Video_Factotum

Na dann Prost!

Matt Dillon als Alter ego von Charles Bukowski? Das klingt zwar etwas gewagt, funktioniert aber in diesem Trinkerfilm über weite Strecken erstaunlich gut.    31.10.2006

"Chinaski, du bist gefeuert!" Der erboste Ausruf seines Bosses nötigt dem Geschaßten nicht mal ein Achselzucken ab. Zu typisch ist die Szenerie: Henry Chinaski (Matt Dillon) hat gerade wieder einen seiner miesen Jobs verloren, weil er sich während der Arbeit hat vollaufen lassen. Kein Problem, dann hat er umso mehr Zeit in der Kneipe. Hauptsache, das Arbeitslosengeld stimmt.

"Factotum" beruht auf dem gleichnamigen Roman Charles Bukowskis von 1975, in dem der Autor seine Erlebnisse aus den 40ern verarbeitet hat. Getreu dem Buch hangelt sich auch im Film Bukowskis Alter ego Henry "Hank" Chinaski von einem schlechtbezahlten Job zum anderen, immer kurz davor, endgültig in der Gosse zu landen. Mal scheint es kurz aufwärts zu gehen, er hat einen festen Job, eine Wohnung und eine Glückssträhne beim Pferderennen - doch mit der vergleichsweisen Stabilität ist es stets schnell wieder vorbei.

Immerhin scheint Henry in der sexsüchtigen Trinkerin Jan (Lili Taylor) eine passende Gefährtin gefunden zu haben. Zwischen den beiden spielen sich einige wirklich rührende Szenen und sogar so etwas wie Liebe ab. Doch letztlich ist Hank zu keiner dauerhaften Beziehung fähig: "Seien wir ehrlich: Ich brauche dich nicht, du brauchst mich nicht." Und das war´s dann auch. Das einzige, was der Einzelgänger wirklich braucht, ist Alkohol - und das Schreiben. Solange er mit einer Flasche Whiskey am Tisch sitzen und seine Gedanken und Erlebnisse zu Papier bringen kann, ist er glücklich. Da kann der Rest der Welt gern den Bach runtergehen.

Dem norwegischen Regisseur Bent Hamer ("Kitchen Stories") ist es gelungen, die episodenhafte Struktur der Buchvorlage überzeugend auf die Leinwand zu übertragen. Er schildert einzelne Stationen aus dem Leben des ewigen Außenseiters mit Lakonie und leisem Humor und weckt beim Zuschauer viel Sympathie für den Underdog, der sich nicht um Konventionen scheren kann und mag. Matt Dillon gibt dabei eine überzeugende Vorstellung als stoischer Alkoholiker und verleiht seiner Figur jede Menge trockenen Witz. Gerade Chinaskis Auseinandersetzungen mit seinen überforderten Vorgesetzten sind für einige Lacher gut - und Labsal für alle, denen es schon immer absurd vorkam, daß ein Vollzeitjob der Inbegriff eines erfüllten Lebens sein soll.

Insgesamt erscheint das Werk allerdings doch etwas zu zahm für eine Bukowski-Adaption, von der man sich einerseits mehr Dreck, andererseits aber auch mehr Vitalität erwartet hätte. Gerade die Stellen, an denen Dillon aus dem Off Ausschnitte aus Bukowskis Gedichten vorträgt, wirken seltsam leblos und aufgesetzt.

Fazit: "Factotum" ist nett anzuschauen, doch ein bißchen mehr Wucht und Sperrigkeit hätten der Geschichte durchaus gut getan.

Anne Herskind

Factotum

ØØØ


Pandora Film (Norwegen/USA 2005)

DVD Region 2

90 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF

Features: Interview mit Matt Dillon, Deleted Scenes, Trailer

Regie: Bent Hamer

Darsteller: Matt Dillon, Lili Taylor, Marisa Tomei u. a.

 

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