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Hoffnungslose Romantiker
Regisseur Jeff Nichols balanciert seinen dritten Feature-Film behutsam zwischen Coming-of-Age-Drama und Südstaaten-Thriller aus. Matthew McConaughey gibt den sympathisch-zwielichtigen Mud, einen auf der Flucht befindlichen Romantiker der unerbittlichen Sorte.
13.06.2014
Auf einer kleinen Insel im tiefsten Arkansas machen die befreundeten Schüler Ellis (Tye Sheridan) und Neckbone (Jacob Lofland) eine erstaunliche Entdeckung: Wie ein kurioses Mahnmal des vorherigen Hochwassers liegt ein Boot festgekeilt in einer Baumkrone. Als die beiden Knaben hoch oben im Geäst ins Innere des gestrandeten Wasserfahrzeugs vordringen, betreten sie zugleich auch den behelfsmäßigen Unterschlupf des rätselhaften Mud (Matthew McConaughey).
Die eher vagen Erklärungen des Fremden, vorgetragen mit dem ruppigen Charme eines Draufgängers, üben eine durchaus anziehende Wirkung auf Ellis und Neckbone aus. Muds Inselaufenthalt kommt nicht von ungefähr, sondern ist Teil des geplanten Wiedersehens mit seiner großen Liebe Juniper (Reese Witherspoon). Aus jugendlicher Neugier und mit der Chance, die eigenen ungeordneten Familienverhältnisse für kurze Zeit hinter sich zu lassen, begeben sich Ellis und Neckbone für Mud auf Einkaufs- und Erkundungstour. Als die beiden dann aber Muds Konterfei auf einem Steckbrief entdecken, entpuppt sich der freundliche Neo-Insulaner als gesuchter Mörder.
"Mud" von Jeff Nichols ("Take Shelter") ist im Kern eine hoffnungslose Liebesgeschichte, die Nichols in zwei einander überkreuzenden und zugleich ergänzenden Ausführungen erzählt. Der flüchtige Hauptcharakter, ein zwielichtiger Naturbursche, kann von Juniper, die er verehrt und beschützt, nicht lassen. Die Story einer unerfüllbaren Romanze wiederholt sich, als der 14jährige Ellis ebenfalls als hartnäckiger Beschützer Junipers auftritt und sich gleichzeitig in eine Mitschülerin verliebt. Auch Ellis ist nicht zögerlich bei der Bewahrung und Durchsetzung seiner moralischen Grundsätze: Mutig und stur tritt er Schwierigkeiten eher entgegen, als ihnen aus dem Weg zu gehen, und nimmt dabei auch eine blutige Nase in Kauf.
Das wilde Südstaatenpanorama von Arkansas rahmt Jeff Nichols´ starrsinnige Romantiker sehr schön ein. Der Regisseur und Drehbuchautor räumt der eindrucksvollen Naturkulisse quasi die Rolle eines allgegenwärtigen Nebencharakters ein. Er findet von Beginn an das richtige Tempo für seine Erzählung, führt ein Mysterium namens Mud ein, beschreibt das kaputte Elternhaus des heranwachsenden Ellis - und verbindet das Ganze mit eingeflochtenen Thriller-Elementen:Um Juniper vor Schaden zu bewahren, hat Mud nämlich einen Menschen getötet. "King" (Joe Don Baker), der einflußreiche und skrupellose Vater des Verstorbenen, wird nicht ruhen, bevor sein Sohn gerächt ist - und hat Kopfgeldjäger auf den Mörder angesetzt.
McConaughey befindet sich derzeit unbestreitbar auf dem Höhepunkt seiner Karriere: Den Archetyp des eigensinnigen Südstaatlers reizt der geborene Texaner in seinen Rollen bis zum Anschlag aus. Er trumpfte vor seinem Oscar-Sieg ("Dallas Buyers Club", 2013) als selbstsicherer, fintenreicher "Lincoln Lawyer" (2011) auf, ergänzte das Ensemble um Jack Black in der schwarzen Komödie "Bernie" (2011) und übernahm die kultverdächtige Hauptrolle in William Friedkinds "Killer Joe" (2011). Neben Woody Harrelson spielte er danach die desolate, nihilistische Hälfte des ungleichen Ermittlerduos im düsteren HBO-Hit "True Detective". Nichols schrieb McConaughey eine Rolle auf den Leib, die Elemente dessen bislang stärkster Interpretationen zu vereinen scheint, um daraus als die einnehmende Draufgängerfigur des kompromißlos-rätselhaften Mud hervorzugehen.
Es ist eine tragisch-schöne Story um bemerkenswert herausgearbeitete, sich selbst stets treu bleibende Individuen, deren Schicksale der talentierte Jungregisseur Jeff Nichols tief in seinem Heimatstaat Arkansas verwurzelt.
Dietmar Wohlfart
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