Video_The Big White
Sterne im Schnee
Ein unbekannter Regisseur dreht ein bemerkenswertes Filmchen. Und das ist - trotz der einen oder anderen Ähnlichkeit mit "Fargo" - ein wahres winterliches Vergnügen.
30.01.2007
Mark Mylod hat bisher nicht viel für den Filmfreund getan. Er ist der Regisseur des erbärmlichen Machwerks "Ali G. In Da House" und hat sich mit dieser Verfehlung auch prompt in eine Ecke manövriert, in der man sich über unerwünschte Post in Form von schlechten Drehbüchern nicht wundern darf.
Eines schönen Tages blättert Mylod all die Ergüsse durch, die er da bekommen hat, und entdeckt eine namenlose Geschichte über einen Mann, der aus Liebe zu seiner Frau zu manch illegaler Tat bereit ist. Diese hinlänglich bekannte Story würde nicht weiter Aufsehen erregen, wären da nicht die sympathischen Figuren mit ihren alltäglichen Fehlern - und die Tatsache, daß der Plot im kalten Kanada spielt.
Jetzt wird sich der Filmkenner wundern und denken: "Hieß der Streifen nicht 'Fargo' und war von den Coen-Brüdern? " Nun ja, in der Tat kann "The Big White" - wie der Streifen später heißen sollte - seine Ähnlichkeit mit dem "Kultfilm"-Original nicht verbergen. Das fiel auch Mylod beim Lesen des Scripts auf. Er entschloß sich aber trotzdem dazu, den Film zu drehen und sein Augenmerk mehr auf die Liebesgeschichte zwischen den Hauptfiguren Paul und Margaret (gespielt von Robin Williams und Holly Hunter) zu legen als auf den Krimistoff, den "The Big White" durchaus bietet:
Margaret Barnell leidet am Tourette–Syndrom. Ihr Mann Paul sehnt sich nach den Zeiten zurück, in denen diese doch recht unangenehme Krankheit bei seiner Frau noch nicht ausgebrochen war. Immer wieder sieht er sich ein Video von einer Kreuzfahrt an, die das Paar vor längerer Zeit unternommen hatte. Damals verhielt Margaret sich noch normal und versicherte sogar dem Kellner, der einen Cocktail über sie geschüttet hatte, daß das doch nichts ausmache. Auch jetzt ist Margaret ein lieber Mensch, doch sie schimpft unentwegt vor sich hin, trippelt herum und verschwindet manchmal plötzlich, um - lediglich mit einem Pyjama bekleidet - im Schnee herumzulaufen.
Paul möchte seiner großen Liebe gern helfen, doch dem insolventen Reisebürobesitzer fehlt es an finanziellen Mitteln, um seiner Angebeteten alternative Heilmethoden zu ermöglichen. Hier könnten wir uns noch in einem französischen Drama aus dem Arthaus befinden. Aber jetzt fängt der Krimi an:
Um an Geld zu gelangen, fragt der fürsorgliche Ehemann kurzerhand bei einer Versicherung nach, ob es nicht möglich wäre, ihm als Begünstigten die Lebensversicherung seines vor fünf Jahren verschwundenen Bruders Raymond auszuzahlen. Eine legitime Frage, sollte man meinen. Doch die Sache ist nicht so einfach, erklärt ihm der unsympathische Versicherungsagent Ted - grandios gespielt von Giovanni Ribisi – fachmännisch: Ohne die Leiche von Ray gibt´s auch keine Auszahlung.
Da Paul natürlich nicht auf das nette Sümmchen von einer Million Dollar verzichten möchte, kommt ihm der Tote im Müllcontainer vor seiner Firma gerade recht, um ordentlich zu kassieren. Alles für die gute Sache, versteht sich. Doch als die Wölfe sich wie geplant über den Leichnam des Unbekannten hergemacht haben und die Polizei glaubt, daß es sich bei dem verunstalteten Kadaver tatsächlich um Pauls verschollenen Bruder handelt, fangen die Probleme erst so richtig an. Mit einem Mal steht der verlorene Bruder (Woody Harrelson) nämlich vor der Tür und möchte seinen Anteil von der Versicherungssumme haben.
Auch die zwei schrulligen Killer, die den Leichnam zwecks Beweisführung vor ihrem Boß suchen, und der neugierige Versicherungsagent Ted, der seinem Klienten das Geld streitig machen will, erleichtern die Sache für den Amateur-Gangster nicht wirklich. So bleibt dem liebenswerten Paul nichts anderes übrig, als einen Coup zu planen, um sich und Margaret doch noch mit den nötigen Finanzen auszustatten.
Die Besetzung in diesem schrägen Liebes-Thriller ist übrigens beachtlich: Neben den erwähnten Schauspielgrößen tritt noch Alison Lohman - bekannt aus Tim Burtons "Big Fish" - als Wahrsagerin auf und liefert, wie alle Beteiligten, eine durchaus sehenswerte Vorstellung ab.
Natürlich bleibt "Fargo" ein Meisterstück, doch kann man sich "The Big White" getrost anschauen - und sich im Gegensatz zu Christopher Nolans "Insomnia" über einen Robin Williams im Schnee freuen.
Nikolaus Triantafyllidis
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