Video_The Machinist - Special Edition
Die Dunkelkammer der Seele
Formwandler Christian Bale hungert sich in Brad Andersons fragmentarischem Paranoia-Thriller zur Höchstform - und gleich auch in den Wahnsinn.
16.08.2005
Um Trevor Reznik (Christian Bale) darf man sich Sorgen machen.
Der Mann ist bis auf die Knochen abgemagert, kaum mehr als ein ausgezehrtes Wrack von einem Menschen. Kein Wunder, hat Reznik doch nach eigenem Bekunden seit einem Jahr nicht mehr geschlafen. Einem umherwandernden Toten gleich schleppt er sich tagein, tagaus durch die dunklen Hallen seiner Arbeitsstätte, einem dröhnenden Maschinenwerk. Ihr Befremden über den introvertierten Hungerleider und dessen allzu düster pulsierende Aura bringen seine Kollegen ganz offen zum Ausdruck - dieser Maschinist ist ihnen nicht geheuer. Und das will er auch nicht sein.
Reznik hat ganz andere Sorgen. Zum Beispiel Stevie (überzeugend charmant: Jennifer Jason Leigh): Die Prostituierte ist drauf und dran, ihr Gewerbe für den schlaflosen Dauerkunden aufzugeben. Der kann sich aber nicht so recht entscheiden und schwankt noch zwischen dem sympathischen käuflichen Blondschopf und Maria (Aitana Sánchez-Gijón), der rassigen Kellnerin einer weit entfernten Flughafenbar. Maria ist nicht nur eine geduldige Zuhörerin, die herzensgute Bardame findet auch Gefallen an ihrem spendablen Stammgast, dem immerzu müden, aber niemals Schlaf findenden Maschinisten.
Doch hat Trevor Reznik überhaupt Zeit, eine romantische Verbindung einzugehen, bei all dem Unerklärlichen, das ihm widerfährt, seiner chronischen Schlafstörung und den damit einhergehenden Sinnestäuschungen? Bei den kryptischen Nachrichten, die sich in seiner Küche stapeln? Bei dem Durcheinander in seinem Kopf? Und wie paßt der mysteriöse Ivan (John Sharian) in seine zerrüttete Welt? Ivan, dieser zwielichtige Maschinistenkollege, den niemand außer dem Schlafgestörten je gesehen haben will; Ivan, den Trevor für einen fatalen Arbeitsunfall im Werk zur Verantwortung ziehen will. Reznik, der sich zusehends als Opfer einer Verschwörung wähnt, macht in diesem Ivan die Wurzel allen Übels aus.
Vom solariumsgebräunten, axtschwingenden "American Psycho" - dem Serienkiller aus dem Modekatalog - ist in "The Machinist" buchstäblich nicht mehr viel übriggeblieben. Überzogen mit Schichten wenig schmeichelhaften Make-ups, bietet Bale in seiner Rolle als total abgewirtschafteter Maschinist eine erschreckend authentische Vorstellung - in der richtigen Streifenkluft gäbe er den perfekten KZ-Insassen ab. Wenige Wochen, nachdem die Dreharbeiten zu "The Machinist" abgeschlossen waren, vollzog sich auch schon die nächste Metamorphose: Bale absolvierte eine deftige Kaloriendiät und fraß sich in kürzester Zeit zum Schwergewicht hinauf. Der Modellierung zum einschüchternden menschlichen Kleiderschrank sollte der 31jährige einen vielbeachteten Auftritt als Bruce "Batman" Wayne folgen lassen.
Daß der Mann nicht nur über eine enorme Willenskraft verfügt und seinem Körper allerhand abzuverlangen vermag, erschließt sich spätestens dann, wenn Bale seine physische Wandlungsfähigkeit mit eindringlichen Charakterisierungen legitimiert. In "The Machinist" überzeugt er als körperlich kaputter, in die Enge getriebener Industriearbeiter. Reznik wird bedroht und gejagt, irrt umher, bleibt aber ohne klar definiertes Ziel vor Augen. Wird gegen ihn konspiriert oder spielt ihm sein Verstand einen grausamen Streich?
Regisseur Brad Anderson verzichtet dabei auf eine kompakte, in sich geschlossene Narration. Sein eher fragmentarischer Erzählstil vermeidet Rhythmus und befördert Trevor Rezniks brüchiges Seelenleben. Dazu streicht Anderson die Farbpalette seines Films stark zusammen und setzt auf Trostlos-Optik. Akustisch wird das Ganze nur inkonsequent ergänzt: Der Düster-Score legt sich eher neben als über den Bilderfluß.
Schlußendlich bleibt Christian Bale der einzige echte Spezialeffekt des rätselhaften Psychotrips "The Machinist" - eines stets unruhig dahinbrodelnden, chiffrierten Porträts eines seelisch Entzweiten.
Dietmar Wohlfart
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