Video_They´re watching you, kid!

Drah di net um ...

Nur weil du nicht paranoid bist, heißt das nicht, daß sie nicht trotzdem hinter dir her sind. Drei Action-freie und eigenwillige Paranoia-Movies sorgen für Verfolgungswahn.
   10.11.2006

Freeze Frame

 

Sean Veil ist ein Vollzeit-Paranoiker, sein Haus ein Bunker mit zigfacher Videoüberwachung - und selbst wenn er den mal für eine Minute verläßt, schnallt er sich mindestens eine Kamera um. Die Self-Cam ist immer auf ihn selbst gerichtet. Was er überwacht, sind seine eigenen Schritte durchs Leben: 24 Stunden pro Tag, 7 Tage pro Woche, das ganze Jahr über. Seit einem Jahrzehnt macht er das nun schon, denn vor zehn Jahren wurde er unter dem Verdacht verhaftet, eine Familie brutal ermordet zu haben. Nur durch Formfehler kam er frei - und seitdem ist ihm ein todkranker Polizist auf den Fersen und wartet darauf, daß er wieder zuschlägt, um ihn dann zur Strecke zu bringen. Veil selbst behauptet jedoch, unschuldig zu sein. Seine Videobänder, lückenlos und sicher gehortet in einem gesondert abschließbaren Bereich seiner Festung, sollen lückenlos sein Alibi der vergangenen zehn Jahre dokumentieren.

Doch dieses paranoide, ausgetüftelte System scheint nicht sicher und lückenlos genug. Mit überzogener Gewalt dringt die Polizei urplötzlich in seinen Keller ein und verlangt sein Alibi für einen ausgesuchten Tag vor etlichen Jahren zu sehen. Klar: Ebenso plötzlich fehlen ausgerechnet diese Tapes in der Sammlung! Veil flieht und taucht kurz darauf mit neuen Videos auf. Sie belegen, daß er vor fünf Jahren an einem entlegenen Strand spazieren war. Die Polizei glaubt den Bändern nicht, hält sie für eine verschleiernde Fälschung, nachträglich abgedreht am Vortag. Und das mit ihnen belegte Alibi für jenen Tag vor sechs Jahren hat außerdem einen hohen Preis: Nun fehlt Veil das Tape-Alibi des gestrigen Tages - an dem ebenfalls ein Mord passiert ist, ausgerechnet an jenem PR-geilen Journalisten, der den Polizisten gegen Veil hetzte.

Ist Veil (als einziger brillant: Lee Evans) ein paranoider Killer, der sich langsam, aber sicher im Netz seiner eigenen Videoüberwachung verfängt? Oder ist er das unschuldige Opfer eines komplizierten Komplotts? Kann Videoüberwachung helfen, Schuld und Unschuld nachzuweisen? So ein Stoff kann wohl nur aus Großbritannien kommen (in Zusammenarbeit mit Irland), der Insel mit der größten Überwachungskameradichte der Welt. Die Prämisse von "Freeze Frame" ist wackeliger als ein Millennium-Dome aus Götterspeise. Ein des Massenmordes verdächtiger Psycho, der sich täglich Kopf und Augenbrauen rasiert und stets Gummihandschuhe trägt, um die Gefahr eines am Tatort verbleibenden DNS-Schnipsels zu minimieren, hat also nichts anderes zu tun, als sich den ganzen Tag über für mehrere Hundert Euro selbst auf DV-Bändern abzulichten. Aha. Ach je.

Hat man diesen Quark aber erstmal geschluckt, kriegt man einen ungewöhnlichen und teils hervorragenden Low-Budget-Thriller zu sehen. Die erste Stunde jedenfalls wäre für sich genommen auch eine Kinokarte wert: "Freeze Frame" beginnt als klaustrophobischer Mystery-Thriller in eiskalten Schwarz-Blau-Tönen mit experimentellen Einlagen, passendem Düster-Soundtrack und einigen ebenso verzeihbaren wie verzichtbaren Anleihen bei "Pi". In seinen besten Stellen philosophiert der Film auch ein bißchen über den Menschen, dessen Existenz nur noch durch seine Videopräsenz bewiesen wird: Ich werde aufgezeichnet, also bin ich. Nur zum Ende hin gerät er zunehmend zum kruden Kammerspiel-Whodunit in bester Agatha-Christie-Tradition, der sich dann auch noch in einem Twist zuviel verheddert und am Ende sogar die Hauptfigur vergißt, deretwegen wir das alles erlitten haben.

Das Resultat: insgesamt zuwenig wirkliche Gedanken über das Wesen von Video und freiwilliger Selbstüberwachung und zuviel konventioneller Krimi-Murks. Autor und Regisseur John Simpson wollte es mit seinem Digital-Video-Kafka wohl zu vielen Zielgruppen recht machen. Doch trotz einiger Schwächen lieferte er einen höchst interessanten Erstling ab, der Paranoia-Sammlungen bereichern wird und die Authentizität von Video zwingend in Frage stellt.

