Video_All Is Lost

Der alte Mann und das Meer

Ein namenloser Schiffbrüchiger im Kampf mit den Elementen: Welchen Platz J. C. Chandors radikal-reduzierter Survival-Trip "All Is Lost" einst auch immer in der Kinogeschichte einnehmen wird - zumindest Robert Redfords beachtliche Filmographie wird um ein respektables Alterswerk bereichert.    21.05.2014

Ein Einhandsegler (Robert Redford) gerät mitten im Indischen Ozean unversehens in Seenot, als sein Boot einen umhertreibenden Schiffscontainer rammt und dabei leckschlägt. Zwar versiegelt er die Bruchstelle nach Kräften, schafft damit aber lediglich ein Provisorium. Obendrein wurde das Funkgerät im Wasser beschädigt, was einen Hilferuf unmöglich macht. Als ein Sturm aufzieht, spitzt sich die Krise des einsamen Seefahrers zu.

Der endlose Ozean, ein havariertes Segelboot und Filmlegende Robert Redford - szenisch, logistisch und personell ist J. C. Chandors ("Margin Call") Kinozweitling schnell umrissen. Doch der Autor/Regisseur verwehrt seinem Werk nicht nur den audiovisuellen Rahmen, der heutigen Hollywood-Standards entspricht, sondern verzichtet zudem auf eine erklärende Biographie seines Protagonisten, der zudem ganz ohne Dialog auskommt. Dieser gewagte Ansatz hätte das von Chandor auf riskanten Kurs gebrachte Low-Budget-Vehikel "All Is Lost" ohne weiteres auf Grund laufen lassen können. Doch statt dessen nährt die schiere Ausweglosigkeit, der sich Redfords Charakter gegenübersieht, das Interesse an seinem Schicksal von Minute zu Minute.

 

Chandor wählt einen realistischen Zugang und nähert sich dem Ein-Mann-Drama fast schon dokumentarisch an, ohne es dabei jedoch in grimmiger Nüchternheit zu ertränken. Vielmehr stellt er der scheinbaren Endgültigkeit von Redfords Duell mit den Elementen zuweilen poetisch angehauchte Bilder gegenüber. Der Schauspieler selbst wird um fundamentale Bestandteile seines darstellerischen Arsenals - nicht zuletzt die Sprache - gebracht. Ihm bleiben nur Mimik und Präsenz, um seinen Charakter aus der Anonymität zu befreien. Auch kann Redford auf keinen aus der psychischen Belastung geborenen Gesprächspartnerersatz zurückgreifen wie einst Tom Hanks, der in "Cast Away" Freundschaft mit Volleyball Wilson schließt oder "Gravity"-Heroine Sandra Bullock, der George Clooney als halluzinierter Tutor erscheint. Unter diesen verschärften Voraussetzungen wird der Überlebenskampf des namenlosen Protagonisten von Redfords Ringen um seine Autorität als Schauspieler überschattet. Tatsächlich erarbeitet sich der Veteran seine erste bedeutende Altersrolle und damit einen Triumph, der nicht mehr unbedingt zu erwarten war. Aus der Oberliga seines Berufsstands verabschiedete sich der Sundance-Gründer ja bereits in den frühen 90er Jahren, bei etwas kritischerer Betrachtung gar schon vor 30 Jahren, als Redford noch in "Der Unbeugsame" (1984) oder davor "Brubaker" (1980) glänzen konnte.

"All Is Lost" ist also in dreifacher Hinsicht ein Erfolg: Zum einen hält Chandor dem obligatorisch hohen Erwartungsdruck stand, den ein erfolgreiches Debüt naturgemäß aufbaut; zum anderen frönt er mutig und diszipliniert der minimalistischen Filmemacherei; und zum dritten verschafft er einem der Großen der Schauspielerzunft so eine Bühne zur späten darstellerischen Entfaltung.

Dietmar Wohlfart

All Is Lost

ØØØ 1/2

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Universum Film GmbH (USA 2013)

DVD Region 2
102 Min. + Zusatzmaterial dt. Fassung oder engl. OF

Features: Featurettes, Interviews, B-Roll, Trailer

Regie: J. C. Chandor

Darsteller: Robert Redford

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