Stories_Rokko’s Adventures im EVOLVER #33
Die Paranoia-Chroniken, Teil 4
Gemeinhin gelten jene Hypothesen zu Unidentified Flying Objects als die gewagtesten, die dahinter Besucher aus dem Weltraum oder anderen Dimensionen vermuten. Doch es gibt eine terrestrische Erklärung ...
Daniel Krčál sucht: "Die Wahrheit über Nazi-UFOs".
02.02.2011
Rokko's Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.
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Die Annahme, besagte Flugobjekte seien irdischer Herkunft, führt in die Schattenwelten von Geheimdienstgeschichte, alternativer bis revisionistischer Geschichtsschreibung und politisch-esoterischem Obskurantismus - das UFO als deutsche Geheimwaffe. Verbirgt sich dahinter bloß eine neurechte Verschwörungstheorie oder gibt es Hinweise auf tatsächliche Projekte?
Die Reichsflugscheibe nimmt Gestalt an
Der Mythos des nazi-deutschen UFOs beginnt schon bald nach Ende des Zweiten Weltkriegs vage Gestalt anzunehmen, als sich am 10. Juli 1945 im argentinischen Hafen Mar del Plata ein mit 54 jungen und unverheirateten Männern und Reliquien des Dritten Reichs beladenes deutsches U-Boot den Behörden stellt, und der Kommandant von einer angeblichen "Operation Walküre 2" erzählt.
Schon bald werden weltweit sensationsheischende Zeitungsberichte gedruckt, die sich mit unterschiedlichen Fluchtszenarien der Nazis beschäftigen, bis hin zur einer Meldung der Chicago Times, wonach Adolf Hitler und Eva Braun in ebenjenem U-Boot gewesen seien und ein Grundstück in Patagonien bezogen hätten.
Drei Monate später ergibt sich das nächste U-Boot mit 32 ebenfalls unverheirateten Männern. Aufgrund der Logbücher - die Mannschaften waren neun Monate lang von Norwegen bis Argentinien gereist - und der seltsamen Fracht, die sich an Bord befand, kam es schon bald zu Spekulationen, daß die Nazis eine Art Exilkolonie in der Antarktis gebildet hätten.
Diese Gerüchte wurden erheblich durch die Expedition des Admirals Richard E. Byrd genährt, einer vorgeblichen Mission zur Absteckung und Wahrung territorialer Ansprüche, wobei Admiral Byrd selbst der Presse erklärte, seine Reise hätte "einen militärischen Charakter". Dafür spricht auch die Ausstattung: Rund fünftausend Expeditionsteilnehmer, davon viertausend Marinesoldaten, ein Flugzeugträger, zweihundert Flugzeuge, dreizehn Schiffe, ein U-Boot, -zig Hubschrauber und Amphibienfahrzeuge.
Anfang Dezember 1946 begann die für ein halbes Jahr anberaumte "Operation Highjump", mußte aber nach nur zwei Monaten abgebrochen werden. Dem hastigen Abbruch war der bestätigte Verlust von vier Flugzeugen vorangegangen. Gerüchteweise sollen aber fast die Hälfte der Flugzeuge zerstört worden und dutzende Männer ums Leben gekommen sein. Dem chilenischen Journalisten Lee Van Atta soll Byrd von feindlichen Kräften berichtet haben, die in kürzester Zeit von Pol zu Pol fliegen könnten - eine Aussage, die er angeblich auch vor den Mitgliedern eines Untersuchungsausschusses des US-Kongresses getätigt haben soll.
Dem Militärpiloten John Sireson wird die Beschreibung eines Luftkampfes vom 26. Februar 1947 zugeschrieben, wonach rasend schnelle, lautlose und ständig tödliches Feuer spuckende Flugkörper in einer zwanzigminütige Raserei ein regelrechtes Inferno angerichtet hätten.
Da war sie also, die fliegende Geheimwaffe der Deutschen. Sie vermengte sich mit der nach Kenneth Arnold und Roswell entstandenen UFO-Hysterie, spärlichen bis sensationsheischenden Informationen zu klassifizierten nationalsozialistischen Flugapparat-Projekten (allem voran das Werk "Die deutschen Waffen und Geheimwaffen des 2. Weltkrieges und ihre Weiterentwicklung" des Majors Rudolf Lusar), Hitlers wiederholten Proklamationen einer noch zu kommenden Wunderwaffe, der Sehnsucht bestimmter Kreise nach einer Rückkehr der Herrenmenschen-Diktatur sowie den Gerüchten rund um okkulte Praktiken innerhalb der SS - und gebar so den Mythos der deutschen Reichsflugscheiben.
