Video_November
Knick in der Optik
In Greg Harrisons visuell anregendem, redlich bemühtem Psychothriller begleiten wir eine verstörte Photographin während ihres chiffrierten Trips durch verschobene Realitäten.
11.07.2006
Sophie Jacobs (Courteney Cox), die junge Dozentin eines Photographie-Fachkurses, hat eigentlich nur ungewöhnlich großen Hunger in jener Nacht, als ihr Freund Hugh (James LeGros) im Zuge eines Raubüberfalls den Tod eines Kollateralopfers stirbt. Als das Paar an einer Tankstelle stoppt und Hugh ausgesandt wird, um zuckerreichen Proviant gegen Sophies Heißhunger zu organisieren, gerät er unversehens vor die Flinte eines Räuber und verstirbt noch am Tatort.
Es ist der 7. November, und Sophie ist plötzlich wieder single. Die Trauernde muß fortan an ihrer Wahrnehmungsfähigkeit zweifeln, wird sie doch nach und nach mit lose verstreuten, beunruhigenden Bruchstücken aus jener schicksalhaften Nacht des Verlusts konfrontiert. Während ihrer Seminare stößt Sophie auf alarmierende Schnappschüsse: Bilder, deren Ursprung rätselhaft bleibt, die aber eindeutig den Ort des Verbrechens dokumentieren. In den Gesprächen mit Sophies Psychologin werden Erfahrungsfragmente an die Oberfläche gespült, die mit den Informationen aus dem Gedächtnis der Photographin kollidieren. Auch der ermittelnde Cop (Nick Offerman) setzt der verunsicherten Frau mit überraschendem Beweismaterial zu, das die bisher als gültig erachteten Erinnerungen an den Tod ihres Freundes in Frage stellt.
Was geschah tatsächlich am 7. November? Welche Begleitumstände umranken Hughs Tod? Durch mysteriöse Beweisstücke und verstörende Eingebungen wird Sophie plötzlich selbst in die mittelbare Verantwortlichkeit für Hughs Ableben gedrängt; war es doch in erster Linie ihre Unersättlichkeit, die einen Zwischenstop an der todbringenden Tankstelle provozierte. Ebenso könnte Sophies Gier nach Männerfleisch Hugh indirekt seinem Schicksal einen Schritt nähergebracht haben. Immerhin hat der Seitensprung mit dem Arbeitskollegen Jesse (Michael Ealy) ihrer Beziehung nicht gerade zusätzliche Stabilität verliehen.
"November" ist eine Art Verdrängungswettbewerb im Kopf, ein defragmentiertes Gefecht mit dem eigenen Gewissen. Einander ausschließende Bilderströme aus der tragischen Novembernacht zwängen sich in Sophies Bewußtsein und justieren die bisher als sicher geltenden Erinnerungen neu. Diesen Widerstreit der konkurrierenden Gedächtnisinformationen setzt Regisseur Greg Harrison durch den Einsatz variierender Farbmuster und kryptisch montierter Flashbacks auf befriedigende Weise um. Praktisch ohne Budget und ausschließlich mit Digitalkamera eingefangen, bauen Harrison und Kamerafrau Nancy Schreiber eine bedrückende Atmosphäre auf. Es ist eine eigentümliche, suggestive Kraft, die durch den Zusammenprall digitaler Aufnahmetechnik mit der neonerleuchteten Stadtkulisse freigesetzt wird. Auf dem darstellerischen Feld agiert "Friends"-Darstellerin und "Scream"-Star Courteney Cox souverän. Sophie ist hinsichtlich ihrer Rolle im Mordfall schwer verunsichert und wandert durch einen mit Selbstvorwürfen gepflasterten, dunklen Korridor - auf der Suche nach der Wahrheit.
"November" setzt auf Verwirrungstaktik, integriert kleinere Schockhäppchen in den verschlüsselten Erzählfluß, verpaßt am Ende jedoch ein höheres Faszinationsniveau und reiht sich letztlich in den Kreis der passableren Thriller-Gimmicks ein.
Dietmar Wohlfart
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