 

Uncertain Guest - Du bist nicht allein

 

Eine Paranoia ganz anderer Art entwickelt der wohlhabende und ein wenig zwanghafte Architekt Félix. Seine Frau verläßt ihn, weil sie sich in ihrem gemeinsamen und ihrer Meinung nach "zu großen Haus" nicht wohl fühlte. Daran hat er noch zu knabbern, da klingelt´s schon an der Tür, und ein Fremder will telefonieren. Félix läßt den Fremden nur kurz allein, und natürlich ist der daraufhin rätselhaft verschwunden. Von nun an knarzt es im Gebälk des Hauses, und Félix glaubt, daß sich der Fremde neben ihm breitmacht. Versteckt, unsichtbar, ein Wohnparasit, der seine Handtücher benutzt, sich in seinem Bad rasiert, in seinem Bett schläft und aus seinem Kühlschrank lebt, aber nie wirklich in Erscheinung tritt.

Die Paranoia frißt Félix regelrecht auf, und weil die Polizei niemanden findet, recherchiert er auf eigene Faust, wer der Fremde sein könnte, der tags wie nachts für seltsame Geräusche sorgt. Das gelingt ihm sogar, und als er in dessen Haus einbricht, kommt dort zufällig die Gattin des Fremden nach Hause. Félix muß sich verstecken - und nun wird er zum unsichtbaren Mitbewohner des fremden Hauses, der sogar beim Fernsehen hinter dem Sofa lauert. Doch auf das Dauer kann das nicht gutgehen, und so lösen sich diverse Twists am Ende auf schauerliche Weise auf.

"El habitante incierto" beginnt als kluger Film, der die Themen Architektur und Wohnraum sowohl in Dialogen als auch in der filmischen Darstellung sorgfältig anspricht und den Zuschauer schnell gefangennimmt. Doch leider hat der spanische Regisseur Guillem Morales zu viel in seinen ersten Film hineinstopfen wollen: Liebe, Drama, Mystery, Sex, Humor, Mord - jeder Geschmack wird bedient. Wie bei "Freeze Frame" zerstört ein Zuviel an Twists und Rätseln die Spannung, statt sie weiter zu erhöhen. Wer aber etwas Geduld und Nachsicht mitbringt und dem Streifen in der Mitte eine zweite Chance gibt, der bekommt einen höchst ungewöhnlichen und innovativen Film zu Gesicht, der zwar nicht perfekt ist, aber ohne jedes Klischee auskommt.

 

Unwiderstehlich

 

Oft sind es die deutschsprachigen Verleiher, die einem Film einen idiotischen Titel aufkleben, doch in diesem Fall hieß schon das australische Original "Irresistible", ohne daß es dafür einen Grund gäbe. Story: Die erfolgreiche Kinderbuchillustratorin Sophie (okay: Susan Sarandon) lebt zusammen mit ihrem als Architekt ebenso erfolgreichen Mann Craig (unterfordert: Sam Neill) ein typisches Familienleben zwischen Idylle und beruflichem Streß.

Doch dann passieren merkwürdige Dinge: Vergessene Bügeleisen schalten sich von selber aus, Kuscheltiere und Fotos verschwinden, Wespen greifen Sophie an, und auch sonst passiert allerlei, um die Frau aus der Bahn zu werfen. Hat ihr Mann ein Verhältnis mit seiner neuen Assistentin Mara (na ja: Emily Blunt), die auch noch die gleichen Kleider wie Sophie trägt und auch deren Tick pflegt, sich das Haus mit Eulen aller Größen vollzustellen? Oder leidet Sophie einfach nur an einer Paranoia, ausgelöst durch den Streß, den der kürzliche Tod ihrer Mutter und rätselhafte Fehler in ihrer Vergangenheit auslösten?

Keine Ahnung. Und am Ende will man es eigentlich auch nur deshalb wissen, um endlich den Abspann sehen zu können. Und das ist eine Schande, denn "Unwiderstehlich" beginnt als durchaus stimmungsvolles und vielversprechendes Drama um eine Frau in einer Lebenskrise. Doch was mit vielen sauber plazierten Details eine wachsende Stimmung rätselhafter Paranoia verbreitet, verirrt sich zunehmend im Outback eines holprigen Drehbuchs, das die Darsteller nur mit Mühe davor bewahren können, ins Rosamunde-Pilcher-TV abzusacken. Und das völlig umsonst - denn was ein immer noch passables Drama hätte abgeben können, walzt am Ende ein aufgesetzter Thriller-Twist platt. Sehenswert für Sarandon-Fans, aber nichts für abgebrühte Paranoia-Experten.

Andreas Winterer

Freeze Frame

ØØØ 1/2


Koch Media (GB 2004)

DVD Region 2

ca. 95 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF wahlweise mit UT (DTS/DD5.1)

Features: Making of u. a.

Regie: John Simpson

Darsteller: Lee Evans, Sean McGinley, Colin Salmon u. a.

 

Links:

Uncertain Guest - Du bist nicht allein

ØØØ 1/2

(El habitante incierto)


Koch Media (Spanien 2004)

DVD Region 2

ca. 110 Min., dt. Fassung oder span. OF wahlweise mit UT (DD 2.0/DD5.1)

Features: Making of u. a.

Regie: Guillem Morales

Darsteller: Mònica López, Andonia Gracia, Francesc Garrido u. a.

 

Links:

Unwiderstehlich

ØØ

(Irresistible)


Sony Pictures Home Entertainment (Australien 2006)

DVD Region 2

ca. 99 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF wahlweise mit UT (DTS/DD5.1)

Features: Making of, Deleted Scenes, alternatives Ende u. a.

Regie: Ann Turner

Darsteller: Susan Sarandon, Sam Neil, Emily Blunt u. a.

 

Links:

Kommentare_

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