Video_Echte Wiener
Herrgott, wie die Zeit vergeht ...
Chris Haderer hat die "Net deppert Edition" rund um Mundl Sackbauer und seine Familie gesehen - und erinnert sich dabei an ein Stück österreichische TV-Geschichte.
15.01.2010
1975: Die UNO proklamiert das Jahr der Frau. In Westdeutschland wird die Volljährigkeit von 20 auf 18 Jahre gesenkt. Der Bundesverfassungsgerichtshof in Karlsruhe erklärt die vom Bundestag beschlossene Reform des aus dem Jahr 1871 stammenden Paragraphen 218 für verfassungswidrig, wodurch die Abtreibung während der ersten zwölf Schwangerschaftswochen verboten bleibt. 225 Kilometer über dem Atlantik haben die sowjetische Sojus 19 und die amerikanische Apollo 18 ein Rendezvous im Weltall: Entspannung ist angesagt. In Amerika gelingt dem jungen Regisseur Brian De Palma mit seinem Thriller "Schwarzer Engel" der Durchbruch. Martin Scorceses Klassiker "Taxi Driver" mit Robert De Niro wird uraufgeführt und ein Jahr später mit der Goldenen Palme von Cannes ausgezeichnet. Der von Michael Douglas produzierte und von Milos Forman gedrehte Streifen "Einer flog über das Kuckucksnest" erhält fünf Oscars - Jack Nicholson wird zum Star.
In Österreich schreibt hingegen Regisseur und Drehbuchautor Reinhard Schwabenitzky Fernsehgeschichte. Nach dem Roman "Das Salz der Erde" von Ernst Hinterberger dreht er die erste Episode der neuen ORF-Fernsehserie "Ein echter Wiener geht nicht unter", die es auf eine - für damalige Begriffe sensationelle - Laufzeit von 24 Episoden bringt. Auf dem Küniglberg ahnt noch niemand etwas von dem Geniestreich. Die Erlebnisse der Fernsehfamilie Sackbauer gehen über den Sender - und verursachen Aufregung. Die Sackbauers sind nämlich "echte" Wiener, mit einem nicht ganz so goldenen Herz am rechten Fleck und einer Goschn, die es mit der ganzen Welt aufnehmen kann.
Edmund Sackbauer (Karl Merkatz), genannt Mundl, ist das Oberhaupt der Familie. In der TV-Serie lebt er zusammen mit Frau Toni (Ingrid Burkhard), Sohn Karli (Klaus Rott) und Tochter Hanni (Erika Deutlinger) in einer kleinen Wohnung in der Hasengasse im 10. Wiener Gemeindebezirk (Favoriten). Er ist Elektriker, und die Probleme der Familie sind Alltäglichkeiten: zu wenig Platz, zu wenig Geld, Arbeit, Beziehungen. "Nach außen hin wirkt die Familie Sackbauer furchtbar, aber in Wirklichkeit ist es eine gute, eine integre Familie", beschreibt Irmi-Darstellerin Liliane Nesika den inneren Erfolgsmechanismus der Serie. "Bei aller Schreierei des Mundl würde ich so mancher Wiener Familie, die nobel tut, ein so integres Familienleben wünschen wie das der Sackbauers: Er geht nicht fremd, schreit zwar, aber sie reden miteinander."
Im Kinofilm "Echte Wiener" von Regisseur Kurt Ockermüller (mit 160.236 Besuchern an den ersten zwei Wochenenden die erfolgreichste österreichische Produktion des Jahres 2008) werden die Kultfiguren von damals von der Zeit eingeholt, und, ja, tatsächlich sind fast 35 Jahre ins Land geschlichen. So wie im Film, zu dem wieder Ernst Hinterberger das Drehbuch geschrieben hat, Kurti Blahovec (Götz Kaufmann) als Krebspatient im Sterben liegt, sind eine Menge Leute, die in den 70ern über den Mundl gelacht haben, nicht mehr da.
Wie sehr die Welt sich weitergedreht hat, wird schon in der ersten Szene deutlich: Da wird Mundls Schrebergartenhaus von einem Bagger planiert - ein drastischer Einbruch der Gegenwart in die Hinterbergersche TV-Wirklichkeit der Siebziger. Die Patina der damaligen Filmoptik (obwohl bereits vollständig auf Video gedreht, sind die Farben schwach, die Bildkomposition erfolgt aus stehenden Kameras ohne Fahrten, abgemischt mit langsamen Schnitten) zerbröselt bereits in den ersten fünf Minuten.
"Echte Wiener" lebt nicht als eigenständiger Kinofilm, sondern von seiner Vorgeschichte als Fernsehserie. Tatsächlich trifft der Streifen weder den vielzitierten Zeitgeist, noch porträtiert er den "echten" Wiener - und auch der Mundl wird durch den Film nicht zur Kinofigur. Auch mit knapp 90 Minuten Lauflänge bleibt der Eindruck, daß man nur eine Fernsehepisode gesehen hat - mit der man möglicherweise gar nichts anfangen kann, wenn man nach 1980 zur Welt gekommen ist. Was dem Film fehlt, ist die Ursprünglichkeit der TV-Serie, die Provokation, die in den 70er Jahren noch jede Menge Kritiker auf die Palme brachte. "Für die damalige Zeit war die Serie etwas Außergewöhnliches, nämlich, daß wir FAMILIE PUR gezeigt haben", weiß Ingrid Burkhard, die auch in "Echte Wiener" Mundls Frau Toni spielt.
Wie sehr sich der Wind seit der TV-Serie gedreht hat, ist auch daran erkennbar, daß beispielsweise Karl Merkatz über Jahre hinweg ein Kinosequel der Mundl-Saga dementiert hat, frei nach dem Motto: So etwas wie den Mundl kann man ohnehin nicht am Reißbrett entwerfen. Mitte der Siebziger schien die Zeit für einen Helden wie diesen gerade reif zu sein, mehr als drei Jahrzehnte später ist sie es nicht (mehr). "Ursprünglich war der Mundl ein Bosnigel, den ich gar nicht spielen wollte, weil er viel zu bös war", erinnert sich Karl Merkatz heute. Mittlerweile scheint der gebürtige Wiener Neustädter seinen Mundl lieben gelernt zu haben: Im Dezember 2010 soll nämlich bereits der zweite Mundl-Kinofilm anlaufen. Titel: "Die Deppat´n und die Gspritzt´n."
Chris Haderer
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