Wenn die Zuschauer wie bei der Sundance-Aufführung in Scharen den Kinosaal verlassen, ist das bei provokativem Horror immer auch eine Auszeichnung. In seinem neuen Film konzentriert sich Regisseur Lucky McKee ("May") auf Feminismus und Emanzipation vom Patriarchat. Leider jedoch in ungemein redundant-plakativer Weise.
11.12.2011
Wenn uns das Kino etwas gelehrt hat, dann, daß es es so etwas wie eine picture perfect family nicht gibt. Im Gegenteil, gerade die Familie, die schrecklich nett wirkt, hat meistens die ältesten Leichen im Keller. So auch in Lucky McKees jüngstem Werk "The Woman", das zu Beginn zwei unterschiedliche Weltverständnisse miteinander kontrastiert.
Den Anfang bildet die titelgebende Frau (Pollyanna McIntosh), hier durchaus als Vertreterin ihres Geschlechts zu verstehen. Ungezähmt, unabhängig und frei haust sie in der Natur. Wie Mogli oder Romulus und Remus von Wölfen erzogen, ihr eigener ... Herr in ihrer eigenen Welt. Dem gegenüber stellt McKee dann eine kontemporärere Einstellung, mit der Frau als Gefangenen.
Als Objekt der Begierde begegnet der Zuschauer der jungen Peggy Cleek (Lauren Ashley Carter), während ihre Mutter Belle (Angela Bettis) ihrem Mann brav ein kühles Bier bringt und von ihm kommandiert wird, nach dem Essen zu schauen. Chris Cleek (Sean Bridgers) ist ein angesehenes Mitglied seiner Gemeinde, so zumindest hat es den Anschein.
Bei einem Jagdausflug prallen dann die beiden Welten aufeinander. Chris als männlicher Jäger trifft auf die wilde Frau, seine geordnete "Zivilisation" auf ihre ungestüme Freiheit. Musikalisch wird dieser erste Kontakt via Male Gaze in Slow Motion dann zynisch von Sean Spillane mit Popgedudel ("my stomache's just twisted with emotion") unterlegt, wie man es aus Teeniefilmen kennt.
Und so beginnt der Lauf der Dinge. Kurzerhand baut Chris einen Kellerraum um, fängt die Frau ein und kettet sie an. Fortan geht es darum, zu zeigen, "wer hier das Sagen hat". Die Familie wird eingeweiht und soll Chris darin unterstützen, der Frau zu "helfen". Waschen, ankleiden, trainieren, zivilisieren. "Sie von sich selbst befreien" nennt Chris das und beschreibt es gegenüber der Familie als "unser Projekt".
Als Jäger und Sammler ist Chris ein Macher - jemand, der die Dinge selbst in die Hand nimmt. Widerworte ist er dabei nicht gewohnt und duldet sie auch nicht von den Frauen in seinem Leben, wie er Gattin Belle bei deren anfänglichen Zweifeln klar macht. Frauen sind für Chris Wesen zweiten Ranges, das macht McKee mehrfach deutlich. Sei es im Verhältnis zu seiner Gattin oder gegenüber seiner Sekretärin.
Das Bild gewinnt klarere Züge. Belle ist ohnehin eingeschüchtert und ihrem Mann hörig, Peggy zieht sich ebenfalls verstärkt in sich zurück, was auch ihre engagierte Lehrerin bemerkt. Dagegen verfällt Sohn Brian (Zach Rand) mehr und mehr dem Streben, seinem väterlichen Vorbild zu folgen. Beider Faszination richtet sich auf die Frau, die Vater wie Sohn infolgedessen sexuell mißbrauchen.
Erneut unterlegt dies Sean Spillane mit einem romantisch angehauchtem Stück ("Patient Satellite") und den Bildinhalt pervertierenden Textzeilen wie "It's all right", "You will see that I'm right" oder "You will be all right". Die durch die männlichen Cleeks ausgelebte Misogynie bewegt sich allmählich auf ihren Höhepunkt zu - mit einer entsprechenden Bewertung von Chris gegenüber Belle, daß "Jungs eben Jungs sind".
