Video_The Tiger´s Tail

Zahnlose Raubkatze

Ein in finanzielle Turbulenzen geratener Baulöwe begegnet seinem unheilvollen Ebenbild: Brendan Gleeson schleppt sich tapfer durch John Boormans müde Kapitalismuskritik.    22.04.2013

Begegnungen mit einem Doppelgänger verheißen selten Gutes. Dessen ist sich auch der seit kurzem glücklose Star-Bauunternehmer Liam O´Leary (Brendan Gleeson) bewußt, als er sein Gegenstück just im Augenblick einer sich zuspitzenden persönlichen Krise erstmals erblickt. Ist das Double ein Produkt von Liams angekratzter Psyche? Verliert er im Angesicht der Krise gar völlig den Verstand? Jedenfalls scheint sich anfangs nur der unter Druck geratene Unternehmer der Existenz des zweiten Liam gewahr zu sein. Allerdings wächst sich das vermeintliche Hirngespinst schon bald zu einer realen Gefahr aus, als der Eindringling mehr und mehr Raum im Leben des gefallenen Geschäftsmanns einnimmt: Plötzlich vergnügt sich das dunkle Abbild auf Liams Yacht, pfuscht in dessen Geschäftsleben herum und landet schließlich sogar im Bett mit der vernachlässigten Ehefrau Jane (Kim Cattrall). Liam O´Leary, dem durch eine spektakuläre Fehlinvestition der finanzielle Boden unter den Füßen weggerissen wurde, ist zudem auch nicht mehr Herr im eigenen Haus. Das bereits angespannte Verhältnis zu seinem rebellischen Sohn Connor (Brian Gleeson, auch im wahren Leben Brendans Sohn) wird durch den Zwietracht säenden Doppelgänger zusätzlich belastet, während Jane ihren plötzlich untypisch aufmerksamen Gatten dankend in die Arme schließt.

 

Vom selbstbewußt protzenden und chronisch korrupten Society-Star zum Neuzugang im hiesigen Obdachlosenasyl: Der Talfahrt des großmäuligen Liam O´Leary beizuwohnen, verströmt einen gewissen Reiz und gewinnt durch die Einbettung des uralten Doppelgängermotivs noch an Attraktivität - insbesondere, da mit dem Iren Brendan Gleeson ein gestandener Performer am Werk ist, der bereits in John Boormans "The General" (1998) zu überzeugen wußte. Doch läßt Regie-Veteran Boorman seinen Hauptdarsteller mit dem selbstverfaßten "Tiger"-Skript mehr oder weniger verhungern. Schlußendlich ist das Absteigerdrama mit Mystery-Komponente, inklusive Vater-Sohn-Konflikt, nicht mehr als eine schale Banalität. Die Entzauberung des "Keltischen Tigers", also des vormals wirtschaftlich erfolgreichen Irland - in Gestalt des abgestürzten Protagonisten O´Leary - kommt ohne Biß daher.

Zudem wirkt das Aufbegehren des sich als engagierter Jungkommunist aufspielenden Sohnes recht aufgesetzt - hier verschwimmt der Grenzverlauf zwischen gewollter Satire und unfreiwilliger Komik. So macht sich in dem ursprünglich wohl als satirische Gesellschaftskritik gedachten "The Tiger´s Tail" bald Langeweile statt lakonischen Humors breit; nicht umsonst wurde der Film vom Verleih jahrelang unter Verschluß gehalten und erst jetzt, wahrscheinlich vor dem Hintergrund der nicht endenwollenden Weltwirtschaftskrise, auf den deutschsprachigen Markt gebracht. Wobei immerhin Brendan Gleeson kein Vorwurf zu machen ist - der wandlungsfähige Mime bleibt einziger echter Aktivposten des Streifens. Während er sich wacker mit dem unterentwickelten Drehbuch herumschlägt, fällt Filmgattin Kim Cattrall allerdings stark ab. Beim Anblick ihrer naiven Jane O´Leary kommen einem Zweifel, ob die Rolle wirklich so cartoonhaft geplant war ...

Als reines "Doppelgänger"-Thrillerdrama taugt "The Tiger´s Tail" ebensowenig wie als moralisierender Selbstfindungstrip oder Nachtrag zur Finanzkrise. Wer sich für letzteres interessiert, ist mit gelungenen Werken à la "Margin Call", "The Company Men" oder "Arbitrage" eindeutig besser bedient.

Dietmar Wohlfart

The Tiger´s Tail

ØØ

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Senator Home Entertainment (Irland/GB 2006)

DVD Region 2
103 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung oder engl. OF

Features: Trailer

Regie: John Boorman

Darsteller: Brendan Gleeson, Kim Cattrall, Ciarán Hinds u. a.

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