Rund um die Reichsflugscheibe hat sich ein eigener Kosmos an Verschwörungstheorien gebildet, von denen nicht wenige eine eindeutige Wiederbetätigungsagenda erkennen lassen. Die meisten jedoch nutzen recht geschickt den esoterischen Verschleierungscharakter, sodaß sie eher politisch indifferent bleiben, während nur wenige, vor allem US-amerikanische, sich scharf von nationalsozialistischem Gedankengut distanzieren und im Gegenteil anklagen, die amerikanischen Institutionen wären durch unbedacht durchgeführte Überführungsprogramme von den Nazis unterwandert worden.
Eckpunkte rechter UFO-Mythologie
Während die Wiedererweckung nationalsozialistischen Gedankentums im anglo-amerikanischen Raum im Zeichen einer offensiv zur Schau getragenen Hitlerverehrung stand, flüchtete sich so manche Gruppe im deutschsprachigen Raum in ätherische Phantasien und verlagerte die Herkunft der Herrenmenschen in den Kosmos .
Eine dieser Gruppen war der Wiener Zirkel rund um den Alt-Nationalsozialisten Wilhelm Landig, der sich eines nicht verifizierbaren SS-Insiderwissens rühmte und das Genre revisionistisch-okkulter Naziromane geprägt hat. Gewürzt mit einer Prise Julius Evola, kultivierte man die Vorstellung einer in der Arktis gelegenen "Blauen Insel", die als Basis für eine wieder zu erstarkende nordatlantisch-arische Ur-Tradition dienen sollte.
Die esoterischen Tendenzen innerhalb der SS wurden zu einem dem spirituellen Weltmittelpunkt nachjagenden inneren Kreis von SS-Häretikern verklärt, mit welchem man in Kontakt zu treten versuchte, wozu der Schweizer Ingenieur Erich Halik eigene mediale Techniken entwickelte. Halik deutete UFOs, anders als Landig, der in ihnen konkrete Flugvehikel deutscher Herkunft sah, als alchemistische Manifestationen der arktischen Häretiker, die der Welt eine "Tausendjährige Transformation" ankündigen woll(t)en. In den Symbolen, die der amerikanische Kontaktler George Adamski auf den ihn besuchenden Raumschiffen sah, erkannte Halik die Schwarze Sonne und das Hakenkreuz, in den blond-sauber-adretten Besuchern von der Venus getarnte Deutschherren.
Der chilenische Lyriker und Diplomat Miguel Serrano, Begründer des esoterischen Hitlerismus, einer Art archetypisch-gnostischen Religion, die ihren faszinierenden Bogen von C.G. Jung über Hitlerverehrung bis hin zum Hinduismus spannt, ist überzeugt, daß die besiegten Nazis, inklusive Adolf Hitler, in der Antarktis Zuflucht gefunden haben. Auch hier ist das UFO rein deutschen Ursprungs, und der Führer längst mit einem davon durch ein interdimensionales Venus-Fenster in seine archetypische Heimat, von wo aus er als Kalki, einer Inkarnation des Hindugottes Vishnu, die Welt transformieren könne, abgerauscht.
Der deutsche, 1937 in die USA emigrierte Raketentechniker Willy Ley erzählte von einer Gruppe namens "Wahrheitsgesellschaft", die sich der Jagd nach dem Vril, einer Erfindung des Romanautors Edward Bulwer-Lytton, gemacht hatte. 1962 taucht in dem Werk "Aufbruch ins dritte Jahrtausend" der Autoren Louis Pauwels und Jacques Bergier eine technisch-magische Vril-Religion auf. In Jan van Helsings Schriften findet sich eine sogenannte Vril-Gesellschaft, die die eigentliche okkulte Triebkraft hinter vermeintlichen deutschen Antigravitationsexperimenten gewesen sein soll.
