Video_Doomsday
Das große Sterben
In Neil Marshalls postapokalyptischem Genre-Eintopf rafft ein Virus die Menschheit dahin. Wer überlebt, endet als Schaschlik für die kannibalistische Stadtbevölkerung oder Nachmittagsunterhaltung für mittelalterliche Ritter: genau das richtige Szenario für Rhona Mitras Einstand als Kampfweib und für Freunde des Exploitation-Kinos.
15.09.2008
Genre-Fans dürfen sich derzeit im siebten Himmel wähnen. Hollywood produziert einschlägige Remakes am laufenden Band, holt einst erfolgreiche Reihen aus der filmischen Mottenkiste und macht jeden zweiten Superhelden Blockbuster-tauglich. Doch auch die Fanboys von gestern haben längst die Wohnzimmercouch gegen den Regiestuhl eingetauscht und versorgen uns seither mit Aufgüssen altbewährter Klassiker. Filmemacher wie Paul W. S. Anderson, Rob Zombie und Alexandre Aja recyclen ihre Abende vor dem Videorekorder und liefern Film um Film ein Destillat aus Erinnerungen an die Werke von Altmeistern wie John Carpenter, Walter Hill und Wes Craven. Die inhaltlichen Qualitäten und das erzählerische Feingefühl ihrer Vorbilder bleiben dabei zwar meist auf der Strecke, aber dafür gibt es rasante Inszenierungen, explizite Gewaltdarstellung und auch sonst jede Menge Schauwerte. Die Devise: unterhalten statt zu verstören.
Dank der 30 Millionen Dollar teuren Produktion "Doomsday" zählt ab sofort auch der Brite Neil Marshall ("The Descent") zur Riege der erfolgreichen Ex-Videojunkies.
Die Handlung? Großbritannien im Jahre 2008: Das Reaper-Virus frißt der halben Bevölkerung Haut und Hirn weg. Die Regierung teilt daraufhin die Insel und verdammt die Infizierten auf der schottischen Seite des Hadrianswall zum Siechtum. Knapp 30 Jahre später taucht das Virus kurz vor dem Wahlkampf wieder auf und beginnt sich auf der "sicheren Seite" auszubreiten. Premierminister Hatcher und seine rechte Hand Canaris geben Major Sinclair (Rhona Mitra) den Auftrag, in die verseuchte Zone vorzudringen und ein Gegenmittel zu finden. Entgegen offizieller Bekundungen gibt es jenseits der Mauer Überlebende, und Sinclair findet sich rasch zwischen den Fronten von verrückten Menschenfressern und noch verrückteren Rittern unter der Führung Malcom McDowells wieder.
Mit "Doomsday" stürzt Regisseur Marshall Großbritannien in ein Chaos, das es seit Terry Nations 70er-Jahre-TV-Serie "Survivors" und Juan Carlos Fresnadillos Zombie-Sequel "28 Weeks Later" nicht mehr erlebt hat.
Da eröffnet Oberkannibale (Craig Conway) zu Tänzern in Schottenröcken, den Klängen der Fine Young Cannibals und einer grölenden Menge das schaurige Mahl, da überläßt Regierungsbösewicht Canaris (David O´Hara) die Bevölkerung einfach dem Tod ("Leave the dying to die") - und da veranstaltet Burgherr Kane (McDowell) blutige Gladiatorenkämpfe für seine Rittersleut´. Dazwischen werden massenhaft Körperteile abgehackt, nackte Frauen in Badewannen erschossen oder Fahrzeuge zur Explosion gebracht. Kurzum: bester Stoff für den anspruchsvoll hirnlosen DVD-Abend ...
Trotz zahlreicher Reminiszenzen an 70er-Jahre-Genreklassiker wie Carpenters "Die Klapperschlange", Hills "The Warriors" oder Millers "Mad Max 2" versucht Regisseur Marshall niemals eine ähnlich unangenehme Atmosphäre zu kreieren. Er liefert lieber knapp 100 Minuten filmisches Junk-Food und verläßt sich auf die Anziehungskraft seiner Hauptdarstellerin.
Das ehemalige Lara-Croft-Double Rhona Mitra glänzte bisher eher durch Nebenrollen in TV-Serien wie "Boston Legal" und "Nip/Tuck". In "Doomsday" posiert sie erstmals an der Spitze und darf sich als wortkarges Kampfluder durch Marshalls Endzeitvision prügeln. Daß ihr dabei statt der Plisskenschen Augenklappe ein Glasauge mit integrierter Videokamera zur Verfügung steht, sorgt für zusätzliche Unterhaltung. Mitras nächster Auftritt im Lederkostüm erwartet uns übrigens in "Underworld: Rise of the Lycans". Im Prequel zu Len Wisemans Vampir-Saga wird sie als Blickfang Kate Beckinsale ersetzen und gegen die Unterdrückung der Werwölfe kämpfen.
Bis es soweit ist, gönnt man sich am besten die vorliegende DVD, ärgert sich über das eher durchschnittliche Bonusmaterial (der Audiokommentar verkommt "dank" Anwesenheit der Schauspieler leider zum üblichen Blabla-Track) und freut sich auf das nächste Machwerk des Regiekollegen Paul W. S. Anderson. Es wird "Death Race" heißen und ebenfalls einem Seventies-Streifen Tribut zollen, nämlich Paul Bartels "Death Race 2000". Um es mit "Doomsday" aufnehmen zu können, sollten sich die Todesraser Jason Statham und Ian McShane allerdings jetzt schon warm anziehen.
Jürgen Fichtinger
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