Es war jene, den feministischen und emanzipatorischen Elementen von "The Woman vorausgehende Diskriminierung, die beim Sundance Filmfestival im Januar 2011 zu einem Skandal führte. Wo man sich dort allerdings über die frauenfeindliche Darstellung generell echauffierte, wäre der Zorn eher ob ihrer redundanten und plakativen Art der Umsetzung gerechtfertigt.
Denn McKee arbeitet hier mit dem Holzhammer. Mit einfachen Bildern eines Frauenunterdrückers und kleinstädtischen Mittelstands-Patriarchen, die zwar durch ihre unernste Inszenierung unterhalten, aufgrund ihrer unsubtilen Art auf Dauer jedoch ermüden. Etwas mehr subversive Kritik - wie von George A. Romero in "Day of the Dead" geübt - hätte hier nicht geschadet.
Hinzu kommt, daß sich die Ereignisse im finalen Drittel dann plötzlich überschlagen. Zwar agieren die Figuren hier letztlich angesichts der Situation durchaus nachvollziehbar, jedoch so überhastet, daß vieles - darunter Figuren, die aus heiterem Himmel auftauchen - vom Publikum erst im Anschluß aufgearbeitet werden muß.
Ähnlich wie der reale Feminismus läßt McKee also in "The Woman" seine Emanzipation über das chauvinistische Patriarchat hereinbrechen. Der Gore-Anteil nimmt ordentlich zu, der Zynismus wird in die "richtige" Richtung verkehrt und das nicht-cineastische Weltbild wiederhergestellt, wenn am Ende eine Familie zueinanderfindet, die zwar nicht schrecklich nett, aber dennoch total normal scheint.
Die Blu-Ray liefert einen vorzüglichen HD-Transfer, der ein scharfes und klares Bild mit satten Farben verspricht. Auch über die Tonabmischung kann man sich nicht beschweren. Bei den Extras ist das rund 20-minütige 'Making Of' dem wenig gehaltvollen Blick hinter die Kulissen und den entfallenen Szenen vorzuziehen, während der animierte und von McKee produzierte surrealistische Kurzfilm "Burro Boy" eine zusätzliche Herausforderung zur Sichtung von "The Woman" darstellt.
Alexander De - 27.12.2011 : 08.42
Der "Skandal" ist in meinen Augen weit überzogen - vor allem, da irgendwie untergegangen zu sein scheint, das der Film auf einem Roman von Jack Ketchum beruht, und der dritte Teil der Geschichte eines Clans von Kannibalen ist (Beutezeit, Beutejagd und Beuterausch sind die dt. Titel der Romane - die beiden ersten Bücher sind exzellent). Ketchum beschäftigt sich sowohl in seinen auf wahren Fällen wie auch den frei erfundenen Romanen so gut wie immer mit dem Thema "Arschloch Mann" in seiner schlimmsten Form.
Die Schwäche des dritten Romans bzw. des Films ist im Regisseur und Co-Autor Lucky McKee zu suchen, deutlich erkennbar, wenn man mit Ketchum vertraut ist und auch daran, dass im Buch noch eine Kurzgeschichte - eine Fortsetzung von "The Woman" - vorhanden ist, die Ketchum allein geschrieben hat und in der die beinharte Bissigkeit des Autors wieder voll zur Geltung kommt.
Soweit mein Senf dazu :-)
Florian Lieb - 27.12.2011 : 10.14
Klar ist der "Skandal" überzogen, wurde ja auch genüßlich durch mehrere Blogs gezerrt. Ketchum selbst zeigt sich übrigens zumindest im Making Of sehr angetan von McKee's Arbeit - aber das muss ja nichts heißen ;-)
Jim Jarmusch machte zuletzt Vampire zu Rockstars und Busfahrer zu Dichtern. In seinem jüngsten Film "The Dead Don´t Die" finden sich Kleinstadtpolizisten infolge einer Klimakatastrophe plötzlich in der Zombie-Apokalypse wieder. Das Ergebnis ist erwartungsgemäß so skurril wie schrullig und verquickt dabei geschickt klassische Zombie-Tropen mit Meta-Momenten und bissiger Persiflage auf die amerikanische Rechte.
