Video_50 Dead Men Walking
Bombenstimmung
Mit der IRA ist nicht zu spaßen: In Kari Skoglands Nordirland-Thriller beschreibt der Regisseur das turbulente Leben eines Spitzels zwischen den Fronten.
07.10.2009
Belfast in den 80er Jahren: Martin (Jim Sturgess) verdient sich seinen Lebensunterhalt als Hausierer von modischen Hehlerwaren. Auseinandersetzungen mit der IRA und britischen Soldaten stehen an der Tagesordnung. Herumgestoßen und erniedrigt von irischen Freiheitskämpfern und englischen Militärs gleichermaßen, wendet sich Martin halbherzig an Fergus (Ben Kingsley), eine Größe innerhalb des britischen Sicherheitsdienstes. Denn die IRA apelliert vornehmlich an Martins Nationalstolz, erinnert ihn an seine vermeintliche Pflicht zum Widerstand und engagiert ihn als Fahrer und Laufburschen. Dagegen zeigt sich Fergus dem Herumtreiber gegenüber spendabel und bietet konkrete finanzielle Unterstützung im Tausch gegen Informationen. Während Martin fortan brenzlige Gefahrensituationen mit Instinkt, Courage und Glück meistert, steigt er langsam in der IRA-Hierarchie auf und hält Fergus auf dem laufenden.
Ein Mann ohne Ideale gerät auf einem Schlachtfeld der fanatischen Überzeugungen zwischen die Fronten. In Kari Skoglands "50 Dead Men Walking" ergibt sich daraus ein unterhaltsamer Spießrutenlauf der sich zunächst ohne moralischen oder politischen Kompaß bewegenden Hauptfigur. Hitzkopf und Provokateur Martin neigt dazu, allzuleicht Aufmerksamkeit zu erregen und Risiken einzugehen. Später arbeitet dieses gefährliche Spiel mit dem Feuer sogar für ihn, als seine waghalsige Ader der IRA Erfolge beschert. Synchron zu Martins Renommeegewinn innerhalb der Bewegung steigt sein Kurs bei den Briten. Als man ihn mit weitreichenderen Kompetenzen ausstattet und die Gefahr zunimmt, enttarnt zu werden, muß sich der Spitzel schließlich für eine Seite entscheiden.
Mit einem Draufgänger wie Martin als Zentralcharakter gewinnt das gegenseitige Töten auf den Straßen Belfasts einen gewissen Unterhaltungswert. Selbstverschuldet eingekeilt zwischen den Parteien, entwickelt er sich simultan zum terroristischen Leistungsträger und findigen Spion. Gelegenheiten, an der Spannungsschraube zu drehen, ergeben sich dabei häufig.
Kari Skogland verfilmte die Erinnerungen des echten Martin McGartland, der die Engländer jahrelang mit Informationen aus erster Hand versorgte. Der Versuch, das rauhe, von Protestmärschen, Straßenschlachten und Bombenzündungen bestimmte Ambiente des Nordirlandkonflikts einzufangen, dabei den Suspense-Faktor nicht zu vernachlässigen und zudem den moralischen Aspekt im Sichtfeld zu behalten, gelingt im großen und ganzen. Die rasant geschnittenen Thriller-Momente liefern Nervenkitzel, ohne dabei den ernsten Hintergrund des großen Ganzen zu entwerten. Zugleich gelingt die Transformation des jungen Aufschneidertypen zum Informanten aus Überzeugung. Dabei behilflich ist der frech aufspielende Jim Sturgess. Ihm gegenüber steht Sir Ben Kingsley als Fergus - eine Figur, die der geadelte Charakterdarsteller mit Redlichkeit, Würde und einem hinter der biederen Fassade schimmernden guten Kern ausfüllt.
An die prominente thematische Verwandtschaft - etwa die spannend-mythische Michael-Collins-Biographie Neil Jordans, den fahrig-realistischen "Bloody Sunday" oder den in stiller Wut aufgehenden "Omagh" - reichen Martins Abenteuer aber leider nicht heran. Nichtsdestotrotz gelingt dem Film ein beachtlicher Spagat zwischen Kurzweil und Seriosität.
Dietmar Wohlfart
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