Demnach hätten die Medien Maria Orsic und Sigrun schon in den 1920ern in einer Seance die Anleitungen zum Bau einer "Jenseitsflugmaschine" bekommen, und Leute wie Schriever, Habermohl oder Schauberger, ja selbst die SS, seien nichts als Handlanger der Vril-Gesellschaft gewesen. Helsing verkocht alles, was das Thema hergibt, zu einem unappetitlichen Brei, inklusive medial befohlener Rassentrennung zur Wahrung spiritueller Reinheit und guten Aldebaran-Aliens gleichenden Deutschen nebst einer "Tschandalas" genannten Sklavenrasse.
Rund um diese Eckpunkte floriert eine eigene Subkultur spekulativer Literatur und Videodokumentation. Eine herausragende Stellung nimmt dabei das sogenannte Haunebu-UFO ein. Flankiert von schummerigen Beweismitteln - verschwommenen Fotos und Skizzen, die mehr an nerdige HTL-Absolventen als an visionäre Flugzeugkonstrukteure denken lassen - wird mit Begriffen wie Thule-Tachyonator, Coler-Magnetapparat oder Marconi-Wirbelstrom-Kegeldynamo herumjongliert. Kolportiert werden auch Vril-UFOs und ein zigarrenförmiges Mutter- und Trägerschiff namens "Andromedagerät".
Grenzenlos scheint die Phantasie der Nazi-Ufologen, doch bei näherer Betrachtung einiger realpolitischer Aspekte der Nazi-Diktatur bemerkt man, daß diese in genau solchen Phantastereien eines ihrer ideologischen Standbeine hatte.
Heinrich Himmler und das SS-Ahnenerbe
Für Joseph Goebbels bildete die SS "eine Art Freimaurerei in der Partei", ein deutlicher Hinweis auf deren Loslösung von den restlichen NS-Verbänden und einer sich genuin von der NSDAP unterscheidenden Organisationskultur, bis hin zu einer "außer- und nebenstaatlichen Partikularherrschaft".
Erst seit in den 1960ern Originaldokumente der schriftlichen Dokumentation der SS der Forschung zugänglich wurden, weiß man, wie heterogen die einzelnen Nazi-Organisationen mitunter ausgerichtet waren, und daß die SS dabei das herausragendste Beispiel darstellt. Daß, wie schon immer gemunkelt wurde, tatsächlich die okkult-pseudowissenschaftliche und lebensreformerische Ausrichtung von Reichsführer-SS Heinrich Himmler dabei eine maßgebliche Rolle spielte. So glaubte dieser, die Reinkarnation des Slawenbezwingers Heinrich I. zu sein, ließ sich Horoskope stellen und frönte mittelalterlicher Schwarzmagie.
Himmler, der für seine "Volkspolizei" den Rassenbiologismus verbindlich gemacht hatte, war überzeugt, daß durch das Christentum im Mittelalter die Verbindungen zu den germanischen Wurzeln des deutschen Volkes gekappt worden waren. Er sah es als seine Aufgabe, eine "permanente Revolution" der Regermanisierung und eine neuheidnische Religion in Gang zu bringen. Seine Forschungs- und Lehrgemeinschaft "Ahnenerbe" fungierte dabei nicht nur als (pseudo-)wissenschaftliches Basislager, sondern erhob auch, flankiert durch den terroristischen Grundcharakter der SS, einen elitären kulturpolitischen Herrschaftsanspruch.
Die Quellen des RFSS dazu waren aber mitunter mehr Abenteuerromane als wissenschaftliche Werke, für Psychoanalytiker ein Indiz dafür, daß er einem Ideenkosmos verhaftet war, der über die Schranken einer adoloszenten Wirklichkeitsaneignung nicht hinauskam. Davon überzeugt, daß weltweit Zeugnisse einer archaischen urarischen Rasse zu finden seien, initiierte er Expeditionen, die ein schillerndes Konglomerat aus axiomatischem Übermensch-Apologetismus, wirtschaftlichen Interessen und wissenschaftlicher Grundlagenforschung waren.
