Video_Tagebuch eines Skandals
Treffen der Generationen
Bond-Boß Judi Dench zieht in einen skandalträchtigen Psychokrieg gegen Cate "Galadriel" Blanchett und spielt die ehemalige Elfenmaid dabei mühelos an die Wand.
25.09.2007
Barbara Covett (Judi Dench), dienstältestes Mitglied des Lehrkörpers einer staatlichen Londoner Schule, wacht mit gestrengem Auge über alle Geschehnisse, die sich an der Erziehungsstätte zutragen. Der autoritären Pedantin entgeht nichts: Peinlich genau registriert sie ihre Umwelt, observiert Schüler wie Arbeitskollegen und gelangt nicht selten zu vernichtenden Urteilen über ihre Mitmenschen. Derlei Beobachtungen, ebenso wie ihre intimsten Geheimnisse, hält Barbara akribisch in einem Tagebuch fest. Die täglichen Notizen sind einsame Highlights im ereignisarmen Leben der altjüngferlichen Einzelgängerin. Denn außer ihrem Diarium und der geliebten Katze Portia hat Barbara niemanden, dem sie sich anvertrauen könnte.
Das ändert sich, als das Lehrerkollegium Zuwachs erhält. Die Jugend, Lebensfreude und Offenheit der jungen Sheba Hart (Cate Blanchett) üben eine ungemeine Anziehungskraft auf Covett aus. Rasch freunden sich die beiden ungleichen Frauen an. Die Ältere unterläßt dabei keinerlei Anstrengungen, sich die Gunst des arglosen Neuankömmlings zu sichern. Langsam infiltriert Barbara das Leben der verheirateten zweifachen Mutter und wird fester Bestandteil deren Lebens. Doch als Covett ihre Freundin beim Liebesspiel mit einem 15jährigen Schüler ertappt, bricht für die alte Dame eine Welt zusammen. Barbara faßt Shebas delikate Liaison mit dem Teenager als demütigenden Verrat an ihrer Person auf und zwingt die junge Ehebrecherin in ein perfides Abhängigkeitsverhältnis.
Der Film schildert die verhängnisvolle Entwicklung einer befremdlichen Frauenbekanntschaft: Barbara sucht die ständige Nähe ihrer Berufskollegin, drängt deren Familie in den Hintergrund, will den Part als weise, mütterliche Freundin abstoßen und insgeheim die platonische Ebene der Beziehung verlassen. Durch ihr Wissen um Shebas prekäres Verhältnis erringt Barbara schließlich die völlige Kontrolle über die junge Frau.
Richard Eyres Adaption des gleichnamigen Romans von Zoe Heller lebt zu einem guten Teil von der famosen Performance der geadelten Judi Dench. Die Schauspielerin veranschaulicht die unterschiedlichen Gefühlsstadien der dämonischen Mentorin präzise und glaubhaft. Eine scharfzüngige Despotin nimmt man ihr ohnehin jederzeit ab - Darstellungen klassischer Autoritätsfiguren zählen zum mimischen Kernrepertoire der Britin. Doch im Gegensatz zur prominenten Rollenverwandtschaft aus "Was geschah wirklich mit Baby Jane?" oder "Eine verhängnisvolle Affäre" wirkt Covett subtiler und verletzlicher. Ein gewisser Sympathiewert wird ihr jedenfalls durch die kontrastierende Naivität von Blanchetts Sheba verschafft, deren Einfältigkeit gelegentlich stärker zutagetritt, als es dem Film gut tun kann.
Judi Denchs Charakter agiert hingegen als schalterumlegende, manipulierende Kraft. Dennoch werden ihre bösartigen Energien aus der Verzweiflung geboren; aus dem Zustand des chronischen Alleinseins. Covett entzieht sich somit dem Modell der armen Parade-Irren, die an ihrer blinden Fixierung auf das unerreichbare Objekt der Begierde zugrundegeht. Vielmehr wird sie zur tragischen Figur, die sich ihrer Schwachstellen nur allzu bewußt ist und verbittert gegen ihr Schicksal ankämpft. Den Sympathiewettbewerb gewinnt Dench auch aufgrund des gewählten Erzählstils: Barbara kommentiert im Tagebuchstil aus dem Off - und somit gänzlich aus ihrer Sicht.
Eyre setzt auf entwaffnende Großaufnahmen und versucht das Ringen der Antagonistinnen in größtmöglicher Intensität einzufangen. Dieser Intention entsprechend, hat auch der musikalische Beitrag von Philip Glass seinen Sinn; der prinzipiell schöne Score wirkt jedoch gelegentlich etwas zu forciert. Schlußendlich schafft es der Film vor allem dank Denchs schauspielerischer Klasse in die Oberliga der cineastischen Psychoduelle.
Dietmar Wohlfart
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