Video_Das Waisenhaus
"Eins, zwei, drei ..."
"... und du bist frei!" Elegantes Grauen aus Spanien: Debütant Juan Antonio Bayona inszeniert ein schaurig-schönes Spukfest mit ausgefeilter Tragik-Komponente.
16.10.2008
Einst verbrachte Laura (Belén Rueda) die Jahre ihrer Kindheit in einem Waisenhaus. Die formenden Erinnerungen aus diesen Tagen motivieren sie 30 Jahre später, zusammen mit ihrem Gemahl Carlos (Fernando Cayo) und dem siebenjährigen Adoptivsohn Simón (Roger Princep) an jenen Ort zurückzukehren, um einer neuen Generation von Kindern dort Obdach zu gewähren. Doch bei all der nostalgischen Verbundenheit mit dem alten Anwesen und den Bemühungen einer Wiederbelebung des Hauses kreisen Lauras Gedanken doch primär um den kleinen Simón, der sich weder seiner Adoption noch der geringen Lebenserwartung - der Knabe ist HIV-positiv - bewußt ist. Simón, ein Kind mit ausnehmend lebhafter Phantasie, das am liebsten mit imaginären Gefährten herumtollt, rückt schließlich ins Zentrum des allgemeinen Interesses, als sein vermeintlich eingebildeter Spielkamerad Tomas am Tage der Waisenhaus-Wiedereröffnung überraschend in Erscheinung tritt und Simón daraufhin spurlos verschwindet.
"Das Waisenhaus" führt nicht nur die Tradition alter Geisterhausstreifen auf selten erreichtem Niveau fort; er fügt sich auch in jene Welle feinsinniger Horror-Kabinettstückchen ein, die durch moderne fernöstliche Grusel-Hits und das Zutun eines gewissen M. Night Shyamalan mitinitiiert wurden und denen auch Werke wie "The Others", "Echoes", "Dämonisch" oder Guillermo del Toros "The Devil´s Backbone" und zuletzt "Pans Labyrinth" angehören. Juan Antonio Bayonas - von del Toro koproduzierter - Beitrag erreicht in mehrerer Hinsicht ein bemerkenswertes Qualitäts-Level.
Im Mittelpunkt steht die Enddreißigerin Laura, eine gutherzige Ehefrau und (Zieh-)Mutter, die engagiert den Wiederaufbau der alten Heimstätte vorantreibt und sich in eine furchtlose Löwin verwandelt, als ihr kleiner Simón vom Erdboden verschluckt wird. Belén Ruedas kämpferische Darbietung wirkt natürlich und glaubhaft; Lauras Suche, die sie immer tiefer in die Vergangenheit der verwunschenen Waisenhausgemäuer führt, nimmt zutiefst tragische Ausmaße an, ohne jemals die Grenze zur prätentiösen Melodramatik zu überschreiten. Irgendwann steht Laura, deren geliebtes Kind von der Mitwelt für tot erklärt wird, alleine da. Hilfe erfährt sie nur durch das Medium Aurora (Geraldine Chaplin) und deren spirituelle Helfer. Gemeinsam versuchen sie Kontakt zur Totenwelt - und somit eine Verbindung zu Simóns mutmaßlichen Entführern - herzustellen. Charlie Chaplins Tochter gehört hier eine der bemerkenswertesten Sequenzen des Films, die Erinnerungen an Spielbergs "Poltergeist" weckt.
Regisseur Bayona verzichtet auf billige Taschenspielertricks, seine Schocks sind stets treffsicher plaziert. Beunruhigende Kamerafahrten tragen die unheilschwangere Stimmung durch das verwunschene Anwesen, und auch die Sound-Tüftler glänzen und mengen der aufgeladenen Atmosphäre exquisite akustische Schreckensmomente bei. An der Oberfläche bietet "Das Waisenhaus" somit erstklassiges Mystery-Kino. Die Tragödie um Laura und ihren verlorenen Sohn hebt die optisch wie akustisch beachtliche Produktion aber auch auf eine emotional relevante höhere Ebene.
Dietmar Wohlfart
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