Video_The Demon
It´s a family affair ...
Das Böse kommt auf leisen Sohlen - und zwar nicht aus der Hölle, sondern aus dem scheinbar unscheinbaren Reihenhaus nebenan. Das gilt in Japan ebenso wie anderswo.
04.01.2005
Oft werden bei einem Film Erwartungshaltungen enttäuscht, und manchmal ist das ganz gut. So wie bei Yoshitaro Nomuras "Kichiku", der in der US-Version den Titel "The Demon" trägt und wie ein japanischer Horrorstreifen im Gefolge von "The Ring" aufgemacht ist: Auf dem Cover sieht man drei Schaukeln, eine leer, eine mit einem geisterhaft durchsichtigen Mädchen und die dritte schließlich mit einem seltsam dreinschauenden Buben. Gespenstische Kinder also - das hatten wir ja nicht erst einmal.
Die Wahrheit sieht allerdings ganz anders aus und ist nach kurzer Eingewöhnungszeit mehr als erfreulich: "Kichiku" stammt aus dem Jahre 1978, hat also mit der Optik, dem Erzähltempo und den satten Farben neuerer Filme (auch japanischer Provenienz) nur wenig zu tun, sondern kommt langsamer, karger, bedächtiger und dadurch umso realistischer daher. Doch daran gewöhnt man sich bald, weil einen die Geschichte in ihren Bann zieht.
Es ist die Geschichte eines Mannes, der dauernd nur Angst hat, eines typischen Simandls (oder, wie unsere deutschen Nachbarn sagen würden: Pantoffelhelden), das sich nicht gegen seine Frau aufzubegehren traut und daher immer das tut, was es eigentlich nicht will. So einen Schwächling zur Hauptfigur eines Films zu machen, ist riskant, funktioniert aber in diesem Fall, weil man ja doch wissen will, wie weit der Typ geht, um seinem weiblichen Quälgeist zu gehorchen. Und er geht sehr weit, viel zu weit ...
Besagter Charakterkrüppel heißt Sokichi Takeshita (hervorragend gespielt von Ken Ogata) und betreibt zusammen mit seiner hysterischen, herrschsüchtigen Gattin eine kleine Druckerei, die sich nicht mehr lange gegen die Konzernkonkurrenz behaupten wird können. Eines Tages steht eine andere Frau (Mayumi Ogawa) vor der Tür - mit drei Kindern im Schlepptau. Sie war sieben Jahre lang Sokichis Geliebte, hat sich von ihm aushalten lassen und kommt sich jetzt beschweren, weil sie in letzter Zeit zu wenig Geld von ihm kriegt. Bevor es zu einem öffentlichen Skandal kommt, bietet das Ehepaar der Nebenbuhlerin und ihren Kindern an, in ihrem Haus zu übernachten; bald macht sich die Frau jedoch still und heimlich davon, weil sie ein neues Leben beginnen und die Kinder in der Obhut ihres Vaters zurücklassen will.
Einen größeren Fehler hätte sie nicht machen können: Unter dem dauernden Druck seiner bösen Gattin willigt der rückgratlose Kerl doch tatsächlich in den Plan ein, die lieben Kleinen eines nach dem anderen zu beseitigen. Zuerst kommt der Säugling um, mit bedrückender Wahrscheinlichkeit nicht ohne die Mithilfe der Gattin, die das Baby vorher schon mißhandelt hat. Danach läßt sich Sokichi überreden, das kleine Mädchen irgendwo in der großen Stadt auszusetzen und einfach davonzuspazieren (weil das Kind ohnehin noch zu jung ist, um Name und Adresse seiner bösen Gastgeber zu wissen). Und schließlich soll es dem ältesten Buben an den Kragen gehen. Doch der ist bereits sechs, ziemlich intelligent und nicht ganz ahnungslos, was die Vorgänge in der Familie betrifft. Außerdem hat Sokichi ihn ins Herz geschlossen, mehr noch als die anderen Kinder. Wird also seine Charakterschwäche siegen - oder der letzte Rest Moral?
Diese Frage eröffnet menschliche Abgründe, die Hauptdarsteller Ogata durch seinen gequälten Gesichtsausdruck, die Körperhaltung und die Verzweiflung, die sich sogar in seiner gepreßten Sprache widerspiegelt, perfekt vermittelt. Als Zuseher ist man emotionell engagiert, läßt sich in die Handlung hineinziehen, fühlt mit den Protagonisten (erst mit einem, dann mit anderen) mit und hat am Schluß den Eindruck, einen viel grausameren, psychologisch fordernderen Film gesehen zu haben als den x-ten Abklatsch der Story vom untoten Kind mit den langen Haaren.
Manchmal kann man also ganz froh darüber sein, wenn eine Erwartungshaltung enttäuscht wird.
Peter Hiess
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