Video_Five Minutes of Heaven
Der Himmel kann warten
Schuld und Sühne vor dem Hintergrund des Nordirlandkonfliktes: Trotz Starbesetzung vergibt Regisseur Oliver Hirschbiegel ("Der Untergang") die Chance auf ein spannungsgeladenes Kammerspiel.
06.01.2011
Im nordirischen Lurgan des Jahres 1975 erstarrt der kleine Joe Griffin (Kevin O'Neill), als ein Vermummter vor seinem Elternhaus auftaucht. Alistair Little (Mark Davison) legt an und drückt den Abzug seiner Waffe mehrfach durch; der Elfjährige muß hilflos dabei zusehen, wie sein älterer Bruder Jimmy von dem jugendlichen Mitglied der Ulster Volunteer Force - UVF - hingerichtet wird.
25 Jahre später steht ein Wiedersehen zwischen Griffin (James Nesbitt) und Little (Liam Neeson) unter spektakulären Rahmenbedingungen bevor: Ein TV-Team will das bedeutungsschwangere Zusammentreffen vor möglichst großem Publikum einfangen.
Doch jener Alistair Little, der seinerzeit verblendet der protestantischen Gewaltgruppierung UVF zu Diensten war, existiert nicht mehr. Er hat seine Strafe verbüßt und 12 Jahre hinter Gittern verbracht. Gesellschaftlich rehabilitiert, als Ex-Extremist, der der Gewalt abgeschworen hat, bereist er den Globus in beratender Funktion; der Geläuterte stellt sich offen gegen jede Form von Terrorismus und versucht, auf Konfliktparteien friedensstiftend einzuwirken.
Für Joe Griffin hingegen war es nach dem Tod seines Bruders nur noch bergabgegangen. Das erlittene Trauma von damals hat er nie überwunden. So sieht der zerrüttete, seelisch verkrüppelte Griffin in dem Treffen vor allem eine Gelegenheit, späte Rache zu üben.
Kurz vor dem Aufeinanderprallen der beiden Antagonisten verläßt Regisseur Hirschbiegel den Pfad zu einem kammerspielartigen Zweikampf und biegt scharf ab; eine konkrete Ersatzroute bleibt das Drehbuch (Guy Hibbert, "Omagh") jedoch schuldig. Was folgt, ist eine statische Konzentration auf zwei seelisch Bürgerkriegsversehrte, die nach wie vor mit der Aufarbeitung ihres gemeinsamen Traumas beschäftigt sind, dabei aber auf der Stelle treten. Während es Joe, der den Todesengel aus seiner Kindheit zur Rechenschaft ziehen will, an letzter Konsequenz mangelt, müht sich Alistair mit der untilgbaren Hypothek aus seinen dunkelsten Jugendtagen ab - einer Tat, die er sich nicht verzeihen kann.
Ein derartig im Schwebezustand verharrendes Schuld und Sühne-Drama verlangt nach glaubwürdigen Darstellern. Mit Liam Neeson und James Nesbitt, zwei renommierten nordirischen Mimen und zudem Bürgerkriegsfilmveteranen ("Michael Collins", "Bloody Sunday"), standen diese auch fraglos zur Verfügung. Die Personenführung versagt jedoch: Währens Nesbitts zerfahrenes Spiel oft am Rande unfreiwilliger Komik balanciert, ertränkt Gegenpart Neeson seinen Alistair Little in purer Schwermut.
Little, der in einem persönlichen Fegefeuer schmorende Melancholiker, wird dabei immerhin besser ausgeleuchtet als der enervierende Wirrkopf Griffin. Das angestrebte schauspielerische Kontrastprogramm - entfesselter, unberechenbarer Griffin fordert abgeklärt-würdevollen Little - kommt so jedenfalls nur mit Abstrichen zustande.
Die Inszenierung von "Five Minutes To Heaven", einer fast bis zum Stillstand verlangsamten Auseinandersetzung mit der Unauslöschbarkeit alter Sünden, wirkt letztlich ziellos. Hirschbiegel scheitert daran, Alistairs verzweifelte Bestrebungen, Erlösung zu erlangen und Joes Unvermögen, seine Gedanken zu vermitteln und seine Wut zu kanalisieren, eine filmische Struktur zu verleihen.
Dietmar Wohlfart
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