Video_The Game Changers

Vegane Erektionen

Willst du groß und stark werden, dann mußt du ordentlich Fleisch zu dir nehmen. Diesem Glauben hängen vor allem Männer gern nach - so auch der britische Mixed-Martial-Arts-Kämpfer James Wilks. Zumindest so lange, bis er sich nach einer Verletzung schlau machte und entdeckte, daß viele erfolgreiche Athleten vegane Ernährung bevorzugen, um mehr Leistung bringen zu können. Oscar-Gewinner Louie Psihoyos dokumentiert diese Erkenntnis in seinem Netflix-Film "The Game Changers".    16.12.2019

Wie er denn als Veganer stark wie ein Ochse sein könne, würde der armenische Kraftsportler Patrik Baboumian oft gefragt. "Hast du schon mal einen Ochsen Fleisch essen sehen?" lautet die Antwort des 40jährigen dann. Er greift auf eine rein pflanzliche Ernährung zurück und hat in der Vergangenheit schon bis zu 560 Kilogramm gestemmt - was viele einem Veganer vermutlich nicht unbedingt zutrauen würden.

So ähnlich dachte auch James Wilks, ein Mixed-Martial-Arts-Kämpfer aus England, bis er sich in beiden Knien einen Bänderriß zuzog und auf der Suche nach schneller Wiedergenesung auf einen Bericht über ausgegrabene Überreste ehemaliger Gladiatoren stieß. Die, so zeigten ihre Knochen, ernährten sich größtenteils auf Pflanzenbasis, "was allem widersprach, was mir über Ernährung beigebracht wurde", berichtet uns Wilks in der Netflix-Dokumentation "The Game Changers".

 

So verläuft der Auftakt einer Analyse, inwiefern tierisches und pflanzliches Protein sich unterschiedlich auf unseren Körper auswirken - und ob eine vegane Ernährung für den Leistungssport speziell und die physische Gesundheit generell nicht zuträglicher sein kann. Als Interview-Partner dienen Psihoyos und Wilks neben Ernährungs- und anderen Wissenschaftlern auch vegane Leistungssportler aus den verschiedensten Disziplinen.

Neben Baboumian zählt dazu unter anderem der Ultramarathonläufer Scott Jurek, der in 24 Stunden schon mehr als 265 Kilometer zurücklegte, aber auch der dreifache Olympiasieger und Schwimmer Murray Rose, die Sprinter Carl Lewis und Morgan Mitchell oder Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton. Auch im Mixed-Martial-Arts hatte 2016 Connor McGregor das Nachsehen gegenüber Herausforderer Nate Diaz, der sich streng vegan ernährt.

 

McGregor, der sich in der Vorbereitung zwei Steaks am Tag gönnte, nannte die Niederlage hinterher einen "Kampf der Energie", den er verloren hatte. Dies ist einer der ausschlaggebenden Punkte für die Dokumentation, die für eine vegane Ernährung sprechen würden. "Mein Energieniveau stieg unglaublich", berichtet auch Morgan Mitchell über ihre Umstellung auf pflanzliche Ernährung. Die Erklärung, so deutet der Film an, findet sich in den Endothelzellen unserer Blutgefäße, die den Stoffaustausch regulieren.

Tierisches würde gegenüber pflanzlichem Protein zu einer Verengung führen. Das Blut wandert also weniger fließend, die Versorgung verlangsamt sich somit. Schon ein einziger Hamburger soll zu einer Verschlechterung von 27 Prozent führen; weshalb tierisches Protein auch das Herzinfarktrisiko erhöhe, während es bei Veganern um 55 Prozent geringer ausfalle. Solche Gründe bringen im Lauf des Films auch Wilks Vater, selbst Infarktbetroffener, und eine Feuerwehrstelle in New York dazu, ihre Ernährung umzustellen.

 

"The Game Changers" argumentiert, daß das Protein im Fleisch letztlich auch aus den Pflanzen resultiert, die das Tier zuvor zu sich genommen hat. Damit wären Schwein oder Kuh im Prinzip lediglich Mittelsmänner des Proteintransfers für uns. Der Mensch selbst sei aber gar nicht für den Fleischverzehr prädestiniert. Unser Verdauungstrakt sei deutlich länger als bei anderen Fleischfressern wie Löwen - und unsere Zähne seien zum Kauen und Mahlen ausgelegt, während Karnivoren ihre Beute meist einfach verschlingen.

Die Aminosäuren, die der menschliche Körper benötigt, müssen dabei nicht tierischen Ursprungs sein. "Die Quelle ist irrelevant", faßt Wilks zusammen. Entscheidend ist, daß die nötige Menge konsumiert wird. Welche Auswirkungen eine pflanzliche Ernährung haben kann, zeigt ein Versuch, in dem drei Football-Spieler sich einen Tag vegan ernähren, während nachts ihre Erektionen im Schlaf gemessen werden. Durch den besseren Blutfluß hätten sie alle mehr und längere Erektionen gehabt, so der Arzt. Beim nächsten Date gebe es also Salat.

 

Der Dokumentation geht es dabei einerseits um die Entmystifizierung des Glaubens, nur über tierisches Protein können Muskelaufbau und sportliche Leistungssteigerung erfolgen (dies wird unter anderem von Arnold Schwarzenegger, Koproduzent des Films, widerlegt). Anderseits geht es aber auch darum, daß eine pflanzliche Ernährung letztlich gesünder für uns wäre. Seine Argumente bringt "The Game Changers" dabei glaubwürdig rüber, selbst wenn der Film zu einem gewissen Grad sehr einseitig ist.