Unter den Prämissen extremer Geschichtsbeugung suchte man nach verstreuten Atlantern, den Beweisen für Hans Hörbigers Welteislehre oder den Gemeinsamkeiten zwischen "Mein Kampf" und den Lehren Buddhas, während nebenbei neues Walfanggebiet erschlossen und ethnologisch-ethnographisches Material zusammengetragen wurde. Diese Reisen führten unter anderem auch in die Antarktis, wo tatsächlich auch Warmwasseroasen - mit ein Grund für oben erwähnte Spekulationen - gefunden wurden.
"Deutsche Physik"
Die Nobelpreisträger Philipp Lenard und Johannes Stark waren typische Vertreter jenes deutsch-bildungsbürgerlichen Akademikertums, das, einem latent schwelenden Antisemitismus verhaftet, auf die tabubrechenden Umwälzungen in allen nur erdenklichen gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Feldern mit antimodernem Vitalismus reagierte.
In einer völkisch-rassischen Leseart der damaligen wissenschaftlichen Standards gründeten sie die "Deutsche Physik", die sich der experimentellen Richtung verschrieb und die moderne theoretische Physik generell als "jüdisch" und somit dekadent brandmarkte. Aufgrund dieser freiwilligen Provinzialisierung hatte die "Deutsche Physik" international nur marginale Bedeutung.
In Bezug auf die Entwicklung eventueller exotischer Antriebstechniken müssen aber folgende Aspekte mitberücksichtigt werden: Neben der "Deutschen Physik" gab es auch vereinzelte Abweichler, wie das Beispiel des fanatischen Hitler-Anhängers Pascual Jordan, der sogar ein quantentheoretisches Deutungsmodell des Nationalsozialismus entwarf, zeigt.
Lenard hielt eine differenzierte Arbeitsteilung zwischen Theoretikern und Experimenteuren für jüdischen Humbug und bevorzugte bodenständige Kleinexperimente, wie sie in etwa Bauern oder Handwerker für ihre Arbeit tätigten - ein Hinweis, wie zum Beispiel jemand wie der Förstermeister Schauberger mit seinen Biotechnologiekonzepten das Vertrauen Hitlers gewinnen konnte, und wie sich so auf Umwegen von der ausländischen Forschung stark abweichende Ideen und Konzepte hätten entwickeln können. Die tragische Selbstbeschneidung der "Deutschen Physik" könnte, in Kombination mit der Suche der SS nach alchemistisch-archaischen Prinzipien, zu ungewöhnlichen Durchbrüchen geführt haben.
Hans Kammler
Eine, wenn nicht die Schlüsselfigur zu einer vermeintlich doch existierenden Wunderwaffe ist der SS-Mann Hans Kammler, von dessen Tod sieben Versionen kursieren, dessen Leiche nie gefunden wurde und der, obwohl gegen Ende des Krieges einer der mächtigsten Männer in Deutschland, bislang bloß eine dürftige historisch-biographische Aufarbeitung erfahren hat.
Der kaltblütige Technokrat machte stille Karriere, entwarf die Vernichtungslager Auschwitz und Lublin, plante die "Endlösung", verheizte KZ-Häftlinge im Raketenbau. Nachdem 1943 die V-Waffen-Forschungsschmiede Peenemünde unter alliierten Bombenhagel geriet und die Waffenproduktion in unterirdische Stätten verlagert werden mußte, war der zuverlässige Kammler der Mann der Stunde. Mit brutalem Regime "bewältigte" er diese Aufgabe, machte sich einen "guten" Ruf, wurde als Nachfolger Speers gehandelt. Bekam, als der Krieg gegen Ende der Entscheidung entgegenging, einen speziellen Stab, den "Sonderstab Kammler". Je aussichtloser die Lage, desto größer war scheinbar der Einfluß Kammlers, bis ihm schließlich sämtliche Raketenprojekte unterstanden. Und nebenbei soll sein Kammlerstab, von den tschechoslowakischen Skoda-Werken in Pilsen aus, die Suche nach kriegsentscheidenden Wunderwaffen forciert haben.
In der nächsten Ausgabe geht es hier weiter mit der Frage, was es mit Kammlers Verschwinden auf sich hat, deutscher Technik in amerikanischen Händen und einem Interview mit dem polnischen Militärjournalisten Igor Witkowski: Diente das Geheimprojekt "Die Glocke" - ein Plasmareaktor - der Forschung an der Antigravitation?
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