Video_The Walker
Verfeinerung des Lebens
"I hear the sound of doors slamming all over town!" sagt Carter zu seiner Katze. Er spricht leise, die Worte dehnen sich und kommen als süßliche Südstaatenmelodie aus seinem Mund. Ihr Inhalt ist bitter. Paul Schrader zeigt in seinem neuen Film, wie nahe Aufstieg und Verfall beieinander liegen.
20.02.2008
Von Anfang an beherrscht eine Stimmung latenter Bedrohung die Bilder von "The Walker". Die erste Einstellung ist verschwommen. Dann wandert die Kamera geschmeidig durch einen Raum; alles, was hier besprochen wird, bleibt auch in diesem mit Tapeten und Teppichen ausgelegten Zimmer, das an Eleganz seinesgleichen sucht. Man spielt Karten, man lästert über andere - ein Club für Politiker-Ehefrauen. Hier halten sich vier attraktive Damen auf, unterhalten von der bösen Zunge des charmanten Carter Page III (Woody Harrelson).
Car, wie er auch genannt wird, ist ein perfekter Gentleman, begleitet die Ladies auf langweilige Banketts, chauffiert sie zu ihren Liebhabern, kennt sich in der Gerüchteküche der Washingtoner Szene aus und entstammt selbst einer angesehenen Familie. Er ist homosexuell. Alle wissen es, manchen ist dieser "Umstand" ein Dorn im Auge, doch in dieser Gesellschaft - der "culture of revenge" - werden die Dinge ausgeschwiegen. Das liegt vor allem daran, daß das Andenken an Carters mächtigen Vater nicht beschmutzt werden soll. Die Upper-Class-Damen lieben Car III., ihre Männer dulden ihn. Carter hat sich seinen eigenen Platz in der Gesellschaft geschaffen, eine Nische, die sogar als eine Art Beruf durchgeht. Niemals wird jedoch seine Position direkt angesprochen. Nur der Polizist, als Vertreter einer Welt der Fakten, spricht es aus: "He is a walker, I think that´s what it is called."
Durch und durch vollendet sind Carters Manieren, von großer Individualität ist sein Stil. Doch wie alles höchst Verfeinerte schwankt auch Carters Leben immer in Richtung Verfall und Bedrohung. Er ist ein "Mann von gestern"; so ähnlich argumentiert auch sein junger Geliebter Emek Yoglu (Moritz Bleibtreu), der sich weitaus besser in der realen Welt zurechtfindet als der Walker. Nicht nur, daß Carter die Damen begleitet und ihr langweiliges Leben mit Galanterien und Tratsch aufpoliert, er ist außerdem noch loyal. Das beweist er, als er seine Freundin Lynn Locker (Kristin Scott Thomas) zu einem geheimen Treffen bringt und die ihren Liebhaber ermordet auffindet.
Der verstörende Hitchcocksche Blick auf das Detail (in diesem Fall Lynns Beine), den Schrader gekonnt umsetzt, läßt erahnen, daß alles Folgende gefährlich sein wird. Lynn Locker ist die Ehefrau eines Senators (in einer Nebenrolle: Willem Dafoe) und darf unter keinen Umständen mit dem Mord und/oder dem Ermordeten in Verbindung gebracht werden. Car tut also das, was ein Gentleman tut: Er deckt sie, indem er selbst den Mord meldet, wird kurz darauf verdächtigt und gerät in eine fiese, politisch motivierte Intrige, aus der er sich nur schwer befreien kann. Eine Dame nach der anderen wendet sich von ihm ab, selbstverständlich ohne dabei viele Worte zu verlieren. Lynn ist plötzlich nicht mehr auffindbar. Der Rat von Natalie Van Miter (großartig: Lauren Bacall) ist unmißverständlich: "Let me give you a piece of Washington wisdom. Don´t stand between a friend and a firing squad." Diese Erkenntnis ist schmerzhaft. Vielleicht hat Car deshalb immer auf Verdrängung gesetzt und solche Wahrheiten (wie auch seine Glatze) lieber vor sich selbst verborgen.
Ähnlich wie schon vor ihm Julian Kay (Richard Gere) in "American Gigolo" wird auch Cars fast kindliche Unwissenheit und Verträumtheit von der Gesellschaft bestraft. Doch anders als dort schafft Carter den Absprung selbst. Lynn Locker, die Senatorengattin, hat hingegen nie wirklich eine Chance. Sie kehrt unverändert in den Schoß der Gesellschaft zurück. Car kann - zwar seelisch verwundet, doch befreit - sein Milieu verlassen. Er tritt heraus aus der Welt des Vaters, überwindet den Schmerz und behält dennoch seine Individualität. Nicht umsonst läßt Schrader Carter mit eleganter Nachlässigkeit auf Lynns Frage, warum er sie denn trotz allem nicht verraten habe, antworten: "Ich wußte mein ganzes Leben lang nicht, warum ich mich wie verhalten habe." Understatement, versteht sich!
Schrader, der neben vielen wichtigen Drehbüchern (etwa jenen zu "Taxi Driver" oder "Raging Bull") auch das beachtliche theoretische Werk "Transcendental Style in Film: Ozu, Bresson, Dreyer" geschrieben hat, zeigt wie schon zuvor in "American Gigolo" auch in "The Walker" Anklänge an Bresson. In Carter Page III. sehen wir eine Existenz, die es eigentlich unter den gegebenen Umständen nicht geben dürfte, die sich aber mitsamt ihrer Verfeinerung "durchschwindelt" und nicht korrumpieren läßt. Das ergibt einen sehr schönen und spannenden Film - nicht nur wegen der exquisiten Darstellungskunst von Woody Harrelson.
Tina Glaser
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