Evolver Team

Emmerich Thürmer

Jahrgang 1968, abgehalfterter Studienrat für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde; lebt in Nürnberg/Mittelfranken. Mitte der achtziger Jahre des vergangenen Jahrtausends - als hoffnungsvoller Gymnasiast - verbaute er sich eine steile Karriere, weil er als Punk-Musiker mit diversen Noise-Projekten eine zweifelhafte Art von Popularität anstrebte. Später, während des Zivildienstes und des Studiums, tingelte er als Großstadt-Country-Voodoo-Blues-Crooner mit seiner stets in schwarze Second-Hand-Traueranzüge gehüllte Combo Deadly Honeymoon durch zwielichtige Bars und Hinterzimmer schmieriger Etablissements.
Nach dem Scheitern seiner Rock´n´Roll-Karriere wechselte er wagemutig die Fronten und wurde freier Autor und Kulturjournalist - mit einem speziellen Blick für Literatur und vor allem Rock- und Pop-Musik. Im Rahmen dieser Tätigkeiten organisierte und leitete er auch Seminare über Theorie und Praxis des Journalismus für das Bildungszentrum der Stadt Nürnberg, fungierte als Promoter für das Nürnberger Label Semaphore (Epitaph/Anti!/Munster), sprach bei Vorträgen über Musikthemen für die Musikzentrale/Nürnberg und hielt sich mit Artikeln für diverse Publikationen - z. B. "Joy and Pain", "Visions", "Intro", "Münchner Stadtmagazin", "Zentralnerv" und "plärrer" - über Wasser.
Nachdem er sein Herzensglück gefunden hatte, wurde es etwas ruhiger um ihn. Inzwischen lebt er mit seiner Frau, zwei Katzen sowie zirka 4000 CDs und 2000 VinypPlatten in einem Reihenhaus. Dort korrigiert und schreibt er, liest merkwürdige Bücher und Artikel, hört wahlweise Punk, Sleazy-Listening oder Country-Musik beziehungsweise entspannt sich beim Goutieren alter Schwarzweiß-Screwball-Comedies oder finsterer Horror-, SF- und Kriminalfilme. Dazu trinkt er abwechselnd Capuccino, Jack Daniels oder Weißwein.
Nur noch gelegentlich zieht es ihn in die Nacht hinaus - und wenn, dann um mit zwei wackeren Mitstreitern als Pulp-Country-Deejay-Team exzellente Country´n´Western´n´Hellbilly-Rock-Events mit Musik zu beschallen.
Zur Zeit arbeitet er neben dem Journalismus noch (immer) an einer Doktorarbeit über "Die Anfänge der mittelfränkischen Arbeiterbewegung im 18. und 19. Jahrhundert", an seinem Buchdebüt "Feuerringe", einer semifiktionalen Country-Biographie - oder er schraubt an seinem schwarzen Pulp-Country-Hellraiser-Bike.
Ob er eines dieser Unternehmen jemals erfolgreich beenden wird, bleibt fraglich ...

Eine kurze Autobiographie:

Die Dunkle Bedrohung
Schwarze Ledercreepers, ein schwarzer Second-Hand-Anzug Marke "My Funeral, My Trial", schwarzes Hemd und Rosenkranz um den Hals, die Haare ebenso schwarz getönt, ungleichmäßig-struppig nach allen Seiten abstehend, der schräge Pony fällt tief in die Stirn hinein. Wer Mitte der Achtziger so auf den Straßen und Plätzen Nürnbergs unterwegs war, erntete wahlweise abschätzige Blicke oder harte Tritte.
Aus einem, bei dem dazu im Walkman noch Tapes von Joy Divison oder Depeche Mode, Nick Cave, Black Flag und Social Distortion - oder von Johnny Cash ("Live At San Quentin") rotierten, geneigter Leser, kann doch eigentlich nichts Vernünftiges werden, oder? Der Zug dieses Lebens hat keine Haletstelle im Glück.

Zeitsprung
Inzwischen ist der Protagonist dieser Biographie aber doch schon vierzig, und - der clevere Leser hat es sicher schon vermutet - es ist doch etwas einigermaßen Seriöses aus ihm geworden: Er hat sein Glück gefunden (obwohl die Chancen dafür durch das jahrelange Hören schwer melancholischer Songs über verlorene Liebe nicht sehr günstig standen) und seine Berufung als Studienrat für Deutsch, Geschichte und Sozialkunde entdeckt: ein ebenso fordernder wie cooler Beruf, der aus den Leidenschaften und den Fähigkeiten der Hauptfigur das beste Kapital schlägt, also die Hoffnung, durch den Kontakt mit jungen Menschen dem mentalen Alterungsprozeß etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen ...

