Video_Der Baader-Meinhof-Komplex
Ton, Steine, Scherben
Deutschland in den Jahren des RAF-Terrors: das ideale Ostergeschenk für geschichtsbewußte DVD-Seher - oder? EVOLVER-Gastautorin Helga Laugsch mischte sich zwischen Meinhof, Baader, Eichinger und Edel. Und sie ist definitiv "not amused".
23.03.2009
Vier oder fünf Leute aus ihrem Umfeld hat die Rezensentin und Verfasserin dieser Zeilen gefragt, ob sie sich den verfilmten "Baader-Meinhof-Komplex" damals mit ihr zusammen im Kino anschauen wollten; vier oder fünf Leute, die schon alleine von ihrer Sozialisation her Interesse hätten haben müssen. Vier- bis fünfmal ein verzogenes Gesicht als Antwort, ein gemurmeltes "Nee, naa, der Eichinger ..."
Bernd Eichinger ist der Produzent, der in diesem Fall auch das Drehbuch schrieb, das auf dem gleichnamigen Buch von Ex-"Spiegel"-Chef Stefan Aust basiert (als eine fast minutiöse Chronik der Ereignisse um die Baader-Meinhof-Gruppe/Bande, die Rote Armee Fraktion oder RAF, von 1970 bis 1977). Das Werk ist bereits 1985 erschienen, wurde von Aust laufend ergänzt und auch für den Film abgesegnet. Eichinger wiederum ist der deutsche Starproduzent (vom "Geisterhaus" bis zu "Der Untergang"), bekannt für massentaugliche Stoffe und gewaltige Fördermittel, mehr als geschickte Vermarktungskampagnen, dem Fernsehen gegenüber sehr aufgeschlossen, immer mit Blick auf den großen internationalen Film und den großen internationalen Filmpreis.
Bezeichnenderweise nannte niemand der Angesprochenen den Namen des Regisseurs Uli Edel (bekannt durch Werke von "Christiane F. - Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" bis hin zu Fernsehproduktionen wie "Die Nibelungen", oft zusammen mit Eichinger; die beiden sind ein altes und eingespieltes Team, Ende der 40er Jahre geboren, somit 68er-Generation) als Hinderungsgrund - das mag daran liegen, daß der Mann weniger im Bewußtsein der Öffentlichkeit verankert ist.
Die RAF-Thematik wurde bereits vielfach für den Film aufgegriffen, schon sehr zeitnah ab 1975 und durch die Jahrzehnte hindurch weiter, immer eher als Auseinandersetzung der deutschen Avantgarde und Minderheit mit einem mehr als schwierigen Kapitel ihrer Vergangenheit. Neben allen nötigen Be- und -verarbeitungen wird Faszination deutlich, ähnlich nur den Stoffen des Nationalsozialismus und des geteilten Deutschland.
Der Film von Edel und Eichinger also unternimmt zum ersten Mal den Versuch, die Geschichte der RAF für die breite Masse verständlich darzubieten, vom Kunstfilm zum Publikumsfilm, als eine Art Geschichtsunterricht für die jüngere Generation. Er ist ganz hervorragend besetzt - keineswegs nur, was optische Ähnlichkeiten betrifft: Die allererste Garnitur der deutschen Schauspielerinnen und Schauspieler ist in über 120 Sprechrollen am Start. Zu nennen sind hier stellvertretend Martina Gedeck als Ulrike Meinhof und Bruno Ganz als ihr Gegenspieler, BKA-Chef Herold. Einzig Moritz Bleibtreu tut sich als tickende Gewaltzeitbombe Andreas Baader schwer.
Der Streifen ist in seinen Details unglaublich genau und stimmig-stimmend. Er beginnt mit dem Schah-Besuch in Berlin, den Studentendemonstrationen dagegen und der Tötung von Benno Ohnesorg durch einen Polizisten, geht mit der darauffolgenden Eskalation und noch mehr Protest durch die APO (außerparlamentarische Opposition) weiter, erzählt von der Auflehnung eines großen Teils der jungen deutschen Generation gegen Altnazis und ihre Eltern, gegen den Springer-Konzern, den US-Imperialismus, Vietnam-Krieg, Kapitalismus, Warengesellschaft und Konsumterror.
Ulrike Meinhof, Star-Kolumnistin und das Gewissen der deutschen Linken, verläßt ihren Lebe-Ehemann Röhl, den Chef der Zeitschrift "konkret", um ganz nahe an den Ereignissen in Berlin dran zu sein. Ihr Hineinrutschen in die Szene - anhand der Baader-Befreiung - geschieht zögernd und bedeutet ein Ja zu Widerstand und Gegenwehr mit Gewalt, wie vorformuliert von den Denkern Sartre und Habermas - eben dann, wenn die Staatsgewalt strukturell ist wie im "Schweinesystem", wenn sie Unterdrückung produziert und Toleranz nur repressiv sein kann. Damit geht Meinhof in den Untergrund und vollzieht jene Teilung in Schwarz und Weiß, Gute und Böse, Nicht-Schweine und Schweine; auf letztere darf geschossen werden. War ihr die Würde des Menschen vorher unantastbar, so wird ihr im weiteren das Leben an sich durchaus antastbar.
