Video_Cry Baby
Johnny, die Heulsuse
Alle Welt redet vom "Hairspray"-Remake. Wir vom EVOLVER legen Ihnen noch dazu dieses Werk aus der mittleren Schaffensphase von John Waters, dem "King of Bad Taste", ans Herz. Zur Einstimmung auf den Kinobesuch - oder gleich als Ersatz.
13.09.2007
Passend zum Kinostart der "Hairspray"-Neufassung ist dieser Tage auch eine "John Waters Collection" erschienen, bestehend aus "Polyester", "A Dirty Shame" und eben auch dem Original. Cineasten mit zuviel Freizeit stimmen sich auf die geballte Ladung Waters am besten mit Johnny Depp als Wade "Cry Baby" Walker ein. In dem Filmchen dreht sich alles um den jungen Mann, der sich in prä-karibikverfluchten Zeiten an Allison (Amy Locane) herantanzt, obwohl zwischen den beiden Welten liegen. Das Musical verhandelt also eine klassische Romeo-und-Julia-Liebesgeschichte im Klassenkampf und punktet sowohl mit seinen skurrilen Gesangs- und Tanzszenen als auch mit absurden Dialogen.
Waters hatte 1990 ein für seine Verhältnisse enormes Budget zur Verfügung und konnte so auf professionelle Art und Weise ein Musical drehen. Er wollte dafür unbedingt Depp als Heulsuse; dem damaligen Newcomer war damit der Weg auf den roten Teppich geebnet. So manche Kritiker jammerten damals, daß sich Waters an den Feind Hollywood anpassen würde. Der Regisseur selbst meint jedoch, daß "Cry Baby" ein Trash-Epos sei, für das eben zur Abwechslung mehr Geld zur Verfügung gestanden habe. Im Gegensatz zu "A Dirty Shame", Waters´ jüngstem Film, sprengt "Cry Baby" auch (noch) nicht die Grenzen des guten Geschmacks.
Eine Grundlage für die Story war - wie so oft - die Kindheit des Regisseurs in Baltimore: Selbsthilfebücher für "Drape"-Eltern im spießigen Amerika der 50er Jahre waren damals Bestseller. "Drapes", die jungen Kriminellen, waren das (mediale/reale?) Problem Nummer eins der Gesellschaft dieser Zeit.
Der spätere Regisseur steckte zwar mitten in dieser Szene, war aber kein Teil von ihr. Er war ein Spießer, ein "Square", der die coolen "Drapes" heimlich bewunderte. Doch die Gruppen waren verfeindet, und so tun sich auch in "Cry Baby" Allison und Johnny schwer beim Anbandeln. Nach einer bösen Totalerneuerung ("Clueless" läßt grüßen) mutiert Allison im Unterschied zu Sandra Dee in "Grease" nicht zum Püppchen, sondern zur Rebellin - auch wenn sie in ihrer Rolle weniger konsequent ist als ihre Kolleginnen. Die drei Drapettes aus Johnnys Clique (darunter Porno-Püppchen Traci Lords) starten sogar Ausbruchsaktionen mit Hubschraubereinsatz, als ihr Anführer Cry Baby im Knast sitzt. Der junge Kriminelle wurde nämlich nach dem Kampf mit seinem Gegenspieler, Allisons Spießer-Ex, kurzerhand eingebuchtet. Die Flucht mißglückt, also singt Allison auf einem Autodach für seine Freilassung – und das in einem knallroten Kleid in einer farbenfrohen Szene, die an so manchen Elvis-Film erinnert. Die Freilassung geht letzten Endes durch, aber eher, weil Allisons Großmutter ein Techtelmechtel mit dem Richter hat.
Selbst Musical-Verweigerer sollten diesem Film trotz seiner Gesangseinlagen etwas abgewinnen können. Obercoole Machos mit Weibchen im Arm haben im schwuchteligen Gender-Bender-Universum ausgedient; tanzende Schönlinge mit Mut zum Auf-die-Tränendrüse-drücken braucht die Welt! Zumindest hätten das die derzeitigen Kulturregenten gern. Wer weiß, vielleicht kommt die "Waters Collection" ja gerade rechtzeitig ...
Bettina Figl
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