Video_Ein Kind zu töten
Ihr Kinderlein kommet!
Kehren Sie auch immer so entnervt und dem Wahnsinn nahe aus dem Urlaub zurück? Vielleicht, weil Sie versehentlich in einem "Kinderhotel" abgestiegen sind, wo Sie lästige Jungeltern und deren kleinkriminellen Nachwuchs ins Vakuum hinter den Mond gewünscht haben? Da haben Sie noch Glück gehabt. Es hätte viel schlimmer ausgehen können ...
13.11.2009
Almanzora nennt sich die idyllisch vor der katalanischen Küste gelegene Insel, auf die sich das britische Pärchen Tom und Evelyn eigentlich nur zur Erholung zurückziehen will. Sommer, Sonne, Strandidylle. Einmal noch ein paar friedliche Tage verbringen, bevor Evelyn ihr drittes Kind zur Welt bringt ... zumindest haben sie sich das so vorgestellt.
Zu Beginn scheint ja auch alles noch ganz friedlich - vielleicht sogar ein wenig zu friedlich, da den beiden außer ein paar Kindern niemand begegnet. Doch dann beginnt alles aus dem Ruder zu laufen. Als Tom und Evelyn durchs Dorf flanieren, erscheint ihnen die Örtlichkeit wie ausgestorben. Oder auch fluchtartig entvölkert: Die Geschäfte sind, wiewohl verlassen, nicht versperrt; in einem kleinen Restaurant, das die Urlauber in Erwartung eines wohlschmeckenden Mahls betreten, dreht sich verkohltes Fleisch auf dem Grill; das Eis in den Behältern des Eiswagens ist geschmolzen. Und dann klingelt im Restaurant ein Telefon: Tom hebt ab und vernimmt am anderen Ende der Leitung eine leise und verängstigte Stimme. Was sie sagt, ist schwer zu verstehen. Irgendwann später wird er die Urheberin der Stimme kennenlernen - doch dann wird schon alles zu spät sein.
Die Protagonisten verlassen unverrichteter Dinge das Restaurant. Und dann - endlich - begegnen sie einem Erwachsenen, einem alten Mann. Doch währt die Erleichterung nicht lange: Der Senior wird nämlich vor ihren Augen von einem unschuldig aussehenden kleinen Mädchen tot geprügelt. Einfach so. Bald wird dem Paar klar, daß sich die Kinder im Dorf gegen die Erwachsenen verschworen und offensichtlich ihre eigenen Väter und Mütter ermordet haben. Ihre eigenen Fluchtversuche erweisen sich als aussichtslos. Tom und Evelyn werden im Dorf eingekreist, alle Straßen und Gäßchen sind von den herzigen Kleinen versperrt. Die einzige Möglichkeit, den immer näherrückenden Pulk aufzuhalten, wäre: ein Kind zu töten. Und wer will das schon?
So wie den bei Kinder-als-Mörder-und Terroristen-Vorgängern aus "Village Of The Damned" ("Das Dorf der Verdammten", USA 1960) geht von den Inselbälgern eine monströse Bedrohung aus. Doch während wir es beim verdammten Nachwuchs wenigstens noch mit einer reinrassigen Alien-Verschwörung zu tun hatten, gibt’s im spanischen "¿Quién puede matar a un niño?" ("Ein Kind zu töten", 1976) überhaupt keine Erklärung für das Verhalten der Kinder - obwohl einst eine verstümmelte deutsche Kinofassung mit dem begnadet blöden Titel "Tödliche Befehle aus dem All" das Licht der Leinwand erblicken durfte.
Das Grauen ist hausgemacht und kommt - ähnlich wie bei den verhaltenskreativen Bankerten in Krems, Wien, Neukölln oder meinetwegen London - nicht gerade auf leisen Sohlen. Ob das nun aufgrund eines biologischen Defekts, einer wie auch immer gearteten offenen Rechnung der Natur mit der Menschheit oder aus Rache für seit Jahrtausenden erlittenes kindliches Unrecht und erlittene Mißhandlungen geschieht - wir wissen es nicht. Ein etwa achtminütiger, die Spielhandlung einleitender dokumentarischer Prolog läßt auf letzteres schließen, doch ist das nur eine Interpretationsmöglichkeit unter vielen. Auf jeden Fall schildert besagter Prolog den durch die Geschichte mäandernden Terror gegenüber Kindern. Die hierbei präsentierten Bilder sind jedem bekannt: das nackte vietnamesische Mädchen, dessen Rücken von Napalm verbrannt ist, das Gruppenbild der zwischen Stacheldrähten eingepferchten Kinder im KZ. Es sind Bilder, die im Betrachter ein gewaltig schlechtes Gewissen auslösen (auch wenn dieser, wie der Verfasser dieser Zeilen, Kinder am liebsten in sicherer Distanz weiß); Bilder, die eben auch das britische Pärchen kennt und die mit dafür sorgen, das Tabu aufrechtzuerhalten, daß man ein Kind nicht willentlich umbringen darf.
Regisseur Narciso Ibáñez Serrador, der laut eigenen Angaben den Prolog anfänglich lieber als Epilog eingesetzt hätte, dreht in ruhigen und fein komponierten Sequenzen die Spannungsschraube auf eine Weise an, die auch Horror- und Suspense-Connaisseuren einiges abverlangt. In den Siebzigern stellte sich Kinder-Horror zwar als durchaus kommerziell verwertbares Thema heraus - von "Rosemary´s Baby" (USA 1968) über "The Exorcist" ("Der Exorzist", USA 1973) bis hin zu "The Omen" ("Das Omen", USA 1976) -, doch "¿Quién puede matar a un niño?" war Kritikern und Zensoren in jeder Hinsicht zuviel. Auch wenn die gezeigte Gewalt und das damit Hand in Hand gehende Blutvergießen (vor allem für für heutige Begriffe) recht zahm erscheinen, war das Konzept einer grundlos gewaltbereiten und -tätigen Jugend und der Reaktion darauf wohl Grund genug, den Film in seiner ursprünglichen Fassung jahrelang auf Eis zu legen. Dem famosen deutschen Label Bildstörung ist es zu verdanken, daß dieses Kleinod katalanischen Horrors nun endlich in seiner vollen und ungeschnittenen Pracht (inkl. vieler und schöner Extras, eines überaus informativen Booklets und einer kompletten Soundtrack-CD) zu bewundern ist.
"¿Quién puede matar a un niño?" ist auf jeden Fall das ideale Nikolo- oder Weihnachtsgeschenk für Horror-Fans, Kinderhasser und Filmhistoriker (also gute Menschen), die es auch zu schätzen wissen, daß ein Teil des Films im spanischen Sitges gedreht wurde, wo seit 1968 alle Jahre wieder das größte (und wohl schönste) europäische Horrorfilm-Festival, das "Sitges Festival - Festival Internacional de Cinema de Catalunya", stattfindet.
"Ab 18!" meint die FSK.
Richtig. Das ist nichts für Kinder!
Thomas Fröhlich
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