Mehr als zwei Stunden lang rattern dann zehn Jahre dramatischer deutscher Geschichte über die Leinwand. Mehr als zwei Stunden Ereignis über Ereignis, Bankraub und Geiselnahme, GSG9, Überfall und Mord und Flucht und Rasterfahndung und geknackte Autos und ausgetauschte Nummernschilder und Bomben und Steckbriefe und Trainingslager und Festnahmen auf der Leinwand 2008, sodaß fraglich ist, wer da ohne Vorkenntnisse noch durchblicken kann ...
"Der Baader-Meinhof-Komplex" hat seine Stärken in der ersten halben Stunde: überraschend differenziert in Aussage und Darstellung, viel Verständnis für das ursprüngliche Motiv der RAF (gegen Faschismus und Imperialismus), das von vielen geteilt wurde und der Organisation eine nicht zu unterschätzende Sympathisantenszene einbrachte. Atmosphärisch sehr dicht und beispielhaft: jene Passage, in der die junge Gudrun Ensslin als ledige Mutter mit ihrem Verlobten im elterlichen Pfarrhaushalt sitzt. Da ist der den Belangen der Jugend eigentlich aufgeschlossene, liberale Vater, der aber keine Zeit hat; die stets nickende, beipflichtende Mutter; der Bräutigam, der seine Braut verliert, weil die Braut sich von ihm und aller Bürgerlichkeit schon verabschiedet hat. Überhaupt gibt es eine hohe Dichte an Frauen in der RAF.
Dann folgt das jähe Kippen in die Gewalt, die Eskalation. Das kriminelle Potential von Baader und auch Ensslin rückt in den Vordergrund. Die ebenfalls ermordeten Chauffeure, Polizisten und Leibwächter werden in Kauf genommen, sind halt auch Schweine - und dann ist nichts mehr rückgängig zu machen. Außerdem hat sich die politische Situation verändert: Auf die Große Koalition zwischen CDU/CSU und SPD in der BRD folgte nämlich eine SPD/FDP-Regierung unter Willy Brandt ("Mehr Demokratie wagen"); die APO beginnt, durch die Institutionen zu marschieren, wobei sie ihren Einfluß und die RAF immer mehr ihrer Sympathisanten verliert.
Die Spirale der Gewalt dreht sich, die BRD steht Kopf, ist herausgefordert wie selten zuvor. Es kommen die Terroristen der zweiten (Mohnhaupt und Klar) und dritten Generation. Stammheim wird eigens für den Prozeß gegen die erste Terror-Generation gebaut. Meinhof, Baader, Ensslin und Raspe scheiden unter fragwürdigen Umständen aus dem Leben, der Staat hat gewonnen. Und dann, was der Film nicht mehr zeigt, beginnt die Ära Kohl. Terroristen tauchen in der DDR unter, und beide deutschen Geheimdienste spielen eine seltsame Rolle, was den Terror der dritten Generation betrifft.
An der künstlerischen Umsetzung scheitert der Film. Er hat keine große Linie, setzt keine Akzente, zeigt keine Bilder, die bleiben, entwickelt keine eigene Ästhetik. Dabei ist er nicht einmal im Videoclip-Tempo geschnitten. Wo bleibt die strukturierende, wissende Hand des Regisseurs? Die postmoderne Weise (alles ist möglich, keine Stellungnahme und Botschaft, bitte!) hat ihre Grenzen. Ist er nun ein "Täterfilm" oder ein verfilmtes Sachbuch? Ab einem bestimmten Zeitpunkt wartet man nur noch auf das Ende des Films, die Entführung von Schleyer und der Lufthansa-"Landshut". Die nicht gewichtende Erzählweise nutzt sich ab. Geradezu tölpelhaft und überflüssig: die Filmmusik, die eins zu eins agiert und Spannung in der Handlung mit "lauter und schneller" unterlegt.
Kritisiert worden ist der Film für seine Kommerzialität: "Eventkino ohne Impetus" schreibt der "Spiegel" - dem kann man nur beipflichten. Für die erste halbe Stunde darf man ihm getrost die höchstmögliche Punktezahl zukommen lassen, weil er dicht und eindringlich ist, für den langen Rest ein "genügend". Vielleicht veranlaßt er manche Menschen, sich näher und weiter mit diesem belasteten Thema, zu dem kaum ein Satz ohne Relativierung und Weitererklärung möglich ist, zu beschäftigen. Das wäre nötig und sinnvoll.
Jahrzehnte später nämlich, in einem Turbokapitalismus und einem Konsumterror, die damals noch in den Startlöchern standen, bei mehr oder weniger hilflos agierenden Politikern, ist "Bild "nicht mehr nur die meistgelesene, sondern auch die meistzitierte Zeitung im wiedervereinigten Deutschland geworden. Das, was die westdeutschen Terroristen damals zuerst nur theoretisch bekämpften, ist später erst vollends eingetreten ...
Ein großes Thema - aber wieder kein ganz großer deutscher Film also, sondern einer für die breite Masse, von der er offensichtlich durch regen Besuch auch angenommen wird: Bisher hatte er 2,5 Millionen Besucher.
Der Auslands-Oscar ging zwar spurlos am "Baader-Meinhof-Komplex" vorüber, um die Verkaufszahlen der DVD wird man sich dennoch keine Sorgen zu machen brauchen.
Helga Laugsch
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