Video_Jack Ketchum´s Evil

Das Ende der Unschuld

Als der US-Autor in den 80ern die Bühne der Schreckensliteraten betrat, sorgte er besonders mit der Coming-of-Age-Story "The Girl Next Door" für reichlich ungutes Kribbeln in der Magengegend. Die Verfilmung liegt jetzt auf DVD vor.    09.06.2008

Die Vereinigten Staaten Ende der 50er Jahre. Damals war die Welt noch in Ordnung, Vietnam in weiter Ferne, und die Menschen lebten den amerikanischen Traum aus der Waschmittelwerbung: die Frauen zuckersüß und stets adrett gekleidet hinter dem Herd, die Männer schwer arbeitende Patriarchen, aber meist pünktlich zu Tisch und freundlich zum Nachwuchs. Und die Kinder unschuldige kleine Sonnenscheine, die wußten, wo ihr Platz ist, und in ihrer Freizeit entweder mit Puppen spielten oder Staudämme im Bach angrenzender Wälder bauten ...

Die Wirklichkeit sah natürlich - damals wie heute - anders aus. Wer zumindest einen Stephen-King-Roman gelesen hat, der weiß genau, daß selbst dem nettesten Lausbuben Böses widerfahren konnte oder er selbst Dreck am Stecken hatte. Während King mit seinen exzellenten Kurzgeschichten, Romanen und lebendigen Charakteren noch dafür sorgte, daß Kritiker die sogenannte Trivialliteratur ernstnehmen mußten, trieb sich in den Untiefen des Genres aber bereits ein anderer Autor herum, dessen Stories primär von Kleinverlagen unters Volk gebracht wurden: Jack Ketchum. Ins Deutsche hat es als erstes Ketchum-Werk - mit 17 Jahren Verspätung - "The Girl Next Door" (2006) geschafft: eine Coming-of-Age-Story der schrecklichen Art, die den Leser in den tiefsten Keller führte und ihm das schlimmste aller Monster zeigte: sich selbst. Es dauerte sieben Jahre, bis das als unverfilmbar abgestempelte Werk nach einem Drehbuch von Philip Nutman ("Wet Work") und Daniel Farrands zur fertigen Independent-Produktion wurde.

 

Regisseur Gregory Wilson gelang es, die Vorlage in nostalgisch angehauchte Bilder umzusetzen, unter deren Oberfläche sich der Ketchumsche Alptraum sukzessive verdichtet. Erzählt wird die Geschichte des zwölfjährigen Kleinstädters David, der die Ferien am liebsten damit verbringt, Flußkrebse zu fangen, mit seinen Freunden zu spielen oder bei der coolen Tante Ruthie (Blanche Baker) Bier zu trinken und Zigaretten zu rauchen.

Wo im elterlichen Hause Zucht und Ordnung herrschen, werden in Ruth Chandlers Wohnzimmer Lausbubenträume war. Erst als die junge Meg (Blythe Auffarth) gemeinsam mit ihrer verkrüppelten Schwester Susan bei den Chandlers einzieht, zeigt sich, daß Ruth zu jungen Mädchen kein allzugutes Verhältnis hat. Während sich zwischen ihm und Meg eine unschuldige Romanze anbahnt, beginnt für die beiden Schwestern ein Martyrium, das vor jugendlichem Publikum im Keller endet. Hilflos muß David mitansehen, was einem heranwachsendem Mädchen dort mit ziehelterlichem Sanktus alles widerfahren kann ...

 

War es bereits für die Leser kein leichtes Unterfangen, Ketchums Vorlage bis zum Ende durchzustehen und dabei die Geschichte stets durch die Augen eines Opfers/untätigen Zusehers zu erleben, so fällt es bei der Filmversion ungleich schwerer. Blanche Bakers Darstellung der Ruth hebt die Figur mühelos auf eine Ebene mit Schwester Mildred und Annie Wilkes. Auch der Rest der Belegschaft weiß zu überzeugen. Trotz kleinerer inszenatorischer Unregelmäßigkeiten lieferte Wilson mit "Jack Ketchum´s The Girl Next Door" eine ordentliche Romanadaption, die ohne Blutfontänen auskommt, mit ihrer Wirkung jedoch den derzeit populären torture porn ("Saw", "Hostel" etc.) als das bloßstellt, was er ist: viel Lärm um nichts.

Die DVD bietet neben Making-of, Interviews und Regiekommentar noch einen zweiten Audiokommentar mit Dallas Mayr (Ketchums bürgerlicher Name) und den Drehbuchautoren. Wer mehr über die Entstehung der Vorlage, die Probleme bei der Skriptadaption oder den Fall Sylvia Likens, der Ketchum zu seinem Roman inspirierte, erfahren möchte, sollte sich dafür Zeit nehmen. Bis mit "Red" die nächste Ketchum-Verfilmung ins Haus steht, wird sich das schon ausgehen ...

Jürgen Fichtinger

Jack Ketchum´s Evil

ØØØØ

(Jack Ketchum's The Girl Next Door)

Leserbewertung: (bewerten)

Galileo Medien AG (USA 2007)

DVD Region 2

ca. 90 Min. + Zusatzmaterial., dt. Fassung oder engl. OF mit einblendbaren UT (DD 5.1)

Features: Audiokommentar von Jack Ketchum und den Drehbuchautoren, Audiokommentar vom Regisseur und den Produzenten, Making-of, div. Interviews u. a.

Regie: Gregory Wilson

Darsteller: Blythe Auffarth, Blanche Baker, William Atherton u. a.

Links:

The scariest guy in the country

Jack Ketchum/Interview, Pt. 1


Stephen King bezeichnete den Autor Dallas Mayr - bekannter unter dem Pseudonym Jack Ketchum - einmal als den furchterregendsten Gesellen von Amerika. Im EVOLVER-Interview stellt sich Ketchum allerdings als höchst liebenswürdiger Zeitgenosse heraus.
Teil eins: über Love & Peace, Henry Miller, Gewaltpornographie und bewußtseinsbildende Taxifahrten. 

Links:

Red

(Update 11/2008)


Das Phantastik- und Horrorfilm-Festival im spanischen Sitges hatte auch heuer wieder einige Kostbarkeiten im Programm. Eine davon war die Leinwandadaption von Jack Ketchums Novelle "Red". Hier kommen Tierquäler nicht mit einem blauen Auge davon ...

Links:

Kommentare_

Video
Blu-ray-/DVD-Tips 4/2014

Blaue Ruinen und heilige Berge

Es knallt, es kracht - und es wird esoterisch. Zücken Sie die Fernbedienungen und lehnen Sie sich für unsere Heimkinoempfehlungen gemütlich im Fernsehsessel zurück.  

Video
Blu-ray-/DVD-Tips 3/2014

Bye, bye, A.I.?

Der große, böse Wolf kommt neuerdings aus Israel, Roy Battys Low-Budget-Nachfolgerin dafür aus Großbritannien. Dazwischen tummeln sich die Anarcho-Trickfilmfiguren Ren und Stimpy, US-Sexualforscher sowie jede Menge Genrekost.  

Video
Blu-ray-/DVD-Tips 2/2014

Schau mir in die Augen, Kleines!

Lernen Sie, wie man am besten durch Drogen reich wird. Sehen Sie zu, wenn Orson Welles mit Charlton Heston Schlitten fährt. Oder reisen Sie mit den Mystic Knights of the Oingo Boingo per Anhalter durch die Heimkino-Galaxis.  

Video
Blu-ray-/DVD-Tips 1/2014

Plasma an!

Arm gegen reich, Profitgier gegen Rückgrat - und natürlich jede Menge Blei: unsere aktuellen Heimkinoempfehlungen sind angerichtet.  

Video
DVD-Tips 12/2013

"Do I feel lucky?"

"Well, do ya, punk?" Eine amerikanische Doku widmet sich dem Verfasser dieser Zeilen. Wem das nicht gefällt, der darf mit Quentin Dupieux Hundefänger spielen oder den Fernsehabend mit Dr. Lecter verbringen. Wohl bekomm´s!  

Video
DVD-Tips 8/2013

Halali im Heimkino

Mel Gibson ist auf der Flucht, Sly Stallone auf der Jagd - während Michael Shannon und Chloë Sevigny den Finger stets am Abzug haben und Kevin Spacey im Weißen Haus nicht nur die Puppen tanzen läßt.