Willst du groß und stark werden, dann mußt du ordentlich Fleisch zu dir nehmen. Diesem Glauben hängen vor allem Männer gern nach - so auch der britische Mixed-Martial-Arts-Kämpfer James Wilks. Zumindest so lange, bis er sich nach einer Verletzung schlau machte und entdeckte, daß viele erfolgreiche Athleten vegane Ernährung bevorzugen, um mehr Leistung bringen zu können. Oscar-Gewinner Louie Psihoyos dokumentiert diese Erkenntnis in seinem Netflix-Film "The Game Changers".
Mehr als 50 Jahre ist es her, daß George A. Romero in "Night of the Living Dead" Zombies als reanimierte Kannibalen salonfähig machte. Seither treiben die Untoten munter ihr Unwesen, sei es im Schnee ("Dead Snow"), im Zug ("Train to Busan") oder beim Schulball ("Dance of the Dead"). Umso beachtlicher, daß Ueda Shin’ichirō in seiner No-Budget-Komödie "One Cut of the Dead" dem Genre dennoch etwas Originelles abgewinnt.
Der Tenor nach Terrence Malicks jüngstem Werk fiel aus wie immer: Der Auteur präsentiere stets dasselbe - ähnlich wie die Kritik an seinen Werken, die sich in Witzeleien über gehauchte Erzählstimmen, an Parfümwerbung erinnernde Kameraarbeit und das Frohlocken in den Feldern erschöpft. Sein neuer Film wird ihm kaum neue Anhänger bescheren, liefert Fans aber das, was sie an ihm schätzen.
Kleine Dinge können eine große Wirkung haben. Das veranschaulicht auch Regisseur Hong Sang-soo in seinem jüngsten Film. Der beginnt nach der Hälfte seiner Laufzeit einfach nochmal von vorne - mit einigen Abweichungen, die der Geschichte eine neue Wendung geben. Das Ergebnis daraus: ein vergnüglicher Doppel-Film über den Moment des Augenblicks.
Vor 17 Jahren avancierte der sehr preisgünstige Found-Footage-Horror "Blair Witch Project" zum Kassenschlager im Kino. Dennoch folgte auf den Indie-Hit lediglich eine einzige Fortsetzung, die den Erfolg nicht wiederholen konnte. Nun bringt Regisseur Adam Wingard die Kameras und den Schrecken zurück in den Black Hills Forest - und das durchaus überzeugend.
Kommentare_
Der "Skandal" ist in meinen Augen weit überzogen - vor allem, da irgendwie untergegangen zu sein scheint, das der Film auf einem Roman von Jack Ketchum beruht, und der dritte Teil der Geschichte eines Clans von Kannibalen ist (Beutezeit, Beutejagd und Beuterausch sind die dt. Titel der Romane - die beiden ersten Bücher sind exzellent). Ketchum beschäftigt sich sowohl in seinen auf wahren Fällen wie auch den frei erfundenen Romanen so gut wie immer mit dem Thema "Arschloch Mann" in seiner schlimmsten Form.
Die Schwäche des dritten Romans bzw. des Films ist im Regisseur und Co-Autor Lucky McKee zu suchen, deutlich erkennbar, wenn man mit Ketchum vertraut ist und auch daran, dass im Buch noch eine Kurzgeschichte - eine Fortsetzung von "The Woman" - vorhanden ist, die Ketchum allein geschrieben hat und in der die beinharte Bissigkeit des Autors wieder voll zur Geltung kommt.
Soweit mein Senf dazu :-)
Klar ist der "Skandal" überzogen, wurde ja auch genüßlich durch mehrere Blogs gezerrt. Ketchum selbst zeigt sich übrigens zumindest im Making Of sehr angetan von McKee's Arbeit - aber das muss ja nichts heißen ;-)