Das Leben, in dem ICH der Held sein sollte ...
Dazwischen liegen die Jahre der Selbstfindung, der "Irrungen und Wirrungen". Er ist eine Figur wie aus einem Nick Hornby-Roman, in deren erster Wohnung das zentrale Heiligtum nicht der Kühl-, sondern der Plattenschrank war – was mit Einschränkungen auch heute noch unterschrieben werden könnte. Eine Figur, der der Soundtrack zum Leben teilweise wichtiger war als das Leben des Lebens selbst, bei der das Diskutieren über Musik mit Gleichgesinnten einen höheren Stellenwert besaß als die Beziehungen (bis die eine kommt!). Kein "Dorf-Punk", dafür war Nürnberg in den Achtzigern zu sehr Metropolenregion, aber niemals so avantgardistisch wie die Typen aus "Verschwende Deine Jugend" (Jürgen Teipels Dokuroman über die deutsche Punk- und Wave-Szene); dafür liegt Nürnberg dann doch wieder zu sehr im Niemandsland zwischen Köln, Hamburg oder Berlin. Eher schon ein klassischer "Hipster-Bohemian", wie er in Diedrich Diederichsens Debüt "Sexbeat" beschrieben wird: einer, der zum Hauptbahnhof fahren muß, um sich DIE beste aller Musikzeitschriften zu kaufen, Monat für Monat, und das auch noch irgendwie cool findet; einer, der ganze Vormittage lang in den beiden Szeneplattenläden rumhängt und den "heißen Scheiß" hört; einer, der am dazwischengelegenen Johannis-Friedhof Schiller liest (die gelbe Reclam-Ausgabe natürlich) und Müllermilch trinkt, weil beide Szeneplattenladenbesitzer wieder einmal verschlafen haben.

Der Soundtrack zu unserem Leben
Bilder aus diesen Tagen existieren kaum, aber er könnte zu jedem seiner Alben die Parallelgeschichte aus dem wahren Leben erzählen ("Diese Gun Club-Platte habe ich mir einen Tag nach der Trennung zwischen mir und (...) gekauft"). Abitur geschafft (absolut bizarr: Leistungskurs Altgriechisch!), Zivildienst, Studium. Dazu diverse Versuche, ein Musikstar zu werden: etliche Bands, die erste nach einer Comic-Figur benannt, Songs voller Wüstenpunk-Romantik, andere Projekte, die irgendwie gut waren, deren Namen aber meist besser klangen als der dazugehörige Sound. Artefakte im Mülleimer der persönlichen Geschichte: herber Industrial, der die Einstürzenden Neubauten wie Chorknaben klingen läßt, wütend-grooviger Hardcore zwischen Wipers, Bad Brains, Misfits und NoMeansNo, Country-Punk (Inca Babies, Beasts Of Bourbon), verzerrter Voodoo-Blues. Mit einer Band hätte es fast geklappt: The Deadly Honeymoon – finstere Mördergroßstadtcountrybarbluesballaden, der Split dann kurz vor dem Durchbruch, Tränen, Whiskey, es bleiben ein tolles 6-Track-Studiotape und ein gutes Live-Video, Wann? 1992! RIP.

Frontenwechsel
Wenn man musikalisch-künstlerisch mangels Talent selbst nicht vorwärtskommt, Musik aber immer noch liebt und Deutsch studiert, dann bleibt nur noch das Schreiben ÜBER Musik. Zunächst als Promoter für einen Punk-Vertrieb (bestes Pferd im Stall: das Epitaph-Label mit Bad Religion und Offspring) dann auch als Musikjournalist. In all den Jahren hat sich aus der Notlösung eine pathologische Liebesbeziehung entwickelt; parallel dazu hat erweiterte sich die Plattensammlung beträchtlich, auf zur Zeit zirka 4000 CDs und 2000 Vinylplatten - und das Spektrum vergrößerte sich. Vor allem die Country-Sammlung ist immens imposant (Mancher wird hier sicherlich verwirrt bis ärgerlich seinen Kopf schütteln, aber der Sound ist wirklich klasse. Siehe dazu: Dobler, Franz: "The Beast In Me. Johnny Cash und die seltsame und schöne Welt der Countrymusic"). Als "Schreiberling" hatte unser Held weitaus mehr Erfolg, kam zur Ruhe und entwickelte erstaunliche Fähig- und Fertigkeiten: Davon kann man sich hier überzeugen, dazu kann man jetzt eine Menge lesen, genau hier ...

The Pulp-Country-Three
Ach ja, apropos "COUNTRY": Die Figur, nach der wir hier suchen, ist Erfinder/Gründer des legendären Pulp-Country-Deejay-Teams (established 1994) und versucht zusammen mit zwei abgehalfterten und ebenso desillusionierten Freunden verzweifelt, die Welt durch Auflegen im Geiste des Hellbilly zu missionieren. Sicher auch einmal im Club Ihres Vertrauens!
Er, dessen Name gesucht wird, würde für diese Art von Musik sogar sterben ...


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