Video_Boy A

Ewige Schuld

In John Crowleys britischem Sozialdrama kämpft ein Ausgestoßener um die gesellschaftliche Wiederaufnahme.    29.10.2009

Eric heißt neuerdings Jack (Andrew Garfield). Den Namen hat sich der junge Mann nach kurzer Überlegung selbst ausgesucht. Sein Bewährungshelfer Terry (Peter Mullan) wertet die Wahl als ersten Schritt in die erfolgreiche Reintegration. Tatsächlich ist eine neue Identität sogar lebensnotwendig für den Burschen, dessen Vergehen das Beibehalten seines Geburtsnamens unmöglich machte. Vor Jahren beging Jack, damals noch Eric und selbst fast noch ein Kind, zusammen mit seinem Spielkameraden Philip (Taylor Doherty) einen brutalen Mord. Seit der Jugendliche wieder auf freiem Fuß ist, kümmert sich Terry gewissenhaft um Jacks Angelegenheiten. Er hält ihm den Rücken frei, organisiert ihm eine Unterkunft und eine Anstellung bei einer Transportfirma. Dort findet sich Jack bald zurecht, gewinnt Freunde und verliebt sich Hals über Kopf in die sympathische Michelle (Katie Lyons). Doch die Medien haben ihn nicht vergessen und berichten von seiner Freilassung. Die Greueltat von einst rückt wieder ins öffentliche Bewußtsein ...

Es ist die erdrückend schwere Hypothek eines komplett zerstörten, stigmatisierten Vorlebens, die auf Jack lastet und seine Bestrebungen um eine soziale Wiedergeburt untergräbt.

Die Sehnsucht nach einer zweiten Chance prallt in John Crowleys "Boy A" auf den drohenden Gegenschlag einer mediengesteuerten Gesellschaft, die weder vergessen will noch darf. Den moralischen Zeigefinger erhebt Crowley nur behutsam; eine plakative Ausmalung der Story erspart er dem Zuschauer. Sachte und unaufdringlich schildert er Erics/Jacks Reise in eine ungewisse Zukunft und seine Bemühungen, ein neues Leben zu beginnen. Hauptdarsteller Andrew Garfield wandelt mit seinem zerstreut-zerbrechlichen Spiel auf den Spuren des jungen Anthony Perkins. Garfields Performance bündelt die sich teilweise gegenseitig ausschließenden Begehrlichkeiten und Emotionen glaubhaft: Jack will Michelle unbedingt sein dunkles Vorleben anvertrauen, was freilich im totalen Widerspruch zu seiner Abmachung mit Terry steht.

In Rückblenden stellt Crowley die Umstände, die zu Erics Sturz führten, dem neu zu definierenden Lebensabschnitt gegenüber, den er als Jack fortsetzt. Der Zuseher begleitet Jack auf seiner Selbstfindungsreise, die stets von Erics nachhallender Untat überschattet und unterwandert wird. Alles entwickelt sich in einem organischen narrativen Fluß, wirkt weder belehrend noch übertrieben larmoyant und ergibt feines Erzählkino.

Dietmar Wohlfart