Ein angeführtes Beispiel, daß einem auch ein Gorilla überlegen ist, der sich ja vegan ernährt, ließe sich entkräften, da dies auch auf Löwen und Haie zutrifft. Lewis Hamilton lebt seit 2017 vegan und gewann die letzten drei Formel-1-Weltmeisterschaften, hatte aber bereits zuvor drei Titel ohne vegane Ernährung gewonnen. Und im Fall des Dutzends Football-Spieler der Tennessee Titans, die sich pflanzlich ernähren, bleibt unklar, ob der folgende Erfolg des Teams sich ihnen verdankt oder sie sowieso nur auf der Ersatzbank sitzen.

 

Am Großteil der Argumente ändert dies allerdings nichts. "The Game Changers" veranschaulicht stattdessen, daß man auch groß und stark werden kann, wenn man nicht jeden Tag Fleisch ißt. Die Doku klärt darüber auf, wie groß der Aufwand hinsichtlich Versorgung der Tiere mit pflanzlichen Proteinen und Wasser ist, nur um durch die Mästung wiederum tierisches Protein für den Menschen zu generieren, anstatt das pflanzliche Protein direkt selbst zu sich zu nehmen. Wenn die Dokumentation dabei hilft, beim Zuschauer den wöchentlichen Fleischkonsum wenn schon nicht zu eliminieren, dann wenigstens zu reduzieren, ist schon viel getan - sowohl für die eigene Gesundheit als auch die des Planeten.  

Florian Lieb

The Game Changers

ØØØ 1/2

Leserbewertung: (bewerten)

USA 2018

Netflix

 

108 Min., engl. OF mit dt. UT

 

Regie: Louie Psihoyos

Darsteller: James Wilks, Patrik Baboumian, James Loomis u. a.

 

"The Game Changers" ist auf Netflix verfügbar.

Kommentare_

Video
The Dead Don´t Die

Scripted Reality

Jim Jarmusch machte zuletzt Vampire zu Rockstars und Busfahrer zu Dichtern. In seinem jüngsten Film "The Dead Don´t Die" finden sich Kleinstadtpolizisten infolge einer Klimakatastrophe plötzlich in der Zombie-Apokalypse wieder. Das Ergebnis ist erwartungsgemäß so skurril wie schrullig und verquickt dabei geschickt klassische Zombie-Tropen mit Meta-Momenten und bissiger Persiflage auf die amerikanische Rechte.  

Video
The Game Changers

Vegane Erektionen

Willst du groß und stark werden, dann mußt du ordentlich Fleisch zu dir nehmen. Diesem Glauben hängen vor allem Männer gern nach - so auch der britische Mixed-Martial-Arts-Kämpfer James Wilks. Zumindest so lange, bis er sich nach einer Verletzung schlau machte und entdeckte, daß viele erfolgreiche Athleten vegane Ernährung bevorzugen, um mehr Leistung bringen zu können. Oscar-Gewinner Louie Psihoyos dokumentiert diese Erkenntnis in seinem Netflix-Film "The Game Changers".  

Video
One Cut of the Dead

Director´s Cut

Mehr als 50 Jahre ist es her, daß George A. Romero in "Night of the Living Dead" Zombies als reanimierte Kannibalen salonfähig machte. Seither treiben die Untoten munter ihr Unwesen, sei es im Schnee ("Dead Snow"), im Zug ("Train to Busan") oder beim Schulball ("Dance of the Dead"). Umso beachtlicher, daß Ueda Shin’ichirō in seiner No-Budget-Komödie "One Cut of the Dead" dem Genre dennoch etwas Originelles abgewinnt.  

Video
Song to Song

Ein Lied, das ihr liebt

Der Tenor nach Terrence Malicks jüngstem Werk fiel aus wie immer: Der Auteur präsentiere stets dasselbe - ähnlich wie die Kritik an seinen Werken, die sich in Witzeleien über gehauchte Erzählstimmen, an Parfümwerbung erinnernde Kameraarbeit und das Frohlocken in den Feldern erschöpft. Sein neuer Film wird ihm kaum neue Anhänger bescheren, liefert Fans aber das, was sie an ihm schätzen.  

Kino
Right Now, Wrong Then

Die Macht der Worte

Kleine Dinge können eine große Wirkung haben. Das veranschaulicht auch Regisseur Hong Sang-soo in seinem jüngsten Film. Der beginnt nach der Hälfte seiner Laufzeit einfach nochmal von vorne - mit einigen Abweichungen, die der Geschichte eine neue Wendung geben. Das Ergebnis daraus: ein vergnüglicher Doppel-Film über den Moment des Augenblicks.  

Kino
Blair Witch

Wie verhext!

Vor 17 Jahren avancierte der sehr preisgünstige Found-Footage-Horror "Blair Witch Project" zum Kassenschlager im Kino. Dennoch folgte auf den Indie-Hit lediglich eine einzige Fortsetzung, die den Erfolg nicht wiederholen konnte. Nun bringt Regisseur Adam Wingard die Kameras und den Schrecken zurück in den Black Hills Forest - und das durchaus überzeugend.