Video_One Cut of the Dead
Director´s Cut
Mehr als 50 Jahre ist es her, daß George A. Romero in "Night of the Living Dead" Zombies als reanimierte Kannibalen salonfähig machte. Seither treiben die Untoten munter ihr Unwesen, sei es im Schnee ("Dead Snow"), im Zug ("Train to Busan") oder beim Schulball ("Dance of the Dead"). Umso beachtlicher, daß Ueda Shin’ichirō in seiner No-Budget-Komödie "One Cut of the Dead" dem Genre dennoch etwas Originelles abgewinnt.
16.10.2019
In der Regel gehört es zur Zombie-Apokalypse, daß sich die Überlebenden früher oder später damit auseinandersetzen müssen, einen transformierten Liebsten zur Strecke zu bringen. Ähnlich ergeht es auch Aika (Akiyama Yuzuki), die sich zu Beginn von "One Cut of the Dead" ihres nun zombiefizierten Freundes Kamiya (Nagaya Kazuaki) erwehren muß. Sie weint und schluchzt - doch es hilft alles nichts; zumindest, wenn es nach dem Regisseur geht.
Die Auftaktszene von Uedas Film entpuppt sich nämlich als Film im Film. Es handelt sich um ein inszeniertes Zombie-Drama inmitten einer verlassenen Fabrikhalle. Wirklich glücklich ist Regisseur Higurashi (Hamatsu Takayuki) allerdings nicht mit Aikas Darbietung. Es mangele ihr an Authentizität, Angst und Panik wirkten nicht echt, herrscht Higurashi die Schauspielerin an. Eine kurze Drehpause soll helfen, daß sich alle Beteiligten sammeln. Doch der wahre Horror folgt erst.
Aus heiterem Himmel taucht schließlich ein echter Zombie am Set auf und attackiert die Crew. Life imitates art, quasi ... Und so bangen Aika, Kamiya und Co. plötzlich um ihr echtes Leben, ohne so recht zu wissen, wie ihnen geschieht. Mittendrin steht Higurashi, der die dramatischen Ereignisse dazu nutzt, den Zombie-Film ins Cinéma vérité zu verkehren und die Kamera weiter munter draufhält, allen Gefahren zum Trotz.
"Kamera o Tomeru na!" lautet der Titel von "One Cut of the Dead" im japanischen Original - was sich in etwa übersetzen läßt als „Hör nicht auf zu filmen!“ So lautet die Anweisung, die Higurashi zuerst seinem Kameramann übermittelt und letztlich im Anschluß selbst befolgt, als der Kollege irgendwann einem der Zombies zum Opfer fällt. Der Streifen kommt praktisch in bester Found-Footage-Manier solcher Filme wie "Cloverfield" daher, wo die Kamera selbst dann noch weiterläuft, wenn die Welt untergeht.
Die Hintergründe von "One Cut of the Dead" sind dabei denen des namenlosen Werks von Higurashi nicht unähnlich. Ueda Shin’ichirō soll den Film für eine fünfstellige Summe innerhalb von acht Tagen mit Mitgliedern eines Schauspiel-Workshops gedreht haben. Eine aus technischer Sicht eher niedrige Qualität ist die Folge, die jedoch dem Indie-Charme des Films nur zugutekommt.
Dem Erfolg tat dies jedenfalls keinen Abbruch. In seinem Heimatland avancierte "One Cut of the Dead" zu einem der meistgesehenen Filme von 2017 und spielte fast das Tausendfache seiner Kosten ein. Man fühlt sich an "The Blair Witch Project" erinnert, noch so einen Found-Footage-Film, der für wenig Geld viel Ertrag brachte und eine Subgenre-Welle lostrat, die teils bis in die Gegenwart - und bis zum unausweichlichen Reboot - schwappt.
Indem Higurashi sich seine Dreharbeiten nicht von externen Kräften - in diesem Fall: Zombies - diktieren lassen will, wohnt dem Szenario in der Folge ein subtiles Meta-Element inne. Wie gut ein Schauspieler auch immer sein mag - nichts schlägt echte Furcht. So ohrfeigte beispielsweise auch ein William Friedkin seinerzeit bei "The Exorcist" einen Darsteller, um eine authentischere Reaktion von diesem zu erhalten.
Die Show respektive die Dreharbeiten muß/müssen also für den Regisseur weitergehen. Der Film selbst, so viel mag man sich zu diesem Zeitpunkt denken, wird sich dann irgendwie später im Schnitt finden - nicht unähnlich der modernen Arbeitsweise eines Terrence Malick. Für Aika, Kamiya und Co. avanciert ihr Regisseur damit in gewisser Weise zu einem weiteren Antagonisten, der ihr Wohl hinter sein Filmergebnis stellt.
Was kann sich ein Regisseur im Dienste der Kunst also alles erlauben? So wie Friedkin einen echten Priester abwatschte, ließ Altmeister Alfred Hitchcock in "The Birds" am Ende reale Vögel auf seine Hauptdarstellerin Tippi Hedren los, sodaß ihre Panik nicht gespielt war. Alles sei erlaubt, solange die Schauspieler nicht verletzt werden, meinte William Friedkin einmal. Diese Zusicherung kann sein filmischer Kollege in Uedas Film seiner Crew nicht machen.
Im Gegensatz zum Film im Film gerät "One Cut of the Dead" dabei zur Komödie im Stile von Genrevertretern wie "Shaun of the Dead" oder auch "Zombieland". Zugleich inszeniert Ueda sein Werk nicht in dem Maße als Zombiefilm, wie mancher Fan denken könnte. Am Ende des ersten Akts gibt es einen kleineren Twist, der den Verlauf von Uedas Film in eine ungewöhnliche Richtung für das Genre lenkt, die nicht jedem gefallen mag.
Gerade in der zweiten Filmhälfte, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll, weil man sie lieber selbst und ohne Vorkenntnis erleben sollte, entwickelt "One Cut of the Dead" dann eine gänzlich erfrischende Dynamik. Das zuvor Ges(ch)ehene wird reflektiert und neu eingeordnet, doch dem Humor tut dies keinen Abbruch, sondern ergänzt ihn vielmehr nochmals um eine weitere Note. Ueda gelingt es, dem (oft) Generischen des Genres eine originelle Note zu verleihen.
In seiner Summe ist "One Cut of the Dead" einerseits eine Liebeserklärung an den Zombiefilm, andererseits aber aufgrund der Profession seiner Figuren auch eine an das Independent-Kino und Filmemachen generell. Damit ist er nicht unähnlich den Ursprüngen des Subgenres, dem Romero 1968 half, in neue cineastische Sphären vorzustoßen. Ueda Shin’ichirō gelingt damit einer der amüsantesten Filme des Jahres. So etwas kommt eben heraus, wenn der Regisseur am Ende volle Kontrolle über seine Arbeit hat. Mit Zombie oder ohne.
Florian Lieb
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