Video_Best of Amazia: Horror
Amazing Stories
Nach dem x-ten "Ringu"-Verschnitt und zahlreichen mißlungenen Neuinterpretationen aus dem Land der begrenzten Unmöglichkeiten ist das Asien-Kino bei uns längst nicht mehr so angesagt wie noch vor einigen Jahren. Das sollte Filmfreunde aber keinesfalls daran hindern, sich einige der Grusel-Highlights aus dem Fernen Osten zu beschaffen.
12.02.2009
Der Boom des asiatischen Kinos in der westlichen Welt scheint langsam abzuebben. Was für Sammler einst mit dem schwierigen Beschaffen importierter Videokassetten begann, hat sich bis heute zu einer Überschwemmung des internationalen DVD-Markts entwickelt, wo praktisch alles erscheint, was in Japan, Korea, China oder Thailand gedreht wird und europäisch-amerikanische Zusehererwartungen (Kampfsport, elegische Kriegsdramen, Langhaar-Grusel, High-School-Horror etc.) zu erfüllen verspricht. Daß da viel Müll dabei ist und der von den Verleihern oft auch noch schlecht geschnitten und synchronisiert/untertitelt wird, hat asiatische Filme einfach zu einem weiteren Bestandteil des Markts gemacht, von dem derselbe (geringe) Anteil an Qualitätsware zu erwarten ist wie von allen anderen Sparten. Für die Bollywood-Welle gilt mittlerweile ähnliches, aber das ist eine andere Geschichte.
Splendid Entertainment hat für seine asienorientierte Amazia-Reihe eine Box mit drei DVD-Wiederveröffentlichungen zusammengestellt, die im weitesten Sinne dem Horror-Genre zuzurechnen sind. Der erste der enthaltenen Filme heißt Re-Cycle und ist ein weithin unterschätztes Meisterwerk der Gebrüder Oxide und Danny Pang (verantwortlich u. a. für die "The Eye"-Reihe und das recht blamable US-Remake ihres eigenen Streifens "Bangkok Haunted" mit Leidensmiene Nic Cage). Es erzählt die Geschichte der Bestseller-Autorin Ting-Yin, die ein neues Buch schreiben soll - nach Love-Stories diesmal eine Gruselgeschichte -, aber unter Ideenmangel und Schreibhemmung leidet. Während sie über ihrem Manuskript brütet, passieren seltsame Dinge; Phänomene tauchen auf, die einen weiteren "Ring"-Verschnitt befürchten lassen. Doch alles wird ganz anders, als die Schriftstellerin (wunderbar verkörpert von "The Eye"-Darstellerin Angelica Lee) plötzlich in die Welt ihrer Phantasien abtaucht und wie Alice im Wunderland märchenhaft-gruslige Umgebungen besucht, in denen sie - à la Computer-Game - Aufgaben zu bewältigen hat, bevor sie den "Ausgang zum nächsten Level" durchschreiten darf. Sie befindet sich in "Gwai wik", der Zone, in der das Vergessene, Verdrängte, Weggeworfene landet und recyclet wird, weil Energie laut Naturgesetz nicht einfach verschwindet. Und dort begegnet Ting-Yin postapokalyptischen Städten mit alten Kinderspielzeugen, bedrohlichen Müllkonvertern, zombieartigen Gestalten, Traum- und Romanfiguren und schließlich auch ihrem abgetriebenen Kind. Großartige Bilder, weitab vom Horror-Einerlei (wenn auch mit den üblichen CGI-Mängeln), und ein überraschender Schluß machen diesen Film zu einem verdienten Sammlerstück.
Über Silk, den zweiten Film dieser Sammlung, braucht man nicht allzuviele Worte zu verlieren - und das ist eigentlich schade, da Regisseur Chao Bin-Su hier einige gute Ideen zur Verfügung hatte, mit denen er die Konventionen des Geisterfilms erfolgreich auf den Kopf hätte stellen können. Immerhin bedienen sich die Wissenschaftler - angeführt von einem Japaner namens Hashimoto - in diesem taiwanesischen Genrebeitrag einer Vorrichtung, die gut und gern auch aus "Ghostbusters" stammen könnte und Gespenster sichtbar macht sowie in unserer Realität fixiert. Dieses Antischwerkraftgerät heißt "Menger Sponge", könnte auch aus einem SF-Streifen stammen und erlaubt es den Forschern, mehr über die Spukerscheinungen herauszufinden. Hilfreich dabei ist auch ein Polizeischarfschütze, der das Lippenlesen beherrscht und so übersetzen kann, was die übernatürlichen Wesen zu sagen haben. In einer Wohnung in Taipeh wird auf diese Art der Geist eines achtjährigen Buben gefangen, der das grausame Schicksal offenbart, das zu seinem Tode führt. Doch, ach - Hashimoto will zu viel, will die letzten Geheimnisse von Leben und Tod lüften, beschwört Übles herauf! Daß diese trotz der Anime-Schönlings-Darsteller durchaus spannende Prämisse im Endeffekt in "Schocksequenzen" mündet, in denen wir zum x-ten Mal das bleiche, weißgekleidete Schreckgespenst mit den langen, ins Gesicht hängenden schwarzen Haaren zu fürchten kriegen, ist schade und zeugt von mangelnder Phantasie. Trotzdem: Schon wegen der Grundidee sehenswert.
Das Herzstück der vorliegenden Kollektion ist jedoch Pulse, den Kiyoshi Kurosawa 2001 drehte und der bereits heute zu den Legenden des neueren japanischen Kinos zählt - trotz seines mehr als belanglosen Ami-Remakes. Kurosawa ist mit seinem bedrückenden Werk das Kunststück gelungen, einen zutiefst depressiven und deprimierenden Horrorfilm zu schaffen, der nicht nur seine echten Schock- und Gruselmomente hat, sondern im Zuseher auch eine Stimmung absoluter Trostlosigkeit erzeugt. Die schlichte, ohne Gore-Effekte auskommende und in gelegentlich verwirrender japanischer Leinwandlogik erzählte Geschichte handelt von Computer-Nerds, die Selbstmord begehen, weil ihnen Geister aus dem Internet, dem Äther, dem weißen Rauschen der Handy-Signale, dem Piepsen alter Telefonmodems ihre eigene Einsamkeit, ihre Isolation, ihr sinnloses Leben, die Sinnlosigkeit aller menschlichen Existenz vor Augen führen. Die Geister der Toten lauern in ihrem Zwischenreich, finden dort keine Ruhe, wollen auf die Erde zurückkehren oder die Lebenden zu sich ziehen. Bedrückende, beklemmende Bilder; ein sparsam eingesetzter, unheimlicher Score; simple Gruseleffekte, die den Zuseher vor Angst fast lähmen - das alles ist "Pulse" (im Original: "Kairo"). Und das alles ist naturgemäß auch ein Argument dafür, sich diese DVD-Box zuzulegen. Auch wenn man fälschlicherweise glaubt, das asiatische Kino habe seine beste Zeit bereits hinter sich ...
Peter Hiess
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