Video_Tyrannosaur - Eine Liebesgeschichte
Man on fire
Cholerischer Selbstzerstörer trifft auf bibelfeste Bürgerin: In dem rauhen Underclass-Drama von Regisseur Paddy Considine spielt Peter Mullan als schlagkräftiger Misanthrop groß auf.
06.03.2012
Für den abgehalfterten Alkoholiker Joseph (Peter Mullan) ist das Leben ein einziger, unbarmherziger Kampf - zumeist gegen sich selbst. Denn der Mann neigt zu explosionsartigen Gewaltausbrüchen, die ihn regelmäßig in Schwierigkeiten stürzen.
Joseph ist nicht in der Lage, selbst vorhersehbaren Konfrontationen aus dem Wege zu gehen oder zumindest diplomatisch zu begegnen. Schnell fühlt er sich provoziert und sucht den Konflikt, um dann in seinen unkontrollierten Wutgefühlen aufzugehen.
Lichtblicke sind rar gesät in Josephs Leben, das sich in einer Spirale der Selbstdemontage aufzulösen scheint: Nach dem selbstverschuldeten Verlust seines geliebten Hundes bleiben ihm nur noch sein alter Wett- und Saufkumpan Tommy (Ned Dennehy) und der gutherzige Nachbarsjunge Sam (Samual Bottomley).
Als sich Josephs Wege mit der selbstlosen Hannah (Olivia Colman) kreuzen, ist dies ein Aufeinandertreffen zweier arg kontrastierender Lebenswelten - und der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft.
Angesiedelt im britischen Arbeitermilieu, ist "Tyrannosaur" die aufwühlende Auseinandersetzung mit einem Gefallenen im Dauerausnahmezustand. Joseph entgegen tritt die fromme Hannah, die trotz schwerster körperlicher und seelischer Verheerungen versucht, den Berserker auf den rechten Pfad zu führen. Und dies, obwohl auch Hannah tagtäglich emotionale Ausnahmesituationen durchlebt: Ihr gutsituierter Mann James (Eddie Marsan) - der Außenwelt nur als rücksichtsvoller Gatte bekannt - prügelt und demütigt die arme Frau. Bedarf es bei Joseph nicht viel, um ihn in Aktion treten zu lassen, erträgt Hannah ihr tagtägliches Martyrium ohne Gegenwehr.
Auf der Leinwand verleiht Peter Mullan der englischen Arbeiterklasse seit zwei Jahrzehnten ein Gesicht. In "Tyrannosaur" speit sein Joseph den Haß auf die Welt und sich selbst direkt in die Kamera. Derber und ungefilterter geht das kaum - von Overacting kann dennoch keine Rede sein, wenn das zerfurchte Gesicht Mullans den inneren Zwiespalt dieses Wracks von einem Manne widerspiegelt und bereits den nächsten Tobsuchtsanfall ankündigt.
Joseph, der durchaus um seine Dämonen und Schwächen weiß, ist bereit - gerne auch im Kampf - unterzugehen. Mullan wandelt dabei auf einem schmalen Grat: So brandmarkt die Rücksichtslosigkeit, Rohheit und Wucht, mit der er über weite Strecken des Films auftritt, seine Figur schwer. Daß der Trinker und Wüterich letzten Endes dennoch als eine Art radikaler Antiheld im Gedächtnis bleibt, ist in der Tat beachtlich.
Respekt verschafft sich auch Filmpartnerin Olivia Colman: Groß scheint zunächst die Gefahr, daß die gutmütige Hannah von dem Höhlenmenschen Joseph in Stücke gerissen und Colman von dem leinwanddominierenden Mullan zur austauschbaren Statistin im Hauptdarstellerinnengewand degradiert wird. Doch ebenso wie Joseph bleibt auch Hannah stets aufrecht und wahrhaftig - und zwar bis zum gelungenen, wenngleich bitteren Ende.
Denn ganz ohne Hollywood Ending gelingt es Regisseur Paddy Considine - selber ein Mann aus dem Schauspielerfach ("In America", "Das Comeback") -, seinen "Tyrannosaur" als in sich geschlossenes, geradliniges Werk abzurunden.
Getragen von stark auftrumpfenden Mimen und nur auf ein paar wenige, grimmige Schauplätze reduziert, ist der Film - befreit von jeglichem inszenatorischen und narrativen Übergewicht - ein Triumph.
Dietmar Wohlfart
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