Anthrax - Fistful of Metal
ØØØØ
(1984)
In den 80ern wurde der Hardrock auf Touren gebracht: Immer schneller, lauter und böser droschen die Buben in die Saiten - auch rund um New Jersey.
Eine Liebeserklärung an einen brutalen Musikstil. Von Claudia Jusits
01.02.2011
Im vorigen Beitrag ging es um die Geburtsstunde des Speed (oder Thrash-) Metal in der San Francisco Bay Area, wo sich Bands wie Metallica, Slayer oder Megadeth einen Namen machten. Doch auch an der Ostküste wurden die Gitarren malträtiert ...
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Der Mensch soll und muß auf dem Wege der athletischen Selbststeigerung über sich hinausgehen.
(Peter Sloterdijk)
Tod den Idioten!
(Grafitto)
Teil 2: New Jersey und die Folgen
Obwohl der viertkleinste Bundesstaat, zeichnet sich New Jersey durch die größte Bevölkerungsdichte der Vereinigten Staaten aus. Im Norden bildet der Hudson River die natürliche Grenze zu New York, im Süden liegt das waldreiche Gebiet der Pine Barrens, ein beliebtes Ausflugsziel und gleichzeitig Heimat des Jersey Devil.
Dieses mythologische Monster verdankt seine Entstehungsgeschichte einer gewissen Mrs. Leeds - in machen Versionen auch Mrs. Shrouds -, einer Mutter von zwölf Kindern, die während ihrer dreizehnten Schwangerschaft in nachvollziehbarer Verzweiflung ausgerufen haben soll: "I’m tired of children! Let it be a devil!" So geschah es denn auch, zumindest der Sage nach, die sich als ausgesprochen langlebig erweist und Eingang in die Serie "Akte X" und diverse Videospiele gefunden hat.
Andere Kinder New Jerseys (und ich hoffe, daß sie nicht mit einer derartigen Hypothek belastet das Licht der Welt erblickt haben) sind unter anderem Jon Bon Jovi, Count Basie, Frank Sinatra, Bruce Springsteen, die Rapperin Lauryn Hill und Paul Simon. Ein guter Boden also für Mythen und Musik aller Couleur.
Auf der Landkarte jedoch hat dieser Bundesstaat die Form eines menschlichen Oberkörpers, dessen Kopf leicht nach vorne gebeugt ist. Für Eingeweihte kann das natürlich nur eines bedeuten: HEADBANGING!
Es darf vorausgesetzt werden, daß sich die Herren Carlo Verni und Lee Kundrat ausgiebig dieser für Hals- und Schultermuskulatur äußerst empfehlenswerten Übung befleißigt hatten, ehe sie 1980 die Band Overkill aus der Taufe hoben.
Zu etwa der gleichen Zeit entschied sich ein gewissen Bob Ellsworth dafür, die Baßgitarre an den Nagel zu hängen und sich fortan dem Gesang zu widmen. Als Bobby Blitz verlieh er Overkill Stimme und Charakteristik; auch Verni und Kundrat hatten umfirmiert und wurden zu D.D. Verni und Rat Skates. Den Bandnamen lieh man sich vom gleichnamigen Motörhead-Song (womit eine elegante Schleife zu den Westcoast-Speed/Thrashern besteht).
Mit dem Gitarristen Bobby Gustafson nahm die Band 1984 ihre erste Demo namens "Power in Black" auf, der Song "No Holds Barred" schaffte es schließlich auf Brian Slagels legendären "Metal Massacre"-Sampler.
1985 war es dann soweit: Das New Yorker Label Megaforce Records offerierte den langersehnten Plattenvertrag, das Debütalbum "Feel the Fire" katapultierte Overkill aus dem Underground-Status und machte sie zu einer der Speerspitzen des "Eastcoast-Thrash". Das Album gilt mittlerweile - zusammen mit der Live-Einspielung "Fuck You" - als Klassiker und wurde anno dazumal (gemeinsam mit Megadeth, Agent Steel und Anthrax) einer breiten Öffentlichkeit ausgiebig vorgestellt.
Das allerdings war so noch nicht absehbar, als Anthrax Anfang der 80er in einem New Yorker Kirchenkeller vor geschätzten 50 zahlenden Gästen einen ersten Eindruck ihres Könnens ablieferten.
Die Formation rund um Scott "Not" Ian wirbelte durch das unvermeidliche Besetzungskarussell; Sänger John Connelly verließ die Band und gründete Nuclear Assault, die die Entwicklung des Speed/Thrash auf dieser Seite der neuen Welt maßgeblich beeinflussen sollten. Für ihn kam Neil Turbin; Scott Ian Klassenkollege Dan Lilker ging ebenfalls seiner Wege und wurde durch Frank Bello ersetzt, den Neffen von Drummer Charlie Benante.
Das erste Album "Fistful of Metal" erblickte 1984 das Dunkel der Nacht und landete ob seines Covers gleich auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften u. ä. Ein gütiges Schicksal brachte die Platte trotzdem in den Handel, da auf besagtem Index irrtümlicherweise der Name "Festival of Metal" angegeben worden war. Glück muß der Thrasher haben!
Das Glück blieb Anthrax treu. Man trennte sich von Sänger Neil Turbin und holte Joey Belladonna ans Mikrophon, der eine neue Ära in der Band-Geschichte einläutete. Die EP "Armed & Dangerous" legte 1985 den Grundstein für den kommerziellen Erfolg und bescherte einen Vertrag mit Island Records für das zweite Album "Spreading the Disease", das wohl grob geschätzte zwei Drittel aller Metal-Fans zu Hause im Regal stehen haben. (Ich auch ... )
Der alle Erwartungen übertreffende Verkaufserfolg ermöglichte ausgiebiges Touren und einen ersten Videoclip ("Madhouse"), der bis heute Kultstatus genießt.
Scott und Benante blieb jedoch genug freie Zeit, um mit Dan Lilker und ihrem Roadie Billy Milano aus Spaß an der Freude S.O.D. (Stormtroopers of Death) zu gründen und mit dem Album "Speak English or Die" den überaus wichtigen Begriff "Mosh" zu prägen. Lilker hatte S.O.D. zuliebe Nuclear Assault in die Schublade verbannt, machte diese 1985 aber wieder auf und veröffentlichte ein Jahr später auf Combat Records das Debut "Game Over".
Ein stilprägender Segen quasi, denn Nuclear Assault widmen sich Themen wie Umweltverschmutzung ("The Plague") oder atomare Bedrohung ("Radiation Sickness") mit der aus dem Punk entlehnten Unverbindlichkeit. Genauso interessant ist ihr parodistischer Ansatz ("My America") - und natürlich das "Moshen", als dessen Geburtshelfer Nuclear Assault durchaus in Frage kommen.
Mosh ist nichts anderes als ein mehr oder weniger unkontrollierter "Tanz" während eines Thrash-Gigs: Ein unterhaltsamer Versuch, der Gravitation mit vereinten Kräften entgegenzuwirken. Gelehrte (headbangende) Häupter sehen durch Scott Ians jüdische Herkunft - Scott Ian Rosenfeld - im Moshing auch eine ironisch-satirische Anspielung auf das rituelle Gebet. (Neuerdings wird das "Moshen" auch in Rollenspielerkreisen verwendet und zwar für einen besonders harten Kampf.)
Einen solchen brauchten Anthrax nicht mehr zu fürchten, zumindest nicht um die Publikumsgunst; die war ihnen nach dem Release von "Among the Living" mehr als sicher. Cover und Titelsong waren diesmal von Stephen Kings "The Stand" inspiriert, das Album selbst ist dem verstorbenen Metallica-Bassisten Cliff Burton gewidmet (eine weitere elegante Schleife zur Bay Area ... ).
Nach erfolgreicher Welttournee veröffentlichen Anthrax 1987 die EP "I’m the Man", ein Crossover aus Metal und Rap. Naturgemäß blieb der Aufschrei bei Puristen beider Genres nicht aus, die Aufregung schlug aber bald in Begeisterung um.
Kaum jemand konnte sich dieser musikalischen Innovation entziehen; im selben Jahr sprangen Aerosmith und Run DMC auf den Crossover-Zug auf und landeten mit "Walk This Way" einen Welthit (wobei sie Adidas-Schuhwerk nebenbei zu einem ansehnlichen Umsatzplus verhalfen). Anthrax gingen als Pioniere noch einen Schritt weiter und tourten Anfang der Neunziger mit Public Enemy.
Gemeinsame Sessions beschlossen diese Konzertreihe; ein quasi inter-subkulturelles Experiment wurde zu einem fixen Bestandteil der jüngeren Musikgeschichte.
Nach seiner Genesung von einer schweren Krebserkrankung meldet sich Bobby Blitz 1999 mit Overkill und ihrem zehnten Album "Necroshine" zurück. Nur ein halbes Jahr später erschien das Coveralbum "Coverkill", auf dem Songs von Manowar bis Motörhead, den Sex Pistols und den Ramones zu hören sind.
Generell zeichnet die Thrasher der Ostküse die Lust an der Kombination verschiedener Musikstile aus. Overkill, Nuclear Assault, Whiplash u. a. nennen als Inspirationsquellen die New Wave Of British Heavy Metal (NWOBHM) ebenso wie den New York Hardcore (NYHC) der Bad Brains.
Ohne diese Neugierde hätte es Bands wie die Beastie Boys oder Biohazard nie - oder nicht in der uns vorliegenden Qualität - gegeben.
Ohne diese Neugierde hätten sich diverse Subgenres nicht entwickeln können. wie Crossover, Crossover-Core, Metal-Core, Groove-Metal Industrial, Crossover-Trash, Melody-Core, Technical-Thrash, Progressive-Thrash und und ...
Weiter geht’s demnächst in Teil 3: "Stahlkocher unter sich".
See You!
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