Video_The Escapist - Raus aus der Hölle
Entflohener Kettensträfling
Um seiner abgedrifteten Tochter beizustehen, setzt ein alter Häftling alles auf eine Karte. Regisseur Rupert Wyatt gelingt mit seinem grimmigen Low-Budget-Knastabenteuer der Ausbruch aus dem Genre-Mittelmaß.
04.03.2009
Lange Jahre ist es her, daß Frank Perry (Brian Cox) mit seiner Frau und der damals noch kleinen Tochter in Freiheit vereint war. Nach dem Willen der Justiz wird er dies auch nie wieder sein, da Frank ein "Lebenslanger" ist - verurteilt und interniert für den Rest seiner Tage.
Abgehärtet und abgestumpft hat er sich mit seinem Schicksal abgefunden. Regelmäßig verfaßt Frank Briefe an seine Familie; eine sinnlose, weil einseitige Handlung: Die Angehörigen reagieren längst nicht mehr auf die Schreiben des Weggeschlossenen. Als schließlich doch eine unerwartete Antwort - die erste Nachricht seit Jahren - eintrifft, fällt sie niederschmetternd aus: Franks Tochter befindet sich nach einer Drogenüberdosis in kritischer Verfassung. Die Hiobsbotschaft reißt Frank aus seiner Starre und gibt seiner Existenz wieder einen Sinn. Mit einem Ziel vor Augen, für das es sich zu leben und zu kämpfen lohnt, entschließt sich der Alte zum Ausbruch. Auf der Suche nach Unterstützung fällt seine Wahl auf Lenny (Joseph Fiennes), ein Muster an Zähigkeit und unterdrücktem Zorn, den abgeklärten Brodie (Liam Cunningham), Gefängnisbibliothekar und Chemiker Batista (Seu Jorge) sowie den jungen Lacey (Dominic Cooper).
Frank Perrys Helferschar entstammt selbstredend der gleichen Hölle wie er selbst, einer furchterregenden Stätte der Qualen und Erniedrigungen. An diesem von Gitterstäben umfaßten, alptraumhaften Ort nehmen die brutalen Exzesse jener Männer, die das Regiment führen, routinemäßig überhand. An der Spitze der knastinternen Hackordnung steht Rizza (Damian Lewis), ein einschüchterndes, menschgewordenes Konzentrat aus negativer Energie, das zugleich Bruder und Schutzmacht des sadistischen Tony (Steven Mackintosh) ist.
Regisseur Rupert Wyatt illustriert das Grauen der namenlosen britischen Strafanstalt schonungslos. Der scheinbar von Zeit und Raum abgekoppelte Höllenschlund offenbart seine Schrecken vom ersten Augenblick an. Das Gefängnis folgt unbarmherzig einem pervertierten darwinschen Vertilgungskonzept, in dem der Stärkere jede Opposition bricht und zerschmettert. Wyatt engt den Raum mit extremen Nahaufnahmen ein, leuchtet dabei das Abstoßende deutlich aus und treibt den Zuschauer mitten in eine Ansammlung sich gegenseitig zerfleischender Kreaturen.
Einen emotionalen Zugang zu Franks Ausbruchskommando verwehrt Wyatt dabei konsequent. Den vier Galgenvögeln rund um den alten Haudegen fehlt eine Vorgeschichte; ihr Innenleben bleibt verborgen. Sie verbrüdern sich nicht, buhlen nicht um Sympathie oder Mitgefühl und werden nur durch ihren gemeinsamen Willen zur Flucht miteinander verbunden. Überhaupt grenzt sich der "Escapist" durch das Fehlen der genreüblichen Männerfreundschaften und Typenbildungen scharf ab. Sogar die bemerkenswert passive Hauptfigur, der alte Frank Perry, erscheint lange Zeit als Mann ohne Eigenschaften, der seit langem seiner Vorlieben und Schwächen beraubt ist.
Erst sehr spät entfaltet das Flashback-Erzählgerüst - Knastalltag und Ausbruchsvorbereitungen alternieren mit den Ereignissen rund um die Flucht selbst - ungeahnte Qualitäten und versetzt insbesondere dem Cox-Charakter einen Wachstumsschub. "The Escapist", einer der bittersten Vertreter der Prison-Break-Fraktion, benötigt Zeit - und ein geglücktes drehbuchtechnisches Manöver in letzter Minute -, um seine wahre Stärke zu offenbaren, entschädigt dann aber mit dem gelungenen Finish.
Dietmar Wohlfart
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