Video_Suicide Circle
Suizid sinnlos
Japanische Filme lassen es krachen, manche gleich im Dutzend: Mit Szenen von Massensuizid und bizarren Einlagen lockt dieser Streifen Fans extremen Nippon-Kinos. Zu Recht?
14.04.2005
Shinjuku Station, Gleis 8 am 26. Mai. 54 japanische Schulmädchen warten auf den Nahverkehrszug, tratschen, lachen. Alles ganz normal. Da fährt der Tokyo Express ein. Die Mädchen fassen sich an den Händen. Zählen gemeinsam bis drei. Und springen in den Tod. Knochen knacken. Blut spritzt. Dazu leichter Teenie-Pop. So was gibt’s nur im japanischen Kino, und so geht’s auch weiter: Suizide überall, einzeln, in Gruppen, mal wie erwartet, mal überraschend. Eine fixe Idee? Die Polizei tappt im Dunkeln, die Selbsttötungen gehen weiter. Irre Mörder? Denn ehe ein Massenselbstmord überhaupt passiert, zeigt eine Website bereits die Zahl der Opfer an. Nur Zufall?
Allen Opfern fehlt ein Stück Haut am Rücken - die abgetrennten Hautstücke finden überforderte Ermittler am Tatort, in weißen Taschen verstaut, säuberlich aufgerollt. Ein Kult? Und wer ist das geheimnisvolle Kind, das der Polizei telefonisch kryptische Tips gibt und sich alle drei Wörter räuspern muß? Fragen über Fragen ...
Käme dieser Streifen aus dem US-Videomarkt, hätte er einen unerträglichen Verleihtitel und jeder wüßte sofort, daß man das Ding ungesehen in den Müll werfen kann. Doch der Mist kommt als trendiges Nippon-Kino daher, deswegen greift der Japanophile sogleich unkritisch zu. Modernen japanischen Filmen verzeiht man nämlich vieles: extrem blutig zu sein und nicht besonders spannend, dazu reichlich krude, wirr und bizarr. "Suicide Circle" bietet all das, und noch mehr: Spuk, Mystery, Cop-Thriller, Trash, Gore, schräge Typen, schwarzen Humor, zwischendurch Teenie-Probleme und klebrigen Japan-Pop, dessen verborgene Hinweise einem förmlich ins Gesicht springen. Kurz: Das volle Programm.
Reicht aber nicht. Trotz aller Bemühungen um Schocks und Provokation entpuppt sich dieser "Director’s Cut" nach 45 Minuten als Blindgänger. Seinen unentschlossenen Murks aus David-Lynch-Mysteriösität und Battle-Royal-Gemetzel mußte Aktionskünstler und Regisseur Shion Sono ja auch noch mit verschlüsselter Philosophie und Gesellschaftskritik camouflieren: Ein bißchen soziale Kälte und Entfremdung, aha, das einsame Individuum in der Masse, soso, Generationenkonflikt und zerrüttete Familienstrukturen, bla bla bla ... Bloß: das Thema Selbstmord nimmt "Suicide Circle" in Wahrheit so ernst wie einen Handy-Klingelton.
Der Film ist als "Moderne Kunst" verbrämter Exploitation-Trash und somit nur für J-Teen-Fetischisten mit Gore-Fimmel genießbar. Sowie natürlich für all die schlauen Filmwissenschaftler, die sich in diesem potemkinschen Bergwerk postmoderner Dekonstruktion die Interpretationslust von der Schwarte schwitzen möchten. Doch selbst das Lager der Alles-aus-Asien-Seher wird sich über diesen Film wohl eher spalten. Als Weirdo-Movie funktioniert er zwar leidlich, aber der Rezensent mag ihn wegen der allzu platten Splatterei irgendwie nicht mögen wollen. Die DVD kommt mit japanischer Audiospur, passabler deutscher Synchronisation oder wahlweise deutschen Untertiteln. Ein eher lausiges Interview mit Shion Sono und ein Video von der Premierevorstellung durch den Filmstab bilden das Zusatzmaterial. Fortsetzungen werden gerade gedreht. Shion Sono sagt, sie sollen besser werden. Wollen wir's hoffen.
Andreas Winterer
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