Video_Marie Antoinette
Plötzlich Königin
Zumindest zuckerlsüßes und kunterbuntes Pomp- und Pop-Kino hatte man sich im Vorfeld von Sofia Coppolas drittem Film erwartet. Bekommen hat man aber nicht einmal das, sondern bloß in Pastelldelirium eingehüllte erzählerische Unzulänglichkeiten.
03.07.2007
"Marie Antoinette" ist weder Brot noch Kuchen - selbst für Fans des neuen amerikanischen Indie/Prominentenkinder-Kinoklüngels. Dabei war Sofia Coppolas Idee, die Geschichte aus dem Blickwinkel Marie Antoinettes selbst zu betrachten, vortrefflich. Die Regisseurin hatte sich von Antonia Frasers Biographie "Marie Antoinette - The Journey" zu diesem Zugang inspirieren lassen; besagtes Buch konzentriert sich weitgehend auf Maries Seelenleben und führt nur die markantesten Vorfälle aus der Zeit um die Französische Revolution an, ohne die die Geschichte der Protagonistin nicht von der Stelle kommen würde.
Sofia C. wollte diese Idee eins zu eins umsetzen. Ihr Film zeigt den Leidensweg eines 14jährigen Mädchens, dem man die Aufgabe aufgebürdet hat, die Monarchie Europas zu sichern, einen seltsamen Wicht zu heiraten und für immer sein Heimatland zu verlassen. Im Lauf der Handlung befreit sich die Unglückliche von ihrem schweren politischen, geschichtlichen und gesellschaftlich-sozialen Korsett.
Da ein derart Marie-zentrischer Zugang schon längst überfällig war, ist die Kritik, der Film sei zu realitätsfern, nicht legitim. Geschichtswissenschaftler kriegen ohnehin gern Herzinfarkte, wenn sich Streifen wie dieser oder gar Zack Snyders "300" historischer Geschehnisse bedienen, um den Zuseher in andere Welten zu zaubern oder andere Zugänge aufzuzeigen.
Das Problem liegt ganz woanders: Gerade durch die starke Einschränkung des Stoffs böte sich die Möglichkeit, ein reichhaltiges Bild des Teenager-Lebens im 18. Jahrhundert wiederzugeben. Francis Fords Tochter vermag jedoch nicht das gesamte Potential ihrer Charaktere zu verwerten, sondern beschränkt sich auf eine oberflächliche Darstellung von deren Alltagstrott, was ihr löbliches Unterfangen zur simplen Nettigkeit verdammt.
Dabei ist der Auftakt gelungen: Maria Antonia (Kirsten Dunst) erlebt gerade einen der vielen unbeschwerten Tage in Schönbrunn, als sie von ihrer bevorstehenden Vermählung mit dem Dauphin Louis (Jason Schwartzman) erfährt. Maria Theresia hat nämlich entschieden, daß ihre jüngste Tochter die österreichisch-französischen Beziehungen wieder ins Lot bringen soll. Mit diesem Auftrag begibt sich die 14Jährige auf eine Reise ohne Wiederkehr. Die Farben des vorbeiziehenden Waldes, der habsburgischen Karawane und des zarten Gesichts der Protagonistin bearbeiten dabei die Sinne des Zuschauers. Von der ersten Minute an verdichtet Coppola ihre Bilder so, daß sie zur tragenden Kraft des Geschehens werden.
Damit aus Maria Antonia Marie Antoinette wird, nimmt man ihr an der Grenze zu Frankreich alles ab, was sie in ihrem alten Leben in Wien besessen hatte - bis auf ihre Naivität, Unsicherheit und Ungeschicktheit. Bereits mit den ersten Schritten auf fremdem Boden leistet sich die Autrichienne einige Fauxpas, die sie teuer zu stehen kommen - denn am französischen Hofe löst jede unbedachte Geste, jedes Wort eine Empörungswelle aus. Die sonderbaren blaublütigen Gestalten haben die junge Fremde ohnehin schon vor ihrer Ankunft abgeschrieben ...
Je aufdringlicher deren Intrigen werden, desto zermürbender gestaltet sich Maries tagtäglicher Kampf um Anerkennung und Zuneignung. Als sie ihre neue Hofdame stürmisch umarmt, lernt sie zudem, daß auch Gefühlsregungen bei Frankreichs Elite nicht gern gesehen sind. Nicht einmal ihr Angetrauter Louis ist daran interessiert, seinen Ehepflichten nachzugehen und für die Reproduktion des blauen Blutes zu sorgen. Und so wird in den Gängen immer offener und unverblümter über den ausbleibenden Thronfolger diskutiert. Schuld ist natürlich Marie, die auf sich allein gestellt erkennen muß, daß Versailles wohl nie zu ihrem wahren Zuhause werden kann.
Isolation und Vereinsamung waren bereits im überschätzten "Lost in Translation" (2003) und in "The Virgin Suicides" (1999) zentrale Motive. Auch in ihrem neuen Film versteht es Coppola, den fortschreitenden Kontaktverlust der Protagonistin zu ihrem Umfeld zu vermitteln. Maries Verlorenheit äußert sich vor allem dadurch, daß ihre Umgebung langsam überhandnimmt, marmorne Gänge und schattige Alleen in den Vordergrund treten, während die Menschen zu Statisten verkommen.
Wie auch in "Lost in Translation" hat Coppola wieder an Originalschauplätzen gedreht: Die phantastische Kulisse von Versailles legt sich pittoresk über die Gespräche und das Treiben des Adels. Die Meisterin der Atmosphäre hat also wieder zugeschlagen, und Bilderfetischisten werden ihre helle Freude haben. Dummerweise meldet sich spätestens nach einer halben Stunde Pastelldelirium der Intellekt und verlangt nach erzählerischer Substanz. Der Effekt verpufft und man erkennt, daß hinter all der Bildästhetik nichts steckt.
Nicht einmal die amüsante Darstellung der höfischen Absurditäten vermag da noch Abhilfe zu schaffen. Vor allem die Darstellung des "gläsernen Königspaars" - zum Beispiel, als sich das frischvermählte Paar in der Hochzeitsnacht das Schlafzimmer mit einem Dutzend gaffender Hofgestalten teilen muß - bringt frischen Wind ins Geschehen, läßt aber auch gleichzeitig wehmütig erkennen, was Coppola noch aus diesem Film hätte machen können. Stattdessen gibt es eine Endlosschleife aus Tanzveranstaltungen und Shopping-Orgien, die sich lediglich in ihrer farblichen Gestaltung und musikalischen Untermalung unterscheiden.
Coppola ignoriert, daß auch Hedonisten - auf ihre eigene Art und Weise - nicht nur facettenreich, sondern auch tiefgründig sein können und sich nicht ausschließlich mit Schuhwerk, Tanz und Süßigkeiten beschäftigen. Dabei hat uns bereits Romy Schneider gezeigt, wie sehr ein Film den Mythos einer geschichtlichen Persönlichkeit erschaffen oder auch verändern kann. Im Vergleich zu Coppolas Marie Antointette ist Sisi aber fast schon ein komplexes und kniffiges Superweib.
Und so ist man, wenn die Protagonistin zum Ende des Films plötzlich aufwacht und draufkommt, daß sie durchaus zu unerwarteten Handlungen imstande ist, leider längst eingeschlafen. Von einer der lediglich drei weiblichen Regie-Oscar-Gewinnerinnen hätte man sich definitiv mehr gewünscht und erwartet als solcherlei Mittelmäßigkeit.
kinga.wozniak
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