Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #23

Die Paranoia-Chroniken, Teil 1

Die Welt - eine einzige Verschwörung. Basierten die Methoden der letzten Jahrhunderte auf Religion und Gewalt, so bedient man sich mittlerweile raffinierterer Verfahren: Den diversen Formen der Bewußtseinskontrolle wird im ersten Teil der "Paranoia-Chroniken" nachgegangen.    16.07.2010

Spätestens seit dem Fall der New Yorker Zwillingstürme sprießen Verschwörungstheorien wie Pilze aus dem Boden. In einem Mix aus glaubwürdigen Quellen, informativer Redundanz und simplifizierenden Vorstellungen spinnen selbsternannte Aufdecker, Amateurfilmer und Blogger ein Netz von Weltregierung, Bewußtseinsmanipulation und sinistren Geheimbünden.

Den schlimmsten Befürchtungen zufolge wird die Menschheit unter Gewährung eines vermeintlich freien und komfortablen Lebensstiles von einer Pyramidenspitze Mächtiger geführt und gelenkt.  Ist der freie Wille nicht mehr wert als das Schädelvolumen einer Schaufensterpuppe? Sind wir Alle nichts als durch Bewußtseinskontrolle in Zaum gehaltene Schäfchen? Daß "Mind Control" dereinst ein Laborierfeld diverser Geheimdienste war, gilt spätestens seit der Freigabe entsprechender Dokumente durch den US-amerikanischen "Freedom of Information Act" als erwiesen. Doch rund um die spärliche Aktenlage kursiert ein Kosmos prickelnder Spekulationen. Was ist geschichtlich belegbar, was wahrscheinlich, und wo beginnt die Paranoia? 

 

Die uns bekannten Anfänge neuzeitlicher Bewußtseinskontrolle

 

Die Geschichte geht ungefähr so: Zu Beginn des letzten Jahrhunderts trieben die wissenschaftlichen Fortschritte seltsame Blüten wie Eugenik oder Behaviorismus. Deutschland entpuppte sich dank einer fatalen politischen Entwicklung bald als perfektes Spielfeld für Menschenversuche, die selbst im Heimatland mancher Gönner und Bewunderer Hitlers so wohl nicht durchgegangen wären. In dem durch die Rockefeller-Stiftung in Berlin finanzierten "Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik" wurden Rassenhygiene und Giftgasforschung forciert, in den deutsch-österreichischen Konzentrationslagern Unschuldige depriviert, seziert und in den Tod geschickt - auch im Namen verhaltensorientierter psychologischer Grundsatzforschung. Und so manch ein transatlantischer Kollege beneidete die deutschen "Forscher" nicht so sehr um deren Ergebnisse, als vielmehr um das gesamte "ungezwungene" Arbeitsumfeld.

Unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg begann der Wettlauf der Siegermächte um die Nazi-Intelligenzija. Die Amerikaner sollten dank wirtschaftlicher Affinitäten, Antikommunismus und der Überführungsprogramme "Dustbin" und "Paperclip" das Rennen machen. So wie von da an ein Wernher von Braun die Agenda des amerikanischen Raumfahrtprogrammes dominieren sollte, machten es sich auch in anderen Forschungszirkeln teils noch zuvor an KZ-Häftlingen laborierende Wissenschaftler gemütlich. Und in Anbetracht der künftigen Ereignisse kann man sich fragen, inwiefern nicht die ehemaligen KZ-Schergen ideologisch das Kommando übernommen hatten.

Aus Angst vor japanischen und deutschen biochemischen Kampfstoffen hatten die USA schon während des Zweiten Weltkrieges ein eigenes B-Waffen-Projekt gestartet. Nach den Nürnberger Prozessen wurde dieses nun mit Hilfe des ehemaligen Gegners weitergeführt und bald auch nach dessen Vorstellungen ausgeweitet. Spätestens ab dem Koreakrieg, welcher die Angst vor den Kommunisten in eine Paranoia vor gegnerischer Bewußtseinsmanipulation steigern sollte, waren alle moralischen Skrupel gefallen.

 

Blaue Vögel, Schreckgemüse und Menschen-Kontrolle

 

Die uns offiziell bekannten Projekte heißen "Bluebird", "Artischocke" und "MK-Ultra". Operation "Bluebird" knüpfte an nazideutsche Experimente mit dem Einsatz von Halluzinogenen - vorrangig Meskalin - als Wahrheitsdroge an. Schwerpunktmäßig wurden noch Marihuana und die sogenannten "magic mushrooms" miteinbezogen. Operation "Artischocke" brachte es zu einem wüsten Mix aus psychologischen Methoden, biochemischen Kampfstoffen und sowohl natürlichen als auch künstlich hergestellten Psychedelika und Psychopharmaka. "MK Ultra" gipfelte schließlich in einem Netzwerk von bezuschußten Geheimprojekten, welche unter anderem aus gewöhnlichen Spitälern Folterkammern und aus unzähligen unbescholtenen und zufällig ausgewählten Bürgern seelische Wracks machen sollten.

Zu erwähnen sei auch, daß während dieser Zeit die Manipulation einzelner Individuen um Kollektivexperimente erweitert wurde. Heimliche Massen-LSD-Verabreichungen an Soldaten und schwarze Gefängnisinsassen standen am Anfang. Später ging man dazu über, psychotrope Substanzen von der Golden Gate Bridge zu streuen, in die Klimaanlagen der New Yorker Metro zu leiten oder mit umgebauten Spezialfahrzeugen über die Straßen zu verteilen.

 

Psychiatrische Verstrickungen

 

Es mag alles andere als ein Zufall sein, daß das Parademonster der abscheulichsten "MK-Ultra"-Menschenversuche einer der wichtigsten Psychiater der damaligen Zeit war: Dr. Donald Ewen Cameron, Präsident der "American Psychiatric Association", der "World Psychiatric Association", der "Gesellschaft für Biologische Psychiatrie" und des "Amerikanischen Psychopathologischen Verbandes". Wer von ihm als Versuchskaninchen auserkoren wurde, hatte Behandlungsmethoden zu gewärtigen, die allesamt der Zerstörung der Persönlichkeit dienten. Tagelange Aufenthalte in Wasser-Isolationstanks, wüste Drogen- und Medikamentengaben, sensorische Deprivation, abstruse Lichtspiele, über den Kopfpolster eingespielte, sich über Tage repetierende Botschaften, Elektroschocks, oder auch einmal ganz einfach ein Luftdruckgewehrschuß ins blanke Auge. Ziel war, die behandelte Person in einen vollkommen regressiven, quasi kleinkindgleichen Zustand zu bringen, in dem die Persönlichkeit neu programmiert und mit Befehlsmustern ausgestattet werden sollte.

Ob USA, Kanada, oder Europa, das Muster war immer das gleiche: die Einrichtungen waren etabliert, das Personal stand auf der Gehaltsliste der CIA, und die Opfer wurden zufällig und ohne deren Einverständnis ausgewählt.

Angesichts der mannigfachen an die Öffentlichkeit gedrungenen Leidensgeschichten kann Eines nicht bestritten werden: der erste Schritt der Persönlichkeitsmanipulation - die Auslöschung der originären Persönlichkeitsstruktur - war mehr als erfolgreich. Doch dann beginnt die Mythenbildung: was sollte den Opfern eigentlich einprogrammiert werden, und: Was waren die Ziele?

 

Besuch aus der Mandschurei

 

Hank Albarelli, seinerzeit unter Präsident Jimmy Carter im Stab des Weißen Hauses, gab es ZDF-Reportern sogar schriftlich: Nicht nur, daß "MK-Ultra"-Projekte bis heute weitergeführt werden, es ist vor allem auch ihr vorrangiges Ziel, dressierte Killer, sogenannte "Mandschurische Kandidaten" heranzuziehen.

Auffällig ist jedenfalls, daß eine Blütezeit seltsamer und die Öffentlichkeit aufrüttelnder Morde mit jener von "MK-Ultra" zeitlich korreliert. Die involvierten Attentäter wiederum weisen signifikante Ähnlichkeiten in biographischen Details und der Persönlichkeitsstruktur auf. Spleenige Einzelgänger mit militärischem oder psychiatrischem Hintergrund, die über dubiose Geldquellen verfügten und Verhaltensauffälligkeiten zeigten, welche leicht als Befolgung von Aktivierungs- oder Kontrollcodes interpretiert werden können.

Warum schickte der YMCA den mittellosen und psychiatrisch stigmatisierten Mark David Chapman rund um die Welt, vornehmlich an Orte, an denen die CIA Trainingscamps unterhielt? Warum kaufte Chapman an jedem dieser Orte eine Ausgabe von J.D. Salingers "Fänger im Roggen"? Warum blieb Chapman nach seinem Mord an John Lennon phlegmatisch abwartend (und in ebenjenes Buch stierend) am Tatort?

John F. Kennedys Mörder Lee Harvey Oswald war in jungen Jahren nachweislich auf einer "MK-Ultra"-Experimente durchführenden Militärbasis stationiert und wurde schon bald für Spionageaufgaben benutzt. Es gibt hartnäckige Gerüchte, daß ihm während einer HNO-Operation ein zerebraler Funkempfänger implantiert wurde. Dubios auch die Verstrickung eines anderen im Kennedy-Mord als Komplizen Verurteilten: des nach 1945 intensiv mit ehemaligen Nazi-Wissenschaftlern kollaborierenden Majors Clay Shaw.

Mehr als grobe Ungereimtheiten ranken sich weiters um Bishara Sirhan und James Earl Ray, die Mörder von Robert Kennedy und Martin Luther King.

Ein beachtenswerter Fall neuerer Datierung ist der des Oklahoma-Bombers Timothy McVeigh. Einst Mitglied militärischer Spezial-Einheiten, die auch CIA-Kontakte unterhielten, von ehemaligen Militärkameraden als roboterhaft und jeden Befehl ausführend beschrieben, landete er in einer rassistischen Widerstandsgruppe, die unter der Ägide eines früheren Zeitsoldaten des MAD (Militärischer Abschirmdienst der Deutschen Bundeswehr) agierte. Die konspirative Gruppe stand unter FBI-Beobachtung, doch kurz vor den Anschlägen wurde die leitende Ermittlerin entlassen. Laut eines unabhängigen Gutachtens war McVeighs Bombe für die ihr angelasteten Schäden viel zu schwach (was bedeutet, daß parallel eine viel stärkere Bombe gezündet worden sein mußte), und der gute Mann wohl bloß ein schlecht vorbereiteter Sündenbock.

 

Schöne neue Lysergsäurediethylamid-Welt

 

Nach eigenen Angaben entdeckte Dr. Albert Hoffman die bewußtseinserweiternde Wirkung von LSD in Folge einer unbeabsichtigten Kontamination am Abend des 16. April 1943. Worüber der Schweizer Chemiker zeitlebens nicht so gerne sprach, war der Umstand, daß sein Auftraggeber Sandoz im Besitz der IG Farben war. Dieser deutsche Großkonzern hatte schon Jahre zuvor eine Forschungseinrichtung für psychoaktive Substanzen eingerichtet, welche an KZ-Häftlingen getestet wurden. Womit eine weiterreichende  Agenda zumindest vorstellbar wäre.

Die Droge erregte schon früh die Aufmerksamkeit der CIA, die ob des großen Bedarfes bald zur Eigenproduktion überging. Über achtzig private Labors wurden mit der Herstellung beauftragt (und nebenbei auch mit der Suche nach noch stärkeren Halluzinogenen).

Dabei ging es scheinbar auch um die Vorstellung, die Gesellschaft kollektiv in eine große Glücksgefühlslenkbarkeit zu bugsieren - Aldous Huxleys Romanen "Island" und "Schöne neue Welt" wird dabei oft eine gewisse Vorbildwirkung unterstellt. Neue Zeitalter preisende Gurus durchzogen das Land mit Bewußtseinserweiterungs-Camps und erhielten den benötigten Stoff von der CIA; das Beispiel des - wenn auch später von der CIA gejagten - Timothy Leary verdeutlicht dies recht schön. Und schon bald kam es zu großen gesellschaftlichen Umwälzungen in Form der maßgeblich durch Halluzinogene beeinflußten psychedelischen Gegenkultur. Ob diese ein Produkt des Geheimdienstes war, oder nur zu seinen Zwecken mißbraucht wurde, sei dahingestellt, wenn auch vieles für eine Wechselwirkung spricht. Jedenfalls kam es zu skurrilen Konstellationen, wenn etwa einerseits Jefferson Airplane auf ihren Konzerten gratis (wahrscheinlich von der CIA geliefertes) LSD verteilten, und andererseits psychisch angeknackste Drogen-Dropouts Zuflucht in Gratiskliniken fanden, deren Personal durch die Bank auf der Gehaltsliste der CIA stand.

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures No.4

(erschienen im September 2008)


Text: Daniel Krcal

Photos: Internet

Links:

Kommentare_

martin compart - 16.07.2010 : 10.22
Das ist einer der besten Überblicke zum Thema, den ich gelesen habe. Als Buchtip möchte ich das zu wenig bekannte Werk nennen: Martin A.Lee & Bruce Shlain: ACID DREAMS - The Complete Social History of LSD: The CIA, The 60s, and Beyond. Grove Press, New York 1992.
Daniel Krcal - 18.07.2010 : 23.44
Meinem gesunden Egoismus sei geschuldet, dass ich hiermit die Autorenschaft wieder an mich reiße. Nichts gegen meinen heiß geliebten Rokko, aber dieser Text stammt von mir. ;-)
der Mann im Hintergrund - 19.07.2010 : 08.21
@ Daniel: Ist verbessert - ich entschuldige mich im Namen des EVOLVER-Teams.

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