aus dem Schlaf und scheitert zunächst bei dem Versuch, sich Orientierung zu verschaffen. Er registriert ein Zugabteil und erblickt eine charmant lächelnde junge Frau, die ihm gegenübersitzt und freundlich zu ihm spricht. Doch wie kam er in den Zug?
Wer ist die sympathische Frau (Michelle Monaghan), die ihn zu kennen glaubt? Der Desorientierte ist sich seiner Identität jedenfalls gewiß: Soldat Colter Stevens (Jake Gyllenhaal), kürzlich noch gegen al-Qaida in Afghanistan im Kampf befindlich, und nun plötzlich in einem Zug Richtung Chicago sitzend.
Ein Traum? Eine phantastische Trainingssimulation? Zeit für Fragen bleibt kaum, denn nach acht Minuten endet der kuriose Trip abrupt - eine gewaltige Detonation reißt die Bahn samt aller Insassen in Stücke.
Brutal aus seiner unerklärlichen Zugfahrt katapultiert, wird Colter Stevens von den Regierungsleuten Coleen Goodwin (Vera Farmiga) und Dr. Rutledge (Jeffrey Wright) ins Bild gesetzt: Demnach ist er als Anti-Terror-Einzelkämpfer im Einsatz, mit dem Ziel, einen kürzlich erfolgten Bombenanschlag zu untersuchen. Mittels revolutionärer "Source Code"-Technologie durchlebt Stevens die letzten acht Minuten eines jener Passagiere, die bei dem Anschlag getötet wurden. Sozusagen mental in den Körper eines Fahrgastes projiziert, soll er den Drahtzieher des Terrorakts aufspüren.
"Source Code" bedient sich des beliebten Schleifenszenarios, dessen Charme darin besteht, die "Gefangenen" eines teuflischen Kreislaufs - der sie dazu zwingt, die exakt gleichen Ereignisse wieder und wieder zu durchleben - bei der Entwicklung von Fluchtstrategien zu beobachten.
Werden solche Schleifen üblicherweise mit Zeitphänomenen oder Paralleluniversen begründet, erlaubt sich Duncan Jones, für seinen Déjà-vu-Effekt allerlei Mad Scientist-Technik herbeizuzitieren. Durch diesen Ansatz wird das Rätselhafte der Situation allerdings auf eine kalkulierte, wissenschaftliche Ebene gebracht und der Reiz des Ganzen gemindert.
Mit solch narrativen Bremsklötzen hatte sich der Brite bei der Ausarbeitung seines umjubelten Debüts "Moon" (2009) noch nicht belastet. Das fein gesponnene Mysterium des SF-Kammerspiels, das schnell zum Neo-Klassiker des Genres avancierte, hielt bis zum Schluß und sicherte dem jungen Regisseur Aufmerksamkeit und Anerkennung. Bei "Source Code" geht er etwas weniger elegant, aber auch nicht ungeschickt zu Werke. Tempo und Timing stimmen; das Schleifenprinzip wird erfolgreich in ein Thrillergerüst übertragen.
Jake Gyllenhaal durchläuft als 8-Minuten-Mann Colter Stevens die üblichen Entwicklungsstufen eines "Schleifenopfers". Natürlich schafft sein Ausloten der bizarren Situation einen gewissen Spannungsfaktor inklusive Situationskomik. Gyllenhaal - kein großer Mime, bestenfalls ein akzeptabler Performer - bemüht sich, diesen aus seiner harten Soldatenroutine herausgerissenen Charakter, der nun kriminalistisch und kreativ vorgehen muß, unfallfrei über die Ziellinie zu bringen. Absurd-komische Augenblicke, wie sie Sam Rockwell in "Moon" präsentierte, hat der "Donnie Darko"-Star freilich nicht zu bieten.
Als kurzweiliger Zweitling hat der von Beginn an in sicheren Gewässern manövrierende "Source Code" durchaus seine Berechtigung. Vielleicht wird man ihn dereinst als künstlerische Verschnaufpause vor dem nächsten Regie-Höhenflug klassifizieren; was bis dahin davon abhängt, ob Duncan Jones seine Herzensangelegenheit "Mute", einen SF-Krimi mit starkem Noir-Einschlag, doch noch angeht.
Dietmar Wohlfart
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