Video_The Card Player
Trägt der Tod noch schwarzes Leder?
Wenn Giallo-Maestro Dario Argento die Puppen wieder schlitzen läßt, hält die Genre-Welt den Atem an. Ob´s der Horror-Pensionist noch drauf hat, zeigt sein neuer Film.
17.11.2005
In Bella Italia treibt sich wieder mal ein Mörder herum, genauer gesagt, ein Serienkiller (gruseln wir uns bitte kurz). Auch die Irren gehen mit der Zeit - und so verfügt der Schlitzer über eine Internet-Verbindung. Die braucht er auch, weil er mit der heimischen Polizei per Online-Kartenspiel um das Leben seiner weiblichen Opfer pokert. Wenn Polizistin Anna Mari oder ihre Spießgesellen aufs falsche Blatt setzen, wird das jeweilige Fräulein fachgerecht zersäbelt, nachdem man ihr beim Angstgeschrei via Webcam hat zuschauen dürfen. Das das so nicht weitergehen kann, liegt auf der Hand, und das übliche Katz- und Mausspiel beginnt.
Was soll man dazu sagen? Würde es sich bei "The Card Player" um den Film eines x-beliebigen Regisseurs handeln, könnte man ihn durchaus als nicht unspannende Unterhaltung fürs Spätabendprogramm durchgehen lassen. (Wem der Name des Regisseurs Dario Argento nichts sagen sollte, der kann an dieser Stelle gleich zu lesen aufhören.) Eingedenk der Tatsache, daß hier einer der stilprägendsten Filmemacher des Genres die Fäden in der Hand hatte, sind aber doch Zweifel angebracht. Zugegeben, dichte Drehbücher waren noch nie Darios Sache, doch bügelte er das narrative Manko immer problemlos durch jede Menge atmosphärische Dichte, einprägsame Bilder, Einfallsreichtum und einen ordentlichen Schuß Argento-Ästhetik aus. In "The Card Player" sieht man davon allerdings nur wenig bis gar nichts. Die Szenen sind teilweise stümperhaft geschrieben, die Dialoge hohl, und auch das visuelle Flair, für das man den Meister achten und lieben gelernt hat, mußte trotz Kameramann Benoît Debie ("Irréversible") einem Direct-to-Video-Look weichen - ganz zu schweigen von Claudio Simonettis hanebüchenen Konservenklängen.
Che t´è successo, Dario? Ein kurzer Blick auf ein Paar schwarze Handschuhe, ein paar angespülte nackte Frauenwasserleichen, ein genagelter Polizist ... und dann noch der Blödsinn mit dem Internet-Killer? Das macht noch lange keinen Argento-Film aus! Wo bitte bist du, wenn man dich braucht? Hast du denn die letzten zehn Jahre im geistigen Tiefschlaf verbracht und vom "Schweigen der Lämmer" oder "Millennium" so gar nichts über die Täterprofile von Serienkillern gelernt? Oder an deine eigenen wunderbar kranken Zelluloid-Phantasien von anno dazumal zurückgedacht?
Ein Computerkurs für Einsteiger hätte Koautor Franco Ferrini sicher auch nicht geschadet, muß man doch wirklich schmunzeln, wenn man den kriminalistischen Tastendrückern zuhört, wie sie den Commissarios erklären, warum sie den Killer nicht aufspüren können. (Der hat nämlich eine Firewall! Und schickt ihnen später einen Virus! Aber zum Glück hat man ja die neue Viren-Software da.) Das bringt höchstens noch die Oma zum Staunen. Auch der schwer mißglückte Versuch, eine witzige Pathologenfigur zu erschaffen, krankt an allen Ecken. Stümperhaft, Signore Ferrini.
Das karge Bonusmaterial der DVD kann ebenfalls nicht wirklich überzeugen, lediglich die "International Promo" bewirkt emotionale Höhenflüge - aber nicht, weil man da ein paar fade Szenen aus dem Film und ein wenig Behind-the-scenes-Material zu sehen bekommt, sondern weil die Goblin-Klänge zu "Suspiria" darin erklingen und den Autor dieser Zeilen wieder einmal schmerzlich daran erinnern, daß er noch dringend die Dario-Argento-Collection aus dem Hause Anchor Bay für die Sammlung braucht, um endlich einmal die verstaubten VHS-Pendants eliminieren zu können. Um das stilistische Vakuum aufzufüllen, daß "The Card Player" nach Ansicht hinterlassen hat, wird deshalb gleich eine Goblin-Compilation aus dem Schrank geholt, damit man sich die nächsten Stunden an musikalischen Mesmerizern wie "Profondo Rosso", "Tenebre" und "Suspiria" berauschen kann. Und in Erinnerungen schwelgt, an die große Zeit des Dario Argento; in der Hoffnung, daß sie noch nicht ganz vorbei ist und sein nächster Streifen unsere neuralen Netze wieder behutsam streichelt. Mit einem schwarzen Handschuh wohlgemerkt.* (Gegen festgeklebte Augenlider plus fachgerechter Nadelunterstützung wäre auch nichts einzuwenden.)
Jürgen